Die Hölle ist ein Wiener Beisl mit Spielautomaten, schummriger Beleuchtung und dubiosen Hinterzimmern; also zumindest, wenn es nach Regisseur Tobias Kratzer geht, der Jaromír Weinbergers Oper Schwanda, der Dudelsackpfeifer am MusikTheater an der Wien aus der tschechischen Märchenwelt in die Wiener Gegenwart holt. Wohl aus dramaturgischen Gründen wurde dabei nicht auf das tschechische Libretto zurückgegriffen, sondern auf die deutsche Fassung von Max Brod, der bei seiner Übersetzung die Handlung um eine Dreiecksbeziehung ergänzt hat.

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Vera-Lotte Boecker (Dorota)
© Matthias Baus

Und so betrügt in dieser Inszenierung Dorota ihren titelgebenden Ehemann Schwanda gleich zu Beginn mit Babinsky. Dieser scheint auch auf den hereinplatzenden Schwanda – den die Affäre seiner Frau übrigens ziemlich kalt zu lassen scheint – große Faszination auszuüben und so stürzen sich die beiden Männer gemeinsam ins Wiener Nachtleben. Die üppigen orchestralen Zwischenspiele werden vom Regisseur dabei klug für Videoprojektionen auf einem Glitzervorhang genutzt, sodass das Publikum in dieser Partynacht stets dabei ist.

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Ester Pavlu (Königin) und Andrè Schuen (Schwanda)
© Matthias Baus

Statt ins Reich einer Märchenkönigin mit gefrorenem Herz, befördert Kratzer seinen Titelhelden schließlich in einen eleganten Salon, in dem die Dame des Hauses ihn zu verführen versucht, während ihr nicht näher definierter Mitbewohner masturbierend die Szene beobachtet. Zur Eskalation kommt es, als Dorota auftaucht und die im Morden offensichtlich geübte „Königin” Schwanda im Rahmen eines Rituals enthaupten lassen will; dank Babinsky gelingt dem Trio jedoch die Flucht und in der ehelichen Wohnung kommt es zum Streit wegen Schwandas Untreue. Hier spießt sich Kratzers Inszenierung dann leider gehörig mit dem Text, denn dass Dorota so penetrant auf Treue pocht, ist angesichts ihres eigenen Seitensprungs fast schon lächerlich.

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Vera-Lotte Boecker (Dorota) und Andrè Schuen (Schwanda)
© Matthias Baus

Schwanda kündigt an, zur Hölle fahren zu wollen, falls auch nur irgendetwas zwischen ihm und der Königin gelaufen sei und prompt findet er sich in der nächsten Szene im eingangs erwähnten Höllenbeisl wieder, in dem er dem Teufel in Form eines Unterwelt-Stritzis seine Seele verkauft. Zwischen Koks, Kartenspiel und Orgie gelingt es Babinsky aber, Schwanda auch aus dieser Situation zu befreien und ihn nach einem nicht ganz platonischen Abschiedskuss wieder zu Dorota zurückzubringen.

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Andrè Schuen (Schwanda)
© Matthias Baus

Unklar bleibt schließlich, ob sich die Nacht nur im Kopf der Figuren abgespielt hat, denn die Geschichte endet szenisch wie sie begonnen hat – mit Dorotas Seitensprung und dem nach Hause kommenden Schwanda; dieses Mal folgen jedoch weder Streit noch Partytour, sondern Wiedersehensfreude zwischen Dorota und Schwanda, während Babinsky die Wohnung alleine verlässt. Nicht alles an dieser Inszenierung ergibt hundert Prozent Sinn, aber der tiefenpsychologisch modernisierte Märchentrip sorgt für einen neuen und interessanten Blickwinkel auf das Werk.

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Pavol Breslik (Babinsky)
© Matthias Baus

Trotz Rockstar-Optik scheint der Titelheld Schwanda noch nicht wirklich mit dem wilden Lifestyle in Berührung gekommen zu sein, denn etwas unbeholfen und überfordert stolpert dieser Charakter im Wiener Nachtleben von einer heiklen Situation in die Nächste. Andrè Schuen verkörperte das ebenso glaubhaft wie stimmgewaltig, sein karamellig timbrierter Bariton floss stets perfekt fokussiert durch die Partie und bestach mit nuanciertem Einsatz vielfältiger Klangfarben. Ähnlich wie Mephisto, der Faust auf Abwege führt, zieht in der Geschichte Babinsky die Fäden der Handlung; diesen etwas zwielichtigen Charakter gestaltete Pavol Breslik mit einnehmender Bühnenpräsenz und viel Schmelz in der Stimme. Glänzend strahlten dabei die Höhen und die stärksten Momente hatte er dementsprechend auch in der romantischen Arie am Ende des ersten Akts, als er Dorota seine Liebe erklärt.

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Iurie Ciobanu (Des Teufels Famulus), Andrè Schuen (Schwanda), Pavol Breslik (Babinsky)
© Matthias Baus

Die zwischen feurig liebend und hysterisch verzweifelt changierende Dorota stattete Vera-Lotte Boecker mit raumgreifendem Sopran aus. In der Höhe neigte die Stimme zu einigen Schärfen und flackerndem Vibrato, entfaltete jedoch in der Mittellage einen warmen und farbenreichen Glanz. Dabei gelang es ihr stets – sowohl mit ihrem Spiel als auch stimmlich – die Figur dreidimensional und sympathisch wirken zu lassen, sodass man als Publikum mit ihrer Geschichte mitfieberte. Eine nonchalant unterkühlte Königin brachte Ester Pavlů darstellerisch auf die Bühne; und auch ihr silbrig timbrierter Mezzosopran mit dunkler Tiefe unterstrich diese Interpretation. Krešimir Stražanac gab den Teufel als unterhaltsames Schlitzohr und setzte seine Stimme dabei ebenso differenziert ein: so ließ er seinen Bassbariton mal dunkel poltern und dann wieder weich schmeicheln, um Schwanda zum Verkauf seiner Seele zu animieren.

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Pavol Breslik (Babinsky) und Andrè Schuen (Schwanda)
© Matthias Baus

Von der Regie etwas stiefmütterlich behandelt wurde der wie immer mit Präzision und Schönklang auftrumpfende Arnold Schönberg Chor, der gleich zweimal klanglich nicht ganz optimal neben der Zuschauertribüne geparkt wurde. Akustisch ist die Halle E des Museumsquartiers, das dem Theater an der Wien noch bis kommenden Herbst als Ausweichspielstätte dient, ohnehin immer wieder problematisch. Das Orchester klang an diesem Abend – zumindest von meinem Platz aus – nämlich häufig übersteuert und hart; die einzelnen Instrumentengruppen schienen sich im Raum auch nicht recht mischen zu wollen, sodass besonders die Blechbläser sehr vordergründig wirkten. Trotz dieser Umstände gelang es den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Petr Popelka durchaus, auch sehr schöne Momente zu schaffen – insbesondere in schwelgerischen Streicherpassagen und den folkloristischen Elementen blitzte die böhmische Seele auf.

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