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Winter in Schwetzingen

Das Barock-Fest
01.12.2023 - 04.02.2024

Nebucadnezar
(Der gestürzte und wiedererhöhte Nebucadnezar,
König zu Babylon, unter dem großen Propheten Daniel)

Oper in drei Akten
Libretto von Christian Friedrich Hunold
Musik von Reinhard Keiser


In deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 50' (eine Pause)

Premiere im Rokokotheater Schwetzingen am 1. Dezember 2023

 


 

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Liebeskarussell vor alttestamentarischem Hintergrund

Von Thomas Molke / Fotos: © Susanne Reichardt

Seit 2019 steht beim Barock-Festival Winter in Schwetzingen die bisher sträflich vernachlässigte deutsche Barockoper im Zentrum der alljährlichen Opernproduktion. Im vergangenen Jahr war die Wahl auf Reinhard Keisers Ulysses gefallen. Dass man auch in dieser Saison wieder eine Oper von Keiser ausgewählt hat, mag daran liegen, dass sich am 9. Januar 2024 Keisers Geburtstag zum 350. Mal jährt und dieser Tag ja in das Festival fällt. Während Ulysses allerdings vier Jahre nach Keisers Zeit als Intendant der Hamburger Gänsemarktoper entstand, als er sein Glück in Kopenhagen am Hof des dänischen Königs Friedrich IV. suchte, kam Nebucadnezar fast 20 Jahre früher zur Uraufführung, als Keiser seinen Posten in Hamburg gerade angetreten hatte, und stellte, wenn man den Aussagen des Zeitzeugen Benjamin Wedel Glauben schenken darf, einen großen Erfolg dar. Garant dafür war neben der Musik aber auch der Librettist Christian Friedrich Hunold, der bereits als Autor von Romanen und Lyriksammlungen bekannt war. Dass die überaus fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Keiser und Hunold nach nur drei Werken wieder endete, mag an Hunolds Lebenswandel gelegen haben, der seine Flirts mit den diversen Sängerinnen des Hauses wohl ein bisschen zu weit trieb.

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Nebucadnezar (Florian Götz, Mitte rechts) vertraut sich dem Propheten Daniel (João Tereira, Mitte links) an.

Dass Hunold und Keiser sich bei ihrer zweiten Zusammenarbeit für eine alttestamentarische Geschichte entschieden, mag in zweifacher Hinsicht verwundern. Zum einen passte ein biblisches Thema nicht zu Hunolds Lebensstil, zum anderen waren die geistlichen Stoffe zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Hamburg aus der Mode gekommen. Aber ähnlich wie in Verdis Nabucco stehen auch bei Keiser andere persönliche Verwicklungen im Zentrum der Handlung. Außer der Titelpartie kommen bei Keiser ganz andere Figuren vor als bei Verdi. Da ist zunächst der Prinz Darius, der gleich von drei Frauen geliebt wird: von Cyrene, einer Prinzessin, die sich schlussendlich allerdings mit Nebucadnezars Sohn Beltsazer zufrieden geben muss, von Barsine, Nebucadnezars Tochter, und ihrer Mutter Adina, die sogar soweit geht, ihre eigene Tochter zu vergiften, um Darius für sich zu gewinnen. Im Rahmen dieses wilden Liebeskarussells werden dann auch die biblischen Erzählungen über den babylonischen König und den Propheten Daniel gestreift. Nebucadnezars intrigante Gattin Adina wurde wohl erst während der Probenarbeit in die Oper eingeführt, als klar war, dass die überaus erfolgreiche Christine Pauline Kellner aus Italien als Publikumsmagnet nach Hamburg kommen würde und man für sie noch eine besondere Rolle benötigte. Daher setzt sie musikalisch relativ spät in der Oper ein, was das Inszenierungs-Team um Felix Schrödinger allerdings nicht daran hindert, sie bereits von Anfang an ins Zentrum der Personenregie zu rücken.

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Adina (Shira Patchornik, Mitte) will nur scheinbar Darius (Dennis Orellana) mit ihrer Tochter Barsine (Theresa Immerz, links) verbinden (im Hintergrund: Christian Pohlers als Cores).

Schrödinger betrachtet die Geschichte als barocke Soap-Opera, weshalb Bühnen- und Kostümbildner Pascal Seibicke die Handlung weder im vorchristlichen Babylon noch im 18. Jahrhundert sondern in der Gegenwart ansiedelt. In der Mitte der Bühne steht eine Art Himmelbett auf einem dunklen Podest, das jedoch, anders als man vielleicht erwarten könnte, nicht für diverse Liebesspielchen dient, sondern eher als Krankenlager für den sich selbst überschätzenden König genutzt wird. Dieser kehrt zu Beginn nicht von einem erfolgreichen Feldzug zurück, sondern war shoppen, was die zahlreichen noblen Einkaufstüten andeuten, mit denen er die Bühne betritt. Auch die anderen Familienmitglieder treten recht hip auf. Nur Daniel und Sadrach, die am Hofe wie Sklaven gehalten werden, heben sich in einfachen schwarzen Kostümen von den anderen Figuren ab. Dabei haben sie auch einiges auszuhalten. Wenn sie gefoltert werden, drücken Beltsazer und Nebucadnezars Vertrauter Cores ihre Köpfe immer wieder in mit Wasser gefüllte Eimer. Dass Franko Klisović als Sadrach und João Tereira als Daniel dabei in der Lage sind, kurz nach dem Eintauchen sofort weiterzusingen, ist schon beachtlich.

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Nebucadnezar (Florian Götz, Mitte oben) wird von den anderen nicht mehr ernst genommen: von links: Darius (Dennis Orellana), Cores (Christian Pohlers), Adina (Shira Patchornik), Daniel (João Tereira), Sadrach (Franko Klisović), Cyrene (Sara Gouzy), Beltsazer (Stefan Sbonnik) und Barsine (Theresa Immerz).

Verwirrung stiften die sakralen Elemente, die Schrödinger in die Inszenierung einbaut. Wenn Nebucadnezar von seinen Alpträumen heimgesucht wird und er Rat bei Daniel sucht, tritt immer wieder ein Statist als weißer Engel auf und schreitet majestätisch über die Bühne. Das mag zwar als Vision des göttlichen Eingreifens gedacht sein, passt aber eigentlich nicht zum Gegenwartskonzept der Inszenierung. Auch bleibt unklar, wieso nach der Pause auf der rechten Seite christliche und auf der linken Bühnenseite orthodoxe Kreuze mit Kerzenhaltern aufgestellt sind, die gemeinsam mit den auf das Bett ausgerichteten Stühlen und den Büchern, die beim Auftritt der Figuren verteilt werden, an einen Gottesdienst erinnern. Hinzu kommt noch eine Madonna im Hintergrund, die auf einer Sackkarre auf die Bühne gefahren worden ist. Wenn Nebucadnezar auftritt, trägt er ein langes weißes Gewand mit einer blauen Schärpe und wirkt wie eine Karikatur der römischen Antike. Soll damit motiviert werden, wieso seine Familie ihn verstößt? Im Folgenden wird er als Pflegefall im weißen Nachthemd im Rollstuhl auf die Bühne gefahren, und seine Visionen ergeben sich wohl eher durch die Infusionen, die Sadrach ihm spritzt.

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Adina (Shira Patchornik, oben) hat verloren (unten: Nebucadnezar (Florian Götz)).

Während die Liebesverwicklungen in einer ausgeklügelten Personenregie mit einer Prise Ironie aufgebaut werden und man sich bei Darius lange Zeit nicht sicher ist, welche von den drei Frauen er denn nun wirklich begehrt oder ob er sich vielleicht doch nicht nur selbst liebt, läuft die Figurenführung ab einem bestimmten Punkt nach der Pause ins Leere. Wenn Adina ihre Tochter Barsine vergiftet hat und die vermeintlich tote junge Frau von der Bühne geschafft worden ist, bleibt zunächst unklar, ob sich Darius nun Adina zuwendet oder zu Cyrene zurückkehrt. Völlig überraschend zieht er dann die verstorbene Braut in einem Leichensack auf die Bühne, öffnet ihn und präsentiert die glanzvollste Arie der ganzen Oper. Dennis Orellana, der als Darius mit einem reinen, klaren Sopran glänzt, der nicht von einer Frauenstimme zu unterscheiden ist, begeistert hier mit halsbrecherischen Koloraturen, flexiblen Läufen und großem dramatischen Ausdruck. Dass seine Geliebte danach wieder erwacht, wundert ihn scheinbar genauso sehr wie das Publikum, weil textlich überhaupt nicht erläutert wird, dass die Giftdosis wohl nicht tödlich war. Ab diesem Moment verliert man szenisch den Faden. Die Arien wirken nur noch aneinandergereiht, ohne dass sich in der Personenführung eine Entwicklung erkennen lässt. Misstraut die Regie den "glücklich zusammengeführten" Paaren? Auch die reumütige Adina findet nicht wirklich zu ihrem geläuterten Gatten Nebucadnezar zurück. Während er weiter im Rollstuhl dahinsiecht, versteckt sie sich im Himmelsbett und zieht die Vorhänge zu, um sie anschließend wieder aufzuziehen und sich an die Vorhänge zu klammern. Langsam verlischt dabei das Licht, während man aus dem Off  a cappella einen Choral hört, bei dem nicht klar ist, ob er nun aus der Oper stammt oder hinzugefügt worden ist.

Musikalisch bleiben an diesem Abend keine Wünsche offen. Da ist zunächst Barockspezialistin Dorothee Oberlinger zu nennen, die das Philharmonische Orchester Heidelberg mit viel Fingerspitzengefühl durch die Partitur führt, die als sehr abwechslungsreich bezeichnet werden kann. Keiser erweist sich mal als Meister der Dramatik und fügt auch durchaus komische Momente ein. Die Rezitative werden nicht nur am Cembalo begleitet, sondern auch von einer Barockgitarre, einem Fagott, einem Kontrabass und einem Violoncello, was der Musik eine teilweise ungewohnte, aber sehr ausdrucksstarke Note gibt. Natürlich lässt es sich Oberlinger nicht nehmen, auch selbst zur Blockflöte zu greifen und mit weichem Klang zu begeistern. Shira Patchornik begeistert als Adina durch eine enorme Bühnenpräsenz und macht von Anfang an deutlich, dass sie hier die eigentliche Strippenzieherin im Stück ist. Dabei verfügt sie über einen strahlenden Sopran, der in den Höhen eine atemberaubende Beweglichkeit besitzt. Ihre Glanzarie hat sie direkt vor Orellana im zweiten Teil, wenn sie erkennt, dass ihre Intrige nicht aufgeht. Hier punktet Patchornik mit sauber angesetzten Koloraturen.

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Beltsazer (Stefan Sbonnik) liebt Cyrene (Sara Gouzy).

Florian Götz stattet die Titelpartie mit kraftvollem Bariton aus, der die Uneinsichtigkeit des Königs unterstreicht. Dabei setzt er auch beeindruckend die Schwächen Nebucadnezars um, wenn er für seine Hybris vom Himmel bestraft wird. Theresa Immerz begeistert als Barsine mit leuchtendem Sopran. Stimmlich harmoniert sie wunderbar mit Orellana als Darius. Sara Gouzy verfügt als Cyrene über einen etwas dunkleren Sopran, der die Leiden der jungen Frau über Darius' Zurückweisung glaubhaft zum Ausdruck bringt. Stefan Sbonnik gibt den ungeliebten Beltsazer mit höhensicherem Tenor, der im Vergleich zur warmen Stimmfarbe von Orellana nahezu kalt klingt. Christian Pohlers gestaltet Nebucadnezars Vertrauten Cores mit kräftigem Tenor. Interessant ist die Besetzung bei Daniel und Sadrach. Von den Rollen hätte man vielleicht eher erwartet, dass die zentralere Figur des Daniel von einem Countertenor gesungen würde. Die Partie ist aber mit dem Tenor João Tereira sehr gut besetzt. Tereira punktet als Prophet mit kraftvollen Höhen. Auch Franko Klisović lässt mit weichem Countertenor als Sadrach keine Wünsche offen, so dass es für alle Beteiligten großen Applaus gibt.

FAZIT

Musikalisch hat es die deutsche Barockoper verdient, dass ihr etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Personenregie geht leider nur bis zur Mitte des zweiten Teils auf.

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Produktionsteam  

Musikalische Leitung
*Dorothee Oberlinger /
Gerd Amelung

Regie
Felix Schrödinger

Bühne und Kostüme
Pascal Seibicke

Lichtdesign
Andreas Rehfeld

Dramaturgie
Thomas Böckstiegel



Philharmonisches Orchester Heidelberg

Barockgitarre /Arciliuto
Axel Wolf

Fagott
*Hitomi Wilkening /
Maurizio Wayar Soux

Violoncello
Sebastián Escobar Avaria /
Christoph Habicht

Kontrabass
Thomas Acker /
Georgi Berov

Cembalo
*Gerd Amelung /
Manon Parmentier

Statisterie des Theaters und Orchesters
Heidelberg

 

Solistinnen und Solisten 

*Premierenbesetzung

Nebucadnezar
*Florian Götz /
Sreten Manojlovic

Adina
*Shira Patchornik /
Hélène Walter

Barsine
Theresa Immerz

Cyrene
Sara Gouzy

Beltsazer
Stefan Sbonnik

Darius
Dennis Orellana

Cores
Christian Pohlers

Daniel
João Tereira

Sadrach
Franko Klisović





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