Weinbergers Schwanda in Wien

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Auf nächtlicher Tour durch Wien

Tobias Kratzer inszeniert im Theater an der Wien Jaromir Weinbergers Oper „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ mit Andrè Schuen und Pavol Bresklik

Von Joachim Lange

(Wien, November 2023) Soweit ins Repertoire zurück, wie einst Ende der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, haben es die Werke des jüdisch-tschechischen Komponisten Jaromir Weinberger noch nicht gebracht. Aber die Nachwelt bemüht sich. Seine „Wallenstein“-Oper gab es in Münster. Barrie Kosky hat an der Komischen Oper in Berlin seine Operette „Frühlingsstürme“ wiederentdeckt. Und auch „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ hat hier und da (u.a. in Dresden 2012) wieder seinen Dudelsack geblasen. Allerdings spielt er das Instrument nur im Titel und nicht während der 1927 in Prag uraufgeführten und dann mit enormem Erfolg ab 1928 auf deutsch unter denkbar prominenter Stabführung Furore machenden Volksoper.

Dass es heute immer noch eines beherzten Ausgrabungsehrgeizes bedarf, um Weinbergers einst populäres Werk neu zu befragen, liegt an den Langzeitfolgen des Rassenwahns der Nazis, von dem bis heute große Lücken im gängigen Repertoire zeugen. Weinberger hatte bis kurz vor der Machtergreifung der Nazis Erfolg, überlebte deren Herrschaft ab 1939 im Exil in den USA, wo er aber nicht an seine europäische Karriere anknüpfen konnte und sich 1967 das Leben nahm.

„Schwanda der Dudelsackpfeifer“ gehört in die Gruppe der Ausgrabungen, die nicht nur notwendig und aller Ehren wert, sondern die obendrein schon rein musikalisch auch heute noch das pure Vergnügen sind. Denn der 1896 in Prag geborene Landsmann Smetanas und Janáčeks ging mit seiner Musik in die Vollen. Allein ein Fünftel der Partitur ist akustisches Wohlfühltheater für die Ohren, das nur aus dem Graben kommt! Vor allem hier schwelgen Petr Popelka und die Wiener Symphoniker geradezu. Weinberger bietet dafür den großen Ton einer nachhallenden Spätromantik und nimmt ihn gleichzeitig auf die Schippe. Er bedient sich beim italienischen Pathos und flirtet mit der Operette, lässt aber auch die Puppen diverser böhmischer Operndörfer tanzen.

Der doppelte Boden der märchenhaften Geschichte lag durch das Wehen des Zeitgeistes in der Entstehungszeit gleichsam in der Luft. Es ist gut nachvollziehbar, dass Tobias Kratzer für seine Interpretation, mitten in Wien, sich von Arthur Schnitzlers zeitgleich mit der Oper erschienenen „Traumnovelle“ inspirieren lässt. Seit 1999 ist deren Bildwelt obendrein von Stanley Kubricks Verfilmung „Eyes Wide Shot“ überlagert. Hier knüpfen Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier direkt an, verlegen die Geschichte in die unmittelbare Gegenwart und an den Ort der Aufführung, also ins Wien von 2023.

Es beginnt in einem schlichten Schlafzimmer mit einer Sexszene, als deren Akteure sich die Frau des Hauses Dorota und ein Mann vergnügen. Was zur Musik passt wie weiland das Vorspiel des „Rosenkavaliers“ zur dortigen Schlafzimmerszene. Etwas verblüfft ist man, dass der heimkommende Ehemann damit offensichtlich kein Problem hat, diesen Herrn Babinský mit seiner Frau im Schlafzimmer vorzufinden. Der ist eigentlich ein Räuber mit Robin-Hood-Image, der aus dem Wald ins Leben des Ehepaares hereinplatzt. Hier ist er so ein Fremder, der nicht nur eine (sexuelle) Wunschprojektion der Frau, sondern auch eine Irritation für den Mann ist. Den verführt er jedenfalls zu einer Reise, die im gut gemachten Video von Jonas Dahl und Manuel Braun durchs nächtliche Wien geht, samt Zwischenhalt am Würstelstand.

Die ominöse Königin, die sie besuchen, ist eine Society -Lady, die in einem der Nobelsalons residiert, die es in den Palais des ersten Wiener Bezirkes wohl immer noch wirklich gibt. Diese Frau weiß um die Wirkung ihrer Beinarbeit und nutzt das Verführungspotenzial. Ester Pavlu fügt dem noch ihren unwiderstehlichen Mezzosamt hinzu. Bei ihrem deutlich älteren Gatten (Sorin Coliban) reicht es für einen Griff in die Hose, der er zusieht wie sie Schwanda (fast) rumgekriegt. Da da taucht die jetzt plötzlich ziemlich eifersüchtige Dorota auf. Als sich Schwanda in dieser heiklen Situation zu Dorota bekennt, wird es für ihn lebensgefährlich und er kann nur knapp mit Babinskýs Hilfe einer (rituellen?) Hinrichtung in dieser obskuren Gesellschaft entkommen. Hier profitiert die sich plötzlich nach hinten öffnende Szene unmittelbar von der Schwarzen Messe in Kubricks Film.

In der etwas arg runtergekommenen Vorstadt-Hölle dann, beim ziemlich gemütlich wirkenden Plausch mit dem Teufel (vokal machtvoll, darstellerisch ins Ambiente passend: Krešimir Stražanac), funktioniert es nicht ganz so überzeugend. Rotlicht im Dunkel von Kellerbars mit Darkrooms – na ja. Dazu eine Dosis Orgie (im Film mit Softporno Anmutung) auf der Bühne mit nackter Haut und dem üblichen Als ob.

Die vokale und darstellerische Menage a trois ist jedenfalls eine Klasse für sich. Vera-Lotte Boecker überzeugt als Dorota in jeder Hinsicht. Ebenso Pavol Bresklik als ein Babinský, der zumindest noch vermeintliche Gewissheiten vor allem bei Schwanda raubt, aber sonst mehr zum Zweifel verführt. Und Andrè Schuen in der Titelpartie des sympathischen, etwas naiven Gutmenschen, der am Ende doch noch zu seinem Dudelsack greifen darf, um seiner Frau aufzuspielen. Bei diesem Happy End aber wird dann „abjeblendt“ (wie es bei Tucholsky so schön heißt). Alle anderen, und natürlich auch der Arnold Schoenberg Chor (Leitung: Erwin Ortner) schlagen sich hervorragend und werden vom Premierenpublikum mit viel Beifall bedacht.

Das Musiktheater an der Wien hat der Aufführung das Label „Empfohlen ab 16 Jahren“ beigefügt. Dazu wird eine „Intimititätskoordinatorin“ namentlich aufgeführt. Nun ja.

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