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Aus Mozarts Füllhorn: Simon Rattle dirigiert „Idomeneo“

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Andrew Staples, Simon Rattle, Magdalena Kožená , Elsa Dreisig , Sabine Devieilhe
Standing Ovations für eine erlesene Riege: Andrew Staples (Idomeneo, v.li.), Chefdirigent Simon Rattle, seine Frau Magdalena Kožená (Idamante), Elsa Dreisig (Elektra) und Sabine Devieilhe (Ilia). © Astrid Ackermann/BR

Es ist eine seiner Lieblingsopern, und dirigiert hat Simon Rattle Mozarts „Idomeneo“ schon an vielen Karrierestationen. Die konzertante Aufführung mit dem BR-Symphonieorchester löst Standing Ovations aus. Zu Recht.

Die schmeichelnden Lüfte, „Zeffiretti lusinghieri“, besingt sie gerade. Und man könnte schwören: Im Herkulessaal ist da plötzlich ein warmer Hauch; minutenlang vergisst man, dass man in einer Art Aussegnungshalle sitzt. Es ist ja nicht nur Lautmalerei, die Sabine Devieilhe in ihrer Ilia-Arie betreibt. Es ist das nahezu ideale Ineinandergreifen von Inhaltstransport, filigranem Nuancenspiel, Stilbewusstsein, kluger Agogik und technischer Perfektion, die ihr Singen zur scheinbar natürlichsten Sache der Welt macht. Nicht nur mit dieser nie süßlichen, durchaus stolzen Ilia schließt die Französin auf zu – gewiss anders timbrierten – Mozart-Legenden wie Lucia Popp und Barbara Bonney.

Und es ist nicht das Einzige, das sich in diesem konzertanten „Idomeneo“ bestaunen lässt. Mozarts Oper, 1781 ein paar Meter weiter im Cuvilliéstheater uraufgeführt, zählt zu den Lieblingsstücken von Sir Simon Rattle. Schier überall hat er sie dirigiert, zuletzt im vergangenen März an der Berliner Staatsoper. Was seine aktuelle Großtat beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks von der Serie an der Spree unterscheidet: vor allem die Besetzung.

Luxuriös besetzte Solo-Riege

Andrew Staples ist wieder dabei als Idomeneo. Ein Tenor, der die Tragik, das Zerrissene des Kreterkönigs so gut verdeutlichen kann – gerade weil er sich selten nach vokaler Grandezza anhört. Magdalena Kožená missversteht auch in München den Idamante nicht als Lieferanten von Mezzo-Schaustücken. Es ist die Deutung einer herben, wahrhaftigen Tragödin, der man vielleicht etwas mehr Tiefenresonanz wünscht. Auf den übrigen Positionen gibt es einen Riesensprung zur Berliner Riege: Elsa Dreisig, die trotz kühlem Elektra-Furor nie ihre gute Stimmerziehung vergisst. Oder Allan Clayton, vor einigen Monaten Hamlet an der Bayerischen Staatsoper und hier als Oberpriester kurzfristig eingesprungen, der problemlos zum Idomeneo wechseln könnte. Oder Luxusbesetzung Tareq Nazmi, der das Orakel zum Naturereignis werden lässt.

Wenn es ein Vergleich zu einem anderen Münchner „Idomeneo“ sein darf: Constantinos Carydis hat das Werk 2021 bei den Opernfestspielen noch mehr in den Wahnwitz getrieben. Auch Rattle greift die Angebote von Mozarts avanciertester Partitur lustvoll auf. Doch statt auf dramatische Überhitzung ist er mit seinem BR-Symphonieorchester auf anderes aus. Die Gleichzeitigkeit von scheinbar Unvereinbarem interessiert ihn. Das Spiel mit den Schichten, mit der parallelen Existenz von verschiedenen Aggregatszuständen dieser Musik. Am intensivsten, eindrücklichsten im „Todes-Quartett“, am überschäumendsten in den großen Ensembleszenen. Der BR-Chor gewinnt hier im Laufe der drei Stunden an Text-Prägnanz und singt auf Augenhöhe mit den Solisten.

Der Chefdirigent als Motivator

Für diese konzertante Aufführung hat Rattle ein paar Rezitative gekürzt, zudem fallen Wiederholungen etwa im Marsch weg. Dafür sind beide Arbace-Arien zu hören (sehr selbstgewiss: Linard Vrielink), auch die finale Verzichtserklärung des Titelhelden „Torna la pace“ bleibt drin. Welche Farbexplosion die BR-Symphoniker in der Ballettmusik ausgelöst hätten, werden wir allerdings nie erfahren – eine der effektvollsten Kompositionen Mozarts wurde gestrichen.

Den „Idomeneo“ begreift Rattle als Füllhorn. Ohnehin ist er ja mehr Motivator, kein strenger, präzise schlagender Kapellmeister. Man erlebt ein Jonglieren mit Details auf engem Raum. Das Kantable auch im Instrumentalen ist wichtiger als die zuspitzende oder harsche Geste. Alles ist durchlüftet, darf atmen und pulsieren. Umso mehr fühlen sich die Musikerinnen und Musiker angestachelt. Es gibt an diesem Abend Solo-Momente in den Bläsern, die man von kaum einem anderen Orchester in dieser Mischung aus Schönheit und Selbstbewusstsein hören kann. Nicht umsonst nimmt Rattle im Zwischenspiel des Finalchores kurz auf seinem Barhocker Platz und signalisiert: Das können die auch allein. Standing Ovations.

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