Mit seiner letzten Oper hat Verdi sich noch einmal neu erfunden. An die dreißig tragische Opern hat er geschrieben, nur eine einzige komische, mit der der junge Komponist allerdings beim Publikum durchfiel. Rund 50 Jahre später wird die neue Komödie Falstaff des inzwischen Achtzigjährigen ein rauschender Erfolg. Daran hat sein Librettist Arrigo Boito nicht geringen Anteil. Der schrieb ihm: „Das Lachen bringt eine neue Farbe ins Leben”.

Loading image...
Falstaff
© Martin Sigmund

Diesen Tipp und Boitos großartiges Textbuch nutzt Verdi zu dieser grandiosen Burleske über den alten dicken Ritter Falstaff, der zwei Bürgersfrauen gleichlautende Liebesbriefe schreibt und darauf von ihnen gehörig bestraft wird: erst im Waschkorb in die Themse geworfen und dann beim nächtlichen Zauberspuk ordentlich gepiesackt. Aber die Komödie hat auch viel Hintersinn. Am Schluss zeigt sich, dass alle irgendwie geprellt sind, denn „alles auf Erden ist Schabernack”. Und in der Musik parodiert sich Verdi selbst. Viel Ironie aber auch Sarkasmus stecken in Text und Musik.

Höchst unterhaltsam arbeitet die Stuttgarter Produktion vor allem die Komik des Stücks heraus. Regisseurin Andrea Moses hat den Spielort vom englischen Windsor der Shakespearezeit ins gegenwärtige Italien verlegt. Hier werden wir im ersten Akt hineingezogen in die Stimmung einer drittklassigen Absteige auf irgendeiner Hinterhofpiazza. Zwielichtige Typen sind da beim Zocken mit viel Rotwein beisammen: Falstaff mit seinen Kumpanen Pistola und Bandolfo, vor allem der coole Wirt, der permanent an einem Zigarettenstummel kaut, ständig Wein oder Espresso herbeischleppt und zur Umbaupause Adriano Celentano zum Besten gibt. Natürlich kommt dabei eine Schurkerei heraus. Weil er seine Rechnung nicht mehr bezahlen kann, will Falstaff sich an die beiden reichen Damen heranmachen. Er bietet Adel, sie machen vielleicht Geld locker.

Loading image...
Falstaff
© Martin Sigmund

Lucio Gallo gibt diesen Falstaff in einer Mischung aus Cleverness und lächerlicher Selbstüberschätzung, der nicht nur den heruntergekommen Adligen mimt, sondern auch den Dandy in feinem Tuch. Als Liebhaber stellt er sich ziemlich linkisch an, dafür ist er überzeugender in seiner Privatphilosophie: Was heißt schon Ehre? Doch nur ein Wort! Gallo gibt ein Kabinettstück nicht nur szenischen, sondern vor allem auch musikalischen Humors: mit seriösem Bariton, der im nächsten Moment ins Gemeine rutschen kann, wenn es der Text verlangt. Eine herrliche Type, aber es fehlt ihm der Bauch. Den hat ihm die Regie genommen, was schade ist, denn gerade durch den mächtigen Ranzen definiert sich ja dieser Schwerenöter. Er nennt ihn sein Reich, in dem er allein regiert.

Die Damen, Alice, Meg und Mrs. Quickly, erzählen sich nach dem Joggen von Falstaffs unsittlichen Anträgen, beschließen, ihm eine Abreibung zu verpassen und beauftragen Mrs. Quickly, als adrette Sekretärin mit Handy, Notizbuch und Aktentäschchen, Falstaff zum Stelldichein mit Alice einzuladen. Stine Maria Fischer trägt dabei allerdings ein bisschen zu dick auf, denn dumm ist Falstaff trotz seiner Selbstverliebtheit nicht und so würde er die Intrige vielleicht durchschauen. Subtilere Ironie wäre hier überzeugender gewesen, obwohl die Sängerin in Spiel und Stimme ihr Bestes gibt. Jedenfalls tappt Falstaff in die Falle und nimmt das Angebot liebend gern an.

Loading image...
Lucio Gallo (Sir John Falstaff)
© Martin Sigmund

Bei diesem Rendezvous geht natürlich Einiges schief, denn da ist noch Mr. Ford, Alice' eifersüchtiger Ehemann, der von seinem vermeintlichen Nebenbuhler erfahren hat und ihn wütend verfolgt. Im allgemeinen Trubel versteckt sich Falstaff zuerst hinter einem Wandschirm, dann im Wäschekorb, aus dem er schließlich unsanft in den Kanal gekippt wird. Die Regie hat das gut im Griff und folgt dem Tempo der Handlung. Der junge Dirigent Luka Hauser versucht dabei die Fäden in der Hand zu halten, wobei Verdi es ihm nicht leicht macht, die sich überlagernden Linien in Ensemble und Orchester exakt zu koordinieren.

Mit einer ungeheuren Schimpfkanonade beklagt Falstaff darauf die Schlechtigkeit der Welt. Lucio Gallo läuft hier nochmals zur Hochform auf. Da blasen die Hörner wie zum Jüngsten Gericht und wenn Falstaff sich zum Rendezvous mit Alice aufmacht, spielt die Musik einen kleinen Triumphmarsch. Was die Partitur alles an Verdis (Selbst-)Ironie bietet – hier ist es zu hören und der Dirigent arbeitet derartige Details schön heraus, vom Orchester lustvoll gespielt.

Loading image...
Falstaff
© Martin Sigmund

Das gesamte Ensemble lässt sich spielfreudig auf das Regiekonzept ein und singt durchweg ganz exzellent. Astrid Kessler hat als Alice gehörige Ausstrahlung und vokalen Reiz. Paweł Konik als Ford glänzt vor allem in seiner Eifersuchtsszene, Verdis vielleicht brillantesten Parodie in dieser Oper. Und dann ist da noch das Liebespaar Nannetta und Fenton, denen allein Verdi lyrische Musik vorbehalten hat. Natasha Te Rupe Wilson bezaubert auch als Feenkönigin in dieser Rolle beim nächtlichen Sommernachtsspuk mit schwebend leichtem Sopran und Joseph Tancredi nimmt mit emphatischem Tenor als Fenton für sich ein. Auch die übrigen Rollen sind zuverlässig besetzt.

Am Schluss lösen sich die Turbulenzen in Wohlgefallen auf und es gibt Sekt für alle. Komik hin oder her, aber der tiefere Sinn der Oper bleibt da ein wenig auf der Strecke. So leicht mag man über die kleineren und größeren Gemeinheiten in dieser Oper nicht hinweggehen. Denn der Humor in Verdis Abschiedswerk ist doch auch ein ganzes Stück bitter.

****1