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WIEN / MusikTheater an der Wien: SCHWANDA, DER DUDELSACK-PFEIFER

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Alle Fotos: (c) Matthias Baus

 WIEN / MusikTheater an der Wien im MuseumsQuartier:
SCHWANDA, DER DUDELSACK-PFEIFER von Jaromír Weinberger
Premiere: 18: November 2023 

Wer böhmische Folklore mit Wiener Psychoanalyse kreuzt, der könnte einen ganz schön schrägen Hybrid hervor bringen. Märchenelemente mit Räuber, Tod und Teufel gegen sexuelle Perversionen eingetauscht? Aber, was soll man sagen – Regisseur Tobias Kratzer ist tatsächlich etwas Seltsames geglückt. Er hat „Schwanda der Dudelsack-Pfeifer“ von Jaromir Weinberger handlungsmäßig derart in eine andere Welt versetzt, dass zwar vom Original nichts übrig ist – aber was man sieht, wirkt in sich schlüssig.

Freilich, das slawische Melos, das sonst auch in der Geschichte steckt, ist nur noch in der Musik allein – aber diese ist so stark und gelungen, dass sie auch für sich stehen bzw. zur neuen Geschichte passen kann. Bei dieser sind die Zuschauer allerdings aufgerufen, sich ein wenig mit Schnitzlers „Traumnovelle“ auszukennen, sonst können sie mit dem zweiten Akt nicht viel anfangen.

Also, kein „böhmisches Dorf“ mehr, wo Räuber durchziehen und man ganz schnell in die Hölle rutschen kann, sondern eine Großstadt (vielleicht Wien) und ein Ehepaar in ziemlich bescheidenen Verhältnissen. Gatte Schwanda gerät in schlechte Gesellschaft, als er sich von den (nicht weiter begründet hereingeschneiten) Babinsky zu einem Trip durch die Stadt verführen und Gattin Dorota  lässt. Gut, dass Weinberger so viele ausufernde orchestrale Passagen komponiert hat, da sind Videoszenen fast „dramaturgisch“ einzubauen.

Ja, und dann kommt Schnitzler – das schäbige Ambiente von billiger Wohnung und  Rummelplatz, wo die Männer am Würstelstand essen, weicht einem großbürgerlichen Salon von Format. Eigentlich würde man die dortige Dame (bei Weinberger ist sie als „Eiskönigin“ ein Geschöpf aus der Märchenwelt) für eine höchst bezahlte Prostituierte eines älteren Herren halten, aber offenbar ist sie die Hausherrin, in deren Palais jene geheimnisvolle, erotische, lebensgefährliche Party in schwarzen Kutten stattfindet, die Schnitzler so abgründig beschreibt und die Stanley Kubrick (mit einem Tom Cruise, der sich dort gefürchtet hat) auf die Leinwand brachte.

Da es in dieser Welt, wo alle bürgerlichen Regeln aufgehoben sind, durchaus auch ein Menschenopfer geben kann, denn auch in der Wiener Gesellschaft war im Untergrund vieles möglich, kann man sogar die Hinrichtungsszene des Originals einbauen – aber glücklicherweise ist auch hier Babinsky der Retter. Der Masken-Kutten-Chor im Hintergrund ist unheimlich genug, ob jeder Besucher ihn auch einordnen kann, bleibt fraglich.

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Die Hölle, in der Schwanda im Original landet, haben wir nicht, und nach der Pause wird die Szene weniger einfallsreich: Tobias Kratzer versetzt Schwanda nun in eine billige Vorstadt, der Teufel hockt und pöbelt an der Bar, die Handlung scheint auf einmal wie in den dunklen Golem-Gassen Prags angesiedelt (die sehr versatile Ausstattung stammt von Rainer Sellmaier). und bis dann alles gut ausgeht, hängt der im ganzen dreistündige Abend doch ein wenig durch.

Wir sind dermaßen korrekt und prüde (vielleicht auch blöde) geworden, dass es das Theater an der Wien für nötig findet zu erklären, dass es in dem Stück „zur Darstellung sexueller Inhalte kommt“ – das aber mit „höchstem Respekt sowie mit fachkundiger Unterstützung einer Intimitätskoordinatorin umgesetzt“ wurde. Gott, sind wir zimperlich! Kindergarten-Mentalität, ängstliches Ducken vor allem, Todesangst vor irgendwelchen künstlichen Shitstorms in den Sozialen Medien, die doch überhaupt nichts bedeuten…

Ja, es beginnt schon mit der Ouvertüre, die lang und schön und genussvoll anzuhören ist. Am Ende geht der Vorhang auf und Dorota ist offenbar kein braves Eheweib von Schwanda, denn sie kopuliert hier im Ehebett mit dem herbeigelaufenen Babinsky, der übrigens ein Auge auf ihren Gatten geworfen hat – irgendwann findet auch der schwule Männerkuß der beiden statt. Ungemein sexy geht es bei der „Eiskönigin“ (hier eine Society-Lady) zu, aber bevor sie Schwanda noch einen Blow Job verpassen kann, schreckt dieser zurück. In der „Hölle“ (sprich: hier Vorstadt-Schuppen9 schnupft der Teufel seine Linie Koks vom nackten Bauch einer auch sonst nackten Dame, und auf diesem Bauch lässt sich offenbar auch Karten spielen…Eine echte Orgie (die ziemlich unappetitlich ist) gibt es auf Video, und am Ende schläft Dorota wieder mit Babinsky, bevor es doch ein Happyend gibt, denn wer, bitte, nimmt es heutzutage mit der ehelichen Treue noch so genau?

Wie gesagt, kein bisschen vom Original, aber eine in sich geschlossene Geschichte, wobei man sich schon fragen kann, wie viel Sinn es für Weinbergers Oper macht (um die es eigentlich gehen sollte), wenn man sie überhaupt nicht mehr erkennt?  Der böhmische Märchencharme ist weg, im Grunde das Wesen des Werks so vernichtet wie sein eigentümlicher Reiz. Und nur, weil jemand die Idee gehabt hat, man könnte die  Geschichte mit einer Schnitzler-Novelle verquicken, die ungefähr zur selben Zeit erschienen ist (eigentlich zwei Jahre früher) wie die Oper? Traut sich wirklich niemand an das Original und schaut nach, was man damit machen könnte?

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Andrè Schuen, langhaarig und ein bisschen wie ein reiner Tor wirkend, singt den Schwanda mit prächtigem Bariton und lässt sich durchs Geschehen treiben. Aktivitäten entfaltet Pavol Breslik als Babinsky, mit glänzenden tenoralen Höhen, manchmal unhörbar in der Mittellage. Vera-Lotte Boecker macht als Dorota auch in minimaler Unterwäsche gute Figur, hat eine große, aber leider nicht schöne (weil tremolierende und unsaubere) Stimme. Das treue, verzweifelte Weib, das bei Weinberger nur hinter dem Gatten herhetzt, ist sie hier nicht mehr – das heißt, verzweifelt über weite Strecken schon. Wie aus einem der teuersten Hochglanzjournale entstiegen wirkt Ester Pavlu, die nun keine Königin, aber doch eine Herrscherin über ihr Sex-Reich ist, mit atemberaubender Figur und erstklassigem Mezzo. Hinter ihr Sorin Coliban (aus der Staatsoper erinnerlich) in einer Figur, die noch immer „Magier“ genannt wird, aber keine klar erkennbare  Funktion ist. In der Vorstadt-Schäbigkeit ist das, was  Krešimir Stražanac mit machtvoller Stimme als „Teufel“ anzubieten  hat, bestens aufgehoben.

Die Wiener Symphoniker schwelgen unter der Stabführung von Petr Popelka in der Musik, in der man glaubt Smetana und Dvorak, Schreker und Zemlinsky und einige mehr zu hören – im besten Fall aber Weinberger. Der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) hat viel zu tun und macht das, wie immer, vorzüglich.

Also, mit dem originalen „Schwanda“ hat es nichts zu tun. Aber was Tobias Kratzer als Geschichte für sich bietet, ist nicht dumm (da hat man unendlich Ärgeres gesehen – hat nicht auch sein Bayreuther „Tannhäuser“ dazu gehört?), und außerdem gibt es die Musik, die man im Gegensatz zum obligaten Opernrepertoire ja eigentlich nie hört. Das Publikum klatschte widerspruchslos.

Renate Wagner

 

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