Es war die erste Opernproduktion, die Nikolaus Bachler, Vorgänger des derzeitigen Staatsintendanten Serge Dorny, im Oktober 2007 verantwortete. Regisseur der neuen Inszenierung von Giuseppe Verdis Macbeth war damals Martin Kušej, der sich für die blutrünstige Geschichte, nach dem Schauspiel des englischen Dramatikers William Shakespeare vom Librettisten Francesco Maria Piave geschrieben, provokant immer wieder künstlicher Elemente von Gespenster- oder Horrorfilmen bediente und damit anfangs einen kleinen Skandal auslöste.

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Amartuvshin Enkhbat (Macbeth) in der Vorstellung am 29. November
© Wilfried Hösl

Macbeth, angestachelt gerade durch seine skrupellose Gattin, griff um 1040 nach der Königswürde durch den Mord am schottischen König Duncan und seinen Adligen, verfiel aber bei zunehmenden Selbstzweifeln dem Wahnsinn, der zu beeindruckenden Schlüsselszenen der Oper führt. Macbeth gilt als Verdis düsterste Schöpfung, gehört jedoch auch ohne aufwühlende Liebesgeschichte zu seinen gefragtesten Bühnenwerken. Gäste von Simon Keenlyside bis Anna Netrebko nahmen bisher in München die fragwürdige Herrscherbürde auf sich.

Einem besonderen Stresstest war die nun besuchte Vorstellung ausgesetzt: in Folge von Warnstreiks des Bühnenpersonals, dessen Vertretung derzeit in langwierigen Verhandlungen mit kommunalen Arbeitgeberverbänden ist und mit dessen Interessen sich vor Beginn des Opernabends Serge Dorny ausdrücklich solidarisierte, musste auf Bühnenhandlung und bewegte Szenenbilder verzichtet werden. Immerhin konnte eine an die Gegebenheit adaptierte, konzertante Aufführung vor einem großformatigen einheitlichen Bühnenbild stattfinden, das die sonst mit Hunderten von fahl weißen Schädeln übersäte Bühne beeindruckend widerspiegelte. Zumindest ein Dutzend Totenschädel davon waren auf der Spielfläche übrig geblieben so wie das karge königliche Zelt, das auch in der Inszenierung Angelpunkt des Geschehens ist: wie die psychische Situation der Macbeths ist es nicht besonders stabil und verdeckt wiederholt die mörderische Tat. Werner Fritz' Kostüme sind zeitlos, beim Herrscherpaar in schweren Mänteln oder Kleidern gediegen, ohne schottische Klischees zu bedienen.

Dem aus Verona stammenden Andrea Battistoni, in München bereits bestens bekannt von Verdi- und Puccini-Dirigaten, folgten die Musizierenden des Staatsorchesters vom ersten Ton an hellwach und mit herausragender Brillanz. Battistoni begann die Ouvertüre in ruhigem Zeitmaß, gab dann in mitreißendem Accelerando einen Vorgeschmack auf blutiges brio in Verdis Meisterwerk, federnden Elan in glänzenden Tuttipassagen, beseelte Instrumentalsoli in Momenten ruhiger Sammlung.

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Saioa Hernández (Lady Macbeth) in der Vorstellung am 29. November
© Wilfried Hösl

Mit dem aus der Mongolei stammenden Bariton Amartuvshin Enkhbat und der spanischen Sopranistin Saioa Hernández waren zwei in München noch wenig bekannte Solisten als Protagonisten eingeladen worden, die wunderbar eindringliche Bilder für die Seelenlandschaften des Königspaares und dessen Gefühlskälte schufen. Eindrucksvoll arbeitete Hernández die Rolle der Lady Macbeth heraus, die maßgeblich ihren Mann zu seinen Taten und seinem Aufstieg anstachelt. Absolute Highlights ihrer Partie waren ihre Cavatina „Nel dì della vittoria” im ersten Akt sowie die Schlafwandelszene, wenn sie albtraumhaft in trübem Licht durch ihre Gemächer irrt, beobachtet von Kammerfrau und Arzt (Mirjam Mesak und Martin Snell). In der einzigen wirklich präsenten Frauenrolle dieses Werks zeigte Hernández langen Atem, enorme Spielkraft und vokalen Glanz in volumenreicher Höhe ebenso wie in glühender Mezzodichte.

Amartuvshin Enkhbat gestaltete die Titelrolle mit jeder Faser seiner Erscheinung, gerade in seinen Fiebervisionen zeigte er ein erschütterndes Portrait des Potentaten. Herausragend war er in kantablen Augenblicken, wie im Selbstmitleid seines „Pietà, rispetto, amore” im vierten Akt, aber ebenso in dramatischen Momenten, mit beeindruckender stimmlicher Energie, die Abscheu ebenso wie Mitleid mit der Titelfigur forderte. Roberto Tagliavinis Banco zeichnete sein sonorer Bass aus; Stefan Pop debütierte mit angenehm tenoralem Schmelz in der Rolle des Macduff.

Solisten des Tölzer Knabenchors spielten sympathisch stumme Hexenrollen, die um den König schwirrten, bei Macbeths Visionen als langmähnige Miniatur-Bancos erscheinen, um den Geist des ermordeten Macbeth-Rivalen zu symbolisieren. Der neue Chordirektor Christoph Heil hatte den Staatsopernchor zu makellos vortrefflicher Leistung einstudiert; mit dem Wegfall kontinuierlicher Bühnenhandlung blieben die Sänger weitgehend statuarisch, dem kommentierenden Chor griechischer Tragödien vergleichbar.

Ein trotz szenischer Einschränkung berührender Opernabend: volle Konzentration konnte man auf Verdis phänomenale Opernmusik richten, die von den Klangkörpern zu vollendeter Schönheit erweckt wurde. Und sogar ein stilgerecht in Kilt gekleideter schottischer Fan wurde in der Pause gesichtet.