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WIEN / MusikTheater an der Wien: CANDIDE

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Fotos: © Werner Kmetitsch 

WIEN / MusikTheater an der Wien / MuseumsQuartier: 
CANDIDE von Leonard Bernstein
Premiere: 17. Jänner 2024 

In Wien ist, ganz ohne den Anlaß eines Jahrestags, eine hohe Zeit für Leonard Bernstein angebrochen. Das MusikTheater an der Wien bringt „Candide“, und schon nächste Woche ist in der Volksoper „West Side Story“ an der Reihe. Damit wird man sich leichter tun, ist doch Bernsteins „Übersetzung“ der Romeo-und-Julia-Geschichte in die Straßen von New York nicht nur ein Keywork für ihn persönlich, sondern für das amerikanische Musiktheater schlechthin.

Mit „Candide“ tut man sich im allgemeinen schwerer, das Stück wird auch viel seltener gespielt. Dass in Wien nun ein ebenso rauschender wie verdienter Erfolg daraus geworden ist, verdankt man einer Regisseurin, die sich (ausnahmsweise?) entschlossen hat, nicht gegen, sondern für ein Werk zu inszenieren.

„Candide“ ist, kurz gesagt, Mitte des 18. Jahrhunderts die böse-satirische Antwort eines Aufklärers wie Voltaire auf spätbarocke Postulate, man lebe in der besten aller Welten. Das bekommt der junge Candide im heimatlichen Westfalen eingebläut, aber als er sich auf eine Reise durch die Welt machen muss, erlebt er alles an Schrecken und Katstrophen, was dieses Zeitalter wirklich zu bieten hatte –  Erdbeben und Schiffbrüche, Kriege, Totalitarismus und Gemetzel, Autodafé, Mord und Hinrichtungen, für die Damen Prostitution, kurz, eigentlich nicht lustig, aber in Leonard Bernsteins Version sehr wohl.

Diese wurde seit ihrer Uraufführung so oft bearbeitet (auch von ihm selbst), dass von einem „Original“ nicht mehr die Rede sein kann. Selten hat man für einen musikalischen Theaterabend eine so ausführliche Liste von Bearbeitern geboten bekommen –
„Comic Operetta in zwei Akten
Szenische Aufführung der Concert Version,
Erzähltext für Konzertaufführungen von Leonard Bernstein und John Wells, nach der Satire von Voltaire und dem Buch von Hugh Wheeler; bearbeitet und ergänzt von Erik Haagensen, mit zusätzlichen Texten von Stephen Sondheim,
John La Touche, Lillian Hellman, Dorothy Parker und Leonard Bernstein.
Instrumentation von Leonard Bernstein und Hershy Kay.Musikalische Übergänge und zusätzliche Instrumentation von John Mauceri.“

Aber man braucht sich davon nicht abschrecken lassen, denn am Ende hat die Regisseurin Lydia Steier eine gänzlich runde Sache daraus gemacht. Der Märchenbuchcharakter, der zu Beginn angeschlagen wird, bleibt den Abend hindurch immer gewissermaßen erhalten, dann sind auch die schrecklichsten Dinge (etwa dass der Erzieher erhängt hoch auf der Bühne baumelt) mehr lustig als böse, und wenn Candide die schlimmsten Sachen begegnen, muss die Regisseurin – danke! – keinen moralischen Zeigefinger heben, sondern lacht. Was hier veräppelt wird, sind die Dinge, die gezeigt werden, nicht das Werk selbst.

Dass aus dem Märchen immer wieder eine große Show wird, dafür sorgt schon die Ausstattung: Momme Hinrichs hat eine stufenweise ansteigende Bühne in vier Stationen geschaffen, jede mit einem eigenen, lichterbestückten Bühnenrahmen, da grüßen die Broadway-Shows. Und es gibt brillante Lösungen, etwa die optische Umsetzung eines Schiffbruchs…

Wenn das Stück nach der Pause (wo die Reisestationen von Candide sich nach Südamerika verlegen) substanziell etwas dünner wird, dann kompensieren die Kostüme von Ursula Kudrna alles – so viel Einfallsreichtum quer durch die Jahrhunderte hat man selten auf einem Fleck erlebt. Abgesehen davon, dass die Regisseurin gerade hier, wo sie ein schier unübersehbares Riesenensemble und einen enormen Chor zu „schlichten“ hat, überzeugend demonstriert, wie sehr sie ihr Handwerk versteht. Man muss Bernsteins „Candide“ nicht belasten, so tief geht er nicht – aber man kann auf diese Art und Weise all seine Qualitäten zum Funkeln bringen. Abgesehen davon, dass es ja kein Verbrechen ist, ein Publikum zu unterhalten…

Aus der enormen Schar von Mitwirkenden (die meisten Protagonisten bis auf das Liebespaar müssen in mehrere Rollen schlüpfen) ragen fünf heraus, und unverzichtbar ist Vincent Glander als Erzähler. Nun muss man sagen, dass das Werk auf Englisch gespielt wird (obwohl eine deutsche Übersetzung in diesem Fall kein Sakrileg gewesen wäre) – alles wird man auch nicht verstehen, wenn man der Sprache mächtig ist. Aber ein Erzähler, der so klar artikuliert und gewissermaßen auch „mitspielt“, ist wirklich eine große Hilfe und immer wieder ein besonderes Vergnügen.

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Star des Abends ist der Titelheld: Matthew Newlin wirkt so jung, wie es die Rolle verlangt, so naiv auch, ohne blöd da zu stehen, und er singt mit einem wirklich schönen, baritonal vergoldeten Tenor. Seine Cunegonde ist die deutsche Sopranistin Nikola Hillebrand mit heller, flexibler, auch der Koloraturen fähigen Stimme (wenn es auch nicht gerade ein Virtuosenfeuerwerk wird) und darstellerisch ganz köstlich. Und da ist noch der Bariton Ben McAteer als jener schrullige Dr. Pangloss, der zuerst die Beste aller Welten verkündet, um dann am eigenen Leib zu erleben, dass sie es nicht ist, und die Mezzosopranistin Helene Schneiderman, die zwar als „Old Lady“ auf dem Programmzettel steht, aber vor allem eine sehr, sehr komische Vertretetin ihres Geschlechts ist.

Die weiteren Mitwirkenden, unter denen es keinen Ausfall gibt, müssen sich mit dem Pauschallob begnügen, auch gehen sie oft in der Turbulenz der Szenen unter, die noch vom wie immer glänzenden, versatilen Arnold Schoenberg Chor (Leitung: Erwin Ortner) und einer Schar von Tänzern („Musical“-Choreografie Tabatha McFadyen) bevölkert wird. Es gibt wahrhaftig genug zu hören und zu sehen.

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Leonard Bernsteins „Candide“-Musik basiert nicht nur auf seinem persönlichen Talent und Können, sondern auch auf Intelligenz und Inspiration, jener nämlich, die er von anderen Komponisten empfangen und gewissermaßen mit einem Lächeln eingearbeitet hat, ein Meister, der die Genres zitiert. Ein Höhepunkt des Abends ist die – um sie so zu nennen – „Juwelen-Arie“ der Cunegonde, ganz nach französischem Vorbild mit Koloraturgeklingel, die auch von der Inszenierung her ein Höhepunkt geworden ist: Wie man die Dame von fünf Herren bespringen und singen lassen kann, ohne dass es platt und peinlich wird, das erlebt man hier.

Marin Alsop wurde mit besonders stürmischem Applaus empfangen, der zum Teil auch der Tatsache gelten mag, dass sie eine Frau ist (jetzt, wo die  Dirigentinnen schon bem Bayreuther „Ring“ gelandet sind und das Neujahrskonzert nicht mehr fern ist, ist die feministische Welt wohl in Ordnung). Maren Alsosp hat mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien das Vergnügen, das sich auf der Bühne abspielt, im Orchester weiter getragen. Aber – ehrlich: War es nicht am allerschönsten, als Bernstein in der Ouvertüre (oder ist es ein Vorspiel?) ganz nach Bernstein klang?

Das Publikum wollte am Ende mit dem Klatschen gar nicht aufhören. Es hatte auch jeden Grund dazu.

Renate Wagner

 

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