Staatsoper
Freddie De Tommaso (Rodolfo) und Roberta Mantegna (Mimì) in "La Bohème".
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Man kann ein gutes Opernhaus auch als ein Warenhaus beschreiben, das Gesamtkunstwerke aller Art im Angebot haben sollte: Klassiker und Kassenschlager, aber auch Novitäten und Nischenprodukte. Auch deren Aufmachung sollte variieren, von traditionell bis exzentrisch. Für jeden etwas! Aber sind die Generalanbieter, so wie die Kaufhäuser, Relikte der Vergangenheit?

Peter Gelb, der Intendant der Metropolitan Opera, beklagte jüngst neben einem Schwund des Publikums und der Sponsoren auch ein sinkendes Interesse an konventionellen Inszenierungen etablierter Werke. Publikumserfolge verzeichnet man in New York mit Werken in gemäßigt moderner, ohrenschmeichelnder Tonsprache, die sich gegenwartsnahen Themen widmen.

Die Wiener Staatsoper setzt hingegen auf ein breites Repertoire etablierter Werke, die mal pittoresk altmodisch, mal instagrammable chic präsentiert werden. Während Violetta Valéry (in Simon Stones Inszenierung der "Traviata") als Influencerin gezeigt wird, die mit ihrem Alfredo via Smartphone chattet, darf sich Mimì in "La Bohème" am Weihnachtstrubel im Paris des 19. Jahrhunderts erfreuen. Die malerischen Bilder von Franco Zeffirellis Inszenierung verzaubern das Publikum seit mittlerweile 60 Jahren. In der Geburtstagsserie wurde das tragische Liebespaar Mimì und Rodolfo von Roberta Mantegna und Freddie De Tommaso gegeben.

Weich und geschmeidig

Den Briten mit italienischen Wurzeln kennt man am Haus seit seinem Debüt als Pinkerton neben Asmik Grigorian in Puccinis "Madama Butterfly" im September 2020. Und auch als Rodolfo beschenkte De Tommaso das Publikum mit seinem idealen, weich-geschmeidigen Tenor. De Tommaso ist kein Turbo wie sein Kollege Vittorio Grigolo und auch kein Gentleman-Interpret wie Vorgänger Benjamin Bernheim. Er ist quasi das Optimum dazwischen. Ab dem "Che gelida manina" wollte man nur noch die Augen schließen, wenn der 30-jährige Lookalike von Matt LeBlanc seiner Arbeit nachging.

Etwas strenger und fester präsentierte sich der Sopran von Roberta Mantegna, der aber als Mimì ein tadelloses Hausdebüt gelang. Erstklassig Rodolfos Kompagnons (Ensemblemitglied Leonardo Neiva als Marcello, Michael Arivony als Schaunard und Günther Groissböck als Colline). Maria Nazarova flirtete als durchschlagskräftige Musetta lustvoll mit dem Publikum, und Marco Armiliato heizte das Staatsopernorchester mit großgestischen Bewegungen im Pariser Winter ordentlich an. Auguri! (Stefan Ender, 28.11.2023)