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Barrie Kosky und seine „Fledermaus“ in München – Das hat uns noch gefehlt

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Maximale Revue, auf dem Sofa: Georg Nigl als Wahnsinnigster von allen, Katharina Konradi mit Operetten-Gen. Foto: Wilfried Hösl
Maximale Revue, auf dem Sofa: Georg Nigl als Wahnsinnigster von allen, Katharina Konradi mit Operetten-Gen. Foto: Wilfried Hösl © Wilfried Hösl

Erhörte Wünsche, unerhörte Einfälle: Eine Münchner „Fledermaus“ von Barrie Kosky und Vladimir Jurowski, in der alles sitzt – manchmal sogar fast zu gut.

Knappe 120 Minuten gehen ins Theaterland, da schlägt normalerweise die Stunde des Kammerschauspielers mit Kabarettambition. Ein in Ehren ergrautes, meist nach Humormottenkugeln muffendes Solo, dazu zelebrierte, gut abgehangene Pointen: Der Frosch, das ist der Jedermann der Operette. Doch hier gibt es gleich sechs, und einer kann tanzen, ganz famos sogar. Es ist Max Pollak, der sich bei der Pizzicato-Polka mit Körperperkussion und Steppschritten seine Ovation abholt. Überhaupt ist vieles anders in Akt drei, der – Johann-Strauß-Fans müssen stark sein – das Schwächste bleibt an der „Fledermaus“, die bis zum letzten Akkord des Ball-Bildes ja fast alle Musikraketen abgefeuert hat.

Barrie Kosky, Faktotum der schwül-leichten Muse, lässt sich da erst recht aus der Reserve kitzeln. Ein Gefängnisgerüst, darin unterwegs Direktor Frank, den Martin Winkler als aasiges Phantom der Oper gibt, angetan nur mit Pumps in Übergröße und Glitzer-Slip, aus dem er allerlei Zeug fummelt, unter anderem den Zentralschlüssel. Als dann noch Eisenstein alias Georg Nigl hinzukommt, ebenfalls gewandet in die Transenreste von Orlofskys queerer Party, kippt die Sache in die Bizarrkomik – als habe Regie-Fiesling Frank Castorf ein einziges Mal in seinem Berufsleben zu echtem Humor gefunden.

Koskys Version von Akt drei ist das Beste dieser Premiere. Die Bayerische Staatsoper hat sich den Ex-Chef von Berlins Komischer Oper geholt – und exakt das Bestellte bekommen. Wer das bemäkelt, meist aus der Fraktion der Theatervielseher, übersieht das Wichtigste: Einen solchen überdrehten, augenzwinkernden, glitzer-glamourösen Abend kriegt derzeit nur einer hin. Routine heißt in diesem Fall: Kosky kann’s. Ein Rausch mit Ansage. Natürlich sind das alles Knallchargen, die durch die Szenen mit ihren verschieb- und drehbaren (und akustisch problematischen) Bühnenbild-Elementen von Rebecca Ringst irren. Aber alle mit liebenswürdigem Charme und menschlich geerdet. Vor allem Männer, die den Rand des Nervenzusammenbruchs längst hinter sich gelassen haben und als freie Radikale über dem Abgrund schweben.

Der Wahnsinnigste von allen ist Georg Nigl. Ein Eisenstein, dessen glubschende Augen mühelos als Ersatzscheinwerfer taugen könnten. Einer, der rast und singt und tanzt und barmt, seine Rolle zwerchfellerschütternd ernst nimmt, dabei auf dem Ball von Orlofsky lustvoll Konditionsgrenzen überschreitet. Letzterer ist eine Dragqueen, die bei Countertenor Andrew Watts nicht nur scharf aussieht, sondern auch so klingt. Katharina Konradi als entzückende, stimmgehaltige Adele hat, als Johann Strauß selig das Operetten-Gen verteilte, mindestens dreimal „Hier“ gerufen.

Markus Brück ist als Entertainer-Falke der Ruhepol des Ganzen. Sean Panikkar (Alfred) gefällt sich als ralliger Tennislehrer mit tenoralen Höhenspaziergängen. Und die aufgekratzte Diana Damrau (Rosalinde) passt perfekt zum Rest und in den Regie-Rahmen, auch wenn sie oft mit angezogener Handbremse singt.

Vladimir Jurowski ist mit dem Bayerischen Staatsorchester auf eine Neubefragung aus. Wer die „Fledermaus“ kennt, muss umhören. Der Generalmusikdirektor hat viel an Details gefummelt und riskiert eine extreme Tempo-Spreizung. Manchmal rast alles dahin wie in der Ouvertüre (während oben Eisenstein einen Albtraum mit Fledermaus-Ballett durchlebt), manchmal, in den Parlando-Strecken, gönnt Jurowski sich und den textplappernden Sängerinnen und Sängern viel Zeit. Dahingeschlenztes gibt’s mit dem Chef nicht. Alles sehr elaboriert, alles sehr kundig, doch noch merkt man die Absicht. Was fehlt, ist die Selbstverständlichkeit, auch das Loslassen – künftige Aufführungen könnten das heilen.

Auf der Bühne greift dagegen alles perfekt ineinander, als laufe die Produktion seit Wochen. Gearbeitet wird weniger mit vollständigen Szenerien, sondern mit schnell wandelbaren Versatzstücken. Akt eins spielt am Judenplatz im ersten Wiener Bezirk, dezenter Hinweis auf die Herkunft von Komponist und Regisseur. Koskys Dauer-Choreograf Otto Pichler sorgt für ein übertouriges Ball-Bild, Klaus Bruns beschert dazu eine Kostümexplosion zwischen allen Geschlechtern. Problemlos könnte das übergehen in den Finalakt, doch dann hätte man fürs stark geforderte Gesangspersonal Sauerstoffzelte gebraucht. Sogar der dank Neu-Chef Christoph Heil präzise Staatsopernchor wirft sich ins Geschehen, als habe das Ensemble nie anderes praktiziert.

Am Sprechtext wurde geschraubt, Naturkomiker wie Nigl oder Winkler sind ohnehin eher frei unterwegs. Und geht es an die Standard-Pointen, werden die so weit ins Absurde getrieben, dass auch „Fledermaus“-Nerds amüsiert sind. Mit viel Aufwand wird da eine im Grunde dreckige Wiener Vorstadtkomödie zur Revue-Operette aufgedonnert, die gern auch in die Groteske strauchelt. Kosky überdehnt vieles, überreizt das Stück aber nicht. Wichtig ist nicht eine neue Erkenntnis, sondern das Credo dieses Werks („Glücklich ist, wer vergisst“). Auch die heftig jubelnde Premierengemeinde beweist ja: Diese Aufführung hat uns, mit Blick auf die Nachrichtenlage, gerade noch gefehlt.

Staatsoper München: 28., 31. Dezember, 2., 5., 7., 10. Januar. staatsoper.de

Übertragung der Aufführung am 31. Dezember, 22.40 Uhr, auf staatsoper.tv und Arte, danach 30 Tage in der Arte-Mediathek.

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