LA FANCIULLA DEL WEST

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Staatsoper
10.1.2024

Dirigent: Carlo Rizzi

Minnie - Malin Byström
Sheriff Jack Rance - Claudio Sgura
Dick Johnson (Ramerrez) - Yonghoon Lee
Nick - Carlos Osuna
Ashby - Dan Paul Dumistrescu
Sonora - Attila Mokus
Trin - Thomas E
benstein
Sid - Stephano Park
Bello - Jack Lee
Harry - Andrea Giovannini
Joe - Katleho Mokhoabane
Happy - Clemens Unterreiner
Larkens / Billy Jackrabbit - Ilja Kazakov
Wowkle - Daria Sushkova
Jake Wallace /José Castro - Nikita Ivasechko
Postillion - Agustin Gómez


„Schneesturm der Leidenschaften“

(Dominik Troger)

Was den Publikumserfolg anbelangt, ist sich Giacomo Puccini bei „La fanciulla del West“ selbst der größte Konkurrent. Die 1910 in New York uraufgeführte „Goldgräberoper“ fristet im Repertoire eher ein Schattendasein. Die Wiener Produktion aus dem Jahr 2013 schaffte bis 2017 gerade Mal 16 Vorstellungen – dieser Tage wurde sie mit einer Wiederaufnahme bedacht.

Puccini ist der große „Opernjubilar“ des Jahres 2024, und es ist naheliegend, dass man jetzt seinen weniger oft gespielten Werken wieder mehr Aufmerksamkeit widmet. Aber gegen „Tosca“, „La bohème“, „Madama Butterfly“ und „Turandot“ hat „La fanciulla del West“ einen schweren Stand. Dass die Oper in ihrer Sensationsdramatik an „Tosca“ und in ihrer Exotik an „Madama Butterfly“ erinnert, hat schon Julius Korngold in seiner Besprechung der Wiener Erstaufführung diagnostiziert (Neue Freie Presse, 26. 10. 1913). Korngold zieht auch Vergleiche mit dem Film und formuliert vorsichtig, dass man fast voraussagen möchte, dass Puccini der erste „Kinetophonkomponist“ sein werde. (Dem Kinetophon bzw. Kinetoskop war allerdings nur eine kurze Blütezeit beschieden und den Siegeszug des Tonfilms hat Puccini nicht mehr erlebt.)

Die Staatsopern-Produktion von Marco Arturo Marelli in den Kostümen von Dagmar Niefind bleibt aber ganz „Theater“ und mit „Wild-West-Kitsch“ möchte sie nichts zu tun haben. Die Handlung spielt in einer nüchternen Containersiedlung von Minenarbeitern, Minnie betreibt eine Imbissbude, und am Schluss kommt ein Heißluftballon, der sie und Johnson in ein neues Glück davon trägt. Diesen Heißluftballon könnte man ironisch auffassen oder gar als traumhafte Episode dieser an sich so knallhart zelebrierten Liebesgeschichte abtun. Marelli wollte aber, wie er es selbst formuliert hat, ein „poetisches Bild“ an den Schluss setzen – und das ist ihm gelungen. Es ist ihm auch gelungen, die Masse der Goldgräber gut zu führen, den Mob im dritten Aufzug zu beängstigender Lynchjustiz anzuspornen – aber dann kommt Minnie und vor ihr knicken die hartgesottensten Männer ein wie vor einer Heiligen.

Musikalisch war kein großes „Schmachten“ angesagt, egal ob Räuber, Sheriff oder Minnie, die Stimmen waren alle mehr auf Saloon, denn auf Salon getrimmt: mehr kräftig als gepflegt. Das gerade der kurzfristige Einspringer Claudio Sgura den besten Eindruck hinterlassen würde, war doch ein wenig überraschend. Sgura war für die Partie die vierte (!) Wahl gewesen. Carlos Alvarez hatte schon zwei Monate vor der Aufführungsserie den Jack Rance abgesagt, dann wurde Wolfgang Koch nominiert, der ebenfalls absagte, dann Roberto Frontali, der so kurzfristig erkrankte, dass Claudio Sgura am Tag der Wiederaufnahme (7. Jänner) per Auto von Ferrara nach Wien reisen musste, um ein knappe Stunde vor Vorstellungsbeginn in der Wiener Staatsoper einzutreffen.

Insofern hat es ein paar Umwege gebraucht, um den derzeit womöglich profiliertesten Jack Rance italienischer Provenienz an die Wiener Staatsoper zu bringen. Sgura hat 2013 zweimal den Scarpia am Haus gesungen – und dann war Pause bis zum Jänner 2024. Sein etwas dunkler, kerniger Bariton ist für die Staatsoper kräftig genug, auch von der Statur passt er sehr gut für den grimmingen Kerl, der mit Minnie um Johnson und ihre Unschuld pokert.

Malin Byströms Minnie hinterließ einen besseren Eindruck als ihre Salome (Staatsopernpremiere 2023), ihre farblich schon etwas ausgeglüht klingende Mittellage war für die Staatsoper und Puccini kräftig genug und fühlte sich im „Dauerforte“ einigermaßen wohl, Spitzentöne waren allerdings ziemlich problematisch, für Details blieb wenig Raum. Darstellerisch gelang es ihr gut, den Charakter Minnies zwischen Bibelfestigkeit und whiskeygeschwängerter Saloonatmosphäre zu verankern. Yonghoon Lee war ein etwas eindimensionaler Räuberhauptmann, mit lautstarkem Tenor, was in dieser brutalen Gesellschaft goldsuchender Glücksritter aber zumindest kein Fehler ist. Lee hielt sich an diesem Abend mit gesanglichem Outrieren zurück und ergänzte Bariton und Sopran mit gut zum Gesamteindruck passendem Banditentestosteron, von ihm im dritten Akt angesichts des Galgens zu breitwandig ausformulierten, wehmütigen Gefühlen destilliert. Die vielen kleineren Rollen wurden von Carlos Osuna angeführt, dem die Partie des Nick zu liegen scheint.

Carlo Rizzi (für Simone Young eingesprungen, Hausdebüt am 7. Jänner) sorgte am Pult für eine im besten Sinn kapellmeisterliche, schnörkellose Umsetzung von Puccinis kleinteiliger Partitur, an der man doch immer wieder den großen melodiösen Bogen vemisst. Julius Korngold hat diesen Tatbestand in seiner bereits zitierten Besprechung unter dem Begriff „Schilderungs- und Melodiechenmosaik“ subsumiert. Der Schlussapplaus an diesem kalten Wintertag hielt sich an die an Repertoireabenden inzwischen „üblichen“ fünf Minuten.

PS: An Minusgrade ist in Wien derzeit kein Mangel – zum Glück gab es nach der Vorstellung keinen fatalen Schneesturm so wie im zweiten Akt der Oper.