Oper
Oper , sehr traditionell an der Mailänder Scala, wo "Don Carlo" zu sehen war.
Brescia e Amisano ©Teatro alla S

"Es ist teuer und unnütz, und wahnsinnig schön", befand Loriot einst über das Faszinosum Oper. Der große Welt- und Menschenkenner wäre bei guter Gesundheit heuer 100 geworden. Die Mailänder Scala wiederum, einst von Maria Theresia ins künstlerische Leben gerufen, erfreut sich im 246. Jahr ihres Bestehens stabiler Vitalfunktionen. So einigermaßen. Wenn man sich am Donnerstagabend den Livestream der Saisoneröffnung anschaute, wollte man Loriots Diktum modifizieren und Oper als "teuer und unnütz, und wahnsinnig langweilig" beschreiben.

Der erste Grund: Riccardo Chailly. Speziell in den ersten zwei Akten kam Verdis Don Carlo so langsam voran wie ein Pferdefuhrwerk auf schlammigem Untergrund. Die Emotionen: wie in Bernstein eingeschlossen. Man hatte den Eindruck, dass der Langzeitmusikdirektor die durch den Wegfall des Fontainebleau-Aktes gewonnen Zeit – man gab an der Scala natürlich die vieraktige Mailänder Fassung von 1884 – direkt in seine Interpretation reinvestierte. Gemächlich ging’s mit der dysfunktionalen Königsfamilie bergab.

Aus der Regieurzeit?

Immerhin ging Chaillys Deutung Hand in Hand mit den statischen, gemäldenahen Bilderwelten von Lluís Pasqual. Die düsteren, hohen Hallen der Klosterkirche des Escorial (samt güldenem Hochaltar) dominierten die Szene, florale Gegenwelten gönnte der Spanier dem Publikum keine (Bühne: Daniel Bianco). Man hatte den Eindruck, dass diese Inszenierung seit der Zeit Philipps II. existiert (Kostüme: Franca Squarciapino). Mindestens. Wollte Scala-Chef Dominique Meyer hier ein Kontrastprogramm zur letztjährigen Eröffnung bieten, als Davide Livermore die Macbeths in futuristischen Filmsettings morden ließ? Buhs setzte es für die konservative Präsentation Pasquals aber genauso (und auch für Chailly).

Konstanz bot Meyer hingegen bei den Spitzenkräften: Neben Anna Netrebko (als Elisabetta) standen auch Francesco Meli (als Don Carlo) und Luca Salsi (als Posa) erneut am Besetzungszettel. Netrebko war wieder einmal eine Klasse für sich: feurig in ihrem Fight mit Prinzessin Eboli im 3. Akt, makellos im Schlussakt, in dem die 52-Jährige ein Panorama der Emotionen auffächerte („Francia!“). Elīna Garanča steigerte sich nach einem steifen Beginn beim maurischen Lied: entflammt ihre Auseinandersetzung mit Don Carlo im 2. Akt, furios die Spitzentöne bei O don fatale.

Ganz schön skurril

Meli & Salsi agierten verlässlich und klangschön, wenn auch wenig abwechslungsreich: fad und funkenfrei das berühmte Duett zu Beginn. Der leicht verschleimte Michele Petrusi berührte als Philipp II. mit seinem weich-mächtigen Bassbariton bei seiner Klage um Elisabetta. Tadellos, wenn auch etwas charismabefreit Jongmin Park als Großinquisitor (statt Ain Anger), als Oberaufseher im großen katholischen Weltgefängnis. Beseelt und stimmungsvielfältig der Chor der Scala; schade, dass alle Frauen dasselbe Perückenmodell tragen mussten. Obwohl das in seiner Skurrilität Loriot möglicherweise gefallen hätte. (Stefan Ender,8.12.2023)