Hauptbild
Eine spärlich beleuchtete Klinkerfassade mit Tür: Davor steht eine offensichtliche Prostituierte mit nichts außer Schuhen und einigen Gurten bekleidet. Davor der sichtlich unpassende Titelheld in Alltagskleidung und einem unsicheren Blick zurück.

Schwanda (Andre Schuen) auf seiner Irrfahrt durchs nächtliche Wien. © Theater an der Wien/Matthias Baus

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Auf nächtlicher Tour – Das Musiktheater an der Wien zeigt Jaromir Weinbergers Oper „Schwanda der Dudelsackpfeifer“

Vorspann / Teaser

Im Museumsquarter, dem Provisorium des Theaters an der Wien, hält Intendant Stefan Herheim weiter seinen Kurs einer maßvollen Moderne: mit besonderen Werken und besonderen Regisseuren. Wie jetzt mit Jaromir Weinbergers „Schwanda der Dudelsackpfeifer“. Es gehört zu den Nachwirkungen des Rassenwahns der Nazis, dass diese „Volksoper“ des jüdisch-tschechischen Komponisten heute kaum bekannt ist, obwohl sie nach ihrer Uraufführung 1927 in Prag und dann in der deutschen Fassung von Max Brod in Breslau, für Jahre der Hit auf den Spielplänen war – noch vor der „Zauberflöte“ und „Carmen“! Weinberger lebte ab 1939 in Florida, konnte aber nie wieder an seinen überlebenssichernden Sensationserfolg anschließen, und nahm sich dort 1967 das Leben. 

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Nun gehört „Schwanda“ allerdings in die Gruppe der Ausgrabungen, die nicht nicht nur notwendig und aller Ehren wert, sondern die obendrein schon rein musikalisch auch heute noch das pure Vergnügen sind. Denn der 1896 in Prag geborene Landsmann Smetanas und Janáčeks ging mit seiner Musik in die Vollen. Allein ein Fünftel der Partitur sind akustisches Wohlfühltheater für die Ohren, das nur aus dem Graben kommt! Vor allem hier schwelgen Petr Popelka und die Wiener Symphoniker geradezu. Weinberger bietet dafür den großen Ton einer nachhallenden Spätromantik und nimmt ihn gleichzeitig auf die Schippe. Er bedient sich beim italienischen Pathos und flirtet mit der Operette, lässt aber auch die Puppen diverser böhmischer Operndörfer tanzen. Auch, dass sein Schwanda nach Erich Wolfgang Korngolds „Toter Stadt“ auf die Bühne kam, hört man wenn es einschmeichelnd melodisch wird. 

Der doppelte Boden der märchenhaften Geschichte lag durch das Wehen des Zeitgeistes in der Entstehungszeit gleichsam in der Luft. Es ist gut nachvollziehbar, dass Tobias Kratzer für seine Interpretation, mitten in Wien, sich von Arthur Schnitzlers zeitgleich mit der Oper erschienenen „Traumnovelle“ inspirieren lässt. Seit 1999 ist deren Bildwelt obendrein von Stanley Kubricks Verfilmung „Eyes Wide Shot“ überlagert. Hier knüpfen Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier direkt an, verlegen die Geschichte in die unmittelbare Gegenwart und an den Ort der Aufführung also ins Wien von 2023.

Schwindelfreier Schwanda

Es beginnt in einem schlichten Schlafzimmer mit einer Sexszene, als deren Akteure sich die Frau des Hauses Dorota und ein Mann vergnügen. Was zur Musik passt, wie weiland das Vorspiel des „Rosenkavaliers“ zur dortigen Schlafzimmerszene. Etwas verblüfft ist man, dass der heimkommende Ehemann, Schwanda, offensichtlich kein Problem damit hat, diesen Herrn Babinský mit seiner Frau im Schlafzimmer vorzufinden. Babinský ist eigentlich ein Räuber mit Robin-Hood-Image, der aus dem Wald ins Leben des Ehepaares hereinplatzt – hier ist er so eine Art Fremder, der nicht nur eine (sexuelle) Wunschprojektion der Frau, sondern auch eine Irritation für Schwanda ist. Den verführt er jedenfalls zu einer Reise, die im gut gemachten Video von Jonas Dahl und Manuel Braun durchs nächtliche Wien geht, samt Zwischenhalt am Würstelstand.

Die ominöse Königin, die sie besuchen, ist eine Society-Lady, die in einem der Nobelsalons residiert, die es in den Palais des ersten Wiener Bezirkes wohl immer noch wirklich gibt. Diese von Ester Pavlus unwiderstehlichem Mezzosamt abgerundete Frau weiß um die Wirkung ihrer Beinarbeit und nutzt das Verführungspotenzial. Bei ihrem deutlich älteren Gatten (Sorin Coliban) reicht es für einen Griff in die Hose, während er zusieht wie sie Schwanda (fast) herumkriegt. Da da taucht die jetzt plötzlich selbst ziemlich eifersüchtige Dorota auf. Als sich Schwanda in dieser heiklen Situation zu Dorota bekennt, wird es für ihn lebensgefährlich und er kann nur knapp mit Babinskýs Hilfe einer (rituellen?) Hinrichtung in dieser obskuren Gesellschaft entkommen. Hier profitiert die sich plötzlich nach hinten öffnende Szene unmitttelbar von der Schwarzen Messe in Kubricks Film.

Wilder Ritt – doch nach Dudelsack wird „abjeblendt“

In der etwas arg runtergekommenen Vorstadt-Hölle dann, beim ziemlich gemütlich wirkenden Plausch mit dem Teufel (vokal machtvoll, darstellerisch ins Ambiente passend: Krešimir Stražanac), funktioniert es nicht ganz so überzeugend: Rotlicht im Dunkel von Kellerbars mit Darkrooms – na ja. Dazu eine Dosis Orgie (im Film mit Softporno Anmutung) auf der Bühne mit nackter Haut und dem üblichen „Als ob“. 

Die vokale und darstellerische Menage a trois ist jedenfalls eine Klasse für sich. Vera-Lotte Boecker überzeugt als Dorota in jeder Hinsicht. Ebenso Pavol Bresklik als ein Babinský, der zumindest noch vermeintliche Gewissheiten vor allem bei Schwanda raubt, aber sonst mehr zum Zweifel verführt. Und Andre Schuen in der Titelpartie des sympathischen, etwas naiven Gutmenschen, der am Ende doch noch zu seinem Dudelsack greifen darf, um seiner Frau aufzuspielen. Bei diesem Happyend aber wird dann „abjeblendt“ (wie es bei Tucholsky so schön heißt). Alle anderen, und natürlich auch der Arnold Schoenberg Chor (Leitung: Erwin Ortner) schlagen sich hervorragend und werden vom Premierenpublikum mit angemessenem Beifall bedacht.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!