Und die Gesellschaft schweigt: „Salome“ an der Hamburgischen Staatsoper

Staatsoper Hamburg/SALOME/Asmik Grigorian, Kyle Ketelsen/Foto @ Monika Rittershaus

Eine zerrüttete Familiengeschichte: Dmitri Tcherniakov inszenziert „Salome“ an der Hamburgischen Staatsoper mit Asmik Grigorian in der titelgebenden Hauptrolle als Geschichte über Macht und Traumata in einer verwahrlosten Wohlstandsgesellschaft. Dabei gelingen starke Bilder, doch am Ende kränkelt die Inszenierung an ihrer eigenen Unentschlossenheit. (Besuchte Vorstellung am 12. November 2023)

 

 

Geburtstagsfeier im Hause des Tetrarchen, eine lange Tafel in der gediegenen Altbauwohnung wie sie in vielen Städten dieser Welt zu finden sein könnte. Die Wände geschmückt mit Masken aus aller Welt, die Wohnung ansonsten so leer wie das Innenleben seiner Bewohner:innen. Graue Wände, dagegen bunte Kostüme; die Gäste fast zu flamboyant für das klassische Interieur. So beginnt Dmitri Tcherniakovs neue Hamburger Inszenierung von Richard Strauss‘ „Salome“, die Ende Oktober Premiere feierte. Nur einer sticht aus der bunten Masse heraus: Jochanaan im Stil eines Alt-68-er-Oberstudienrates mit braunem Jacket und Halbglatze, der sein Dasein statt im dunklen Kellerverlies als gelangweilter Kontrapunkt der Feiergesellschaft fristet.

Dabei geht es deftig und derbe zu. Kuchen wird nicht gegessen, obwohl die marie-antoinettesche Spätdekadenz der neureichen Familiensippe wahrlich dazu einladen würde, als die Tochter des Hauses den Raum betritt. Wirkt die junge Frau im ersten Augenblick wie ein bockiger Teenager, wird schon im nächsten Moment klar, dass hinter der Maske, die in dieser Inszenierung nicht nur an den Wänden zu finden sind, ein verletzter Mensch voller traumatischer Missbrauchserfahrungen steht. Auch an diesem Abend schauen Mutter wie Gesellschaft fast demonstrativ weg, als der Stiefvater sie zur Begrüßung unsittlich berührt. Ebenso schnell wie die problematische Familienkonstellation wird dabei klar, dass diese „Salome“ von seiner Hauptdarstellerin Asmik Grigorian leben wird. Zwar ist die Sopranistin am Tag der besuchten Vorstellung stimmlich indisponiert – sie hatte sich vor der Vorstellung entschuldigen lassen – doch was ihr an diesem Abend an stimmlicher Durchschlagskraft fehlt, macht Grigorian durch starke Bühnenpräsenz wett. Erkältungsbedingt gehen der Litauerin, der mit der gleichen Rolle bei den Salzburger Festspielen einst der große internationale Durchbrach gelang, gen Ende etwas die Kräfte aus, Nuancen gelingen nicht wie gewohnt. Doch immer wieder lässt die Sängerin auch gesundheitlich geschwächt die Bandbreite ihrer Stimme anklingen. Von intim-berührenden Piani bis zu schwebender Strahlkraft über den Orchestermassen gestaltet Grigorian den komplexen Charakter der Salome auf ganz eigene, faszinierende Weise. Untermalt wird die differenzierte gesangliche Gestaltung von einem expressiven Spiel, wie es in der aktuellen Opernwelt kaum ein zweites Mal zu finden ist.

Staatsoper Hamburg /SALOME/Ensemble/Foto @ Monika Rittershaus

Grigorian gegenüber steht John Daszak als Herodes, Oberhaupt einer Familie, die ihre innere Leere mit überbordenden Partys, Glitzer und Glamour zu füllen versucht. Passend dazu gestaltet Daszak seine Rolle halbseiden-charmant mit großer Spielfreude. Darüber hinaus präsentiert sich der Tenor gesanglich in allen Lagen sicher und mühelos. Violeta Urmana als Herodias zeigt die bekannt distanzierte Mutter mit großer Schärfe, auch wenn nicht jeder Einsatz durchdringend ist. Kyle Ketelsen in seiner Debütserie als Jochanaan hat die undankbare Aufgabe nicht nur der Salome, sondern auch dem Publikum – in letzterem Falle weniger sprichwörtlich – zumeist den Rücken zuzuwenden und in die Tiefe der Bühne zu singen. Tapfer und vielschichtig meistert der Bariton seine Aufgabe, auch wenn durch die Positionierung einiges an Deutlichkeit leider verloren geht. Ausgesprochen textdeutlich und mit großer darstellerischer Authentizität präsentiert sich dafür Oleksiy Palchykov als Narraboth.

Passend zur geschwächten Sänger:innenriege gestaltet Kent Nagano am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg eine gedämpfte „Salome“. Statt strahlender Strauss’scher Sogkraft, steht eine nüchterne, fast distanzierte Lesart im Mittelpunkt, die mehr Wert auf vordergründige Akkuratesse denn fließender Ausdrucksstärke setzt. Das Ergebnis ist jedoch zu häufig ein sehr matter Klang, der die Extreme der Komposition aus klassischen Harmonien und atonalen Elementen, die bei ihrer Premiere im Jahr 1905 ebenso wie das Opernsujet schockierte, in ihrer Gänze nur selten zu ergründen weiß.

Staatsoper Hamburg/SALOME/Asmik Grigorian, Violeta Urmana/Foto @ Monika Rittershaus

Besonders auffällig wird das beim „Tanz der sieben Schleier“, der weder musikalisch noch inszenatorisch vollends überzeugt. Sehr brav, fast unentschlossen klingt es aus dem Orchestergraben, während sich auf der Bühne zunächst viele starke Bilder entwickeln. Statt verführerischem Tanz zeigt Tcherniakov Szenen des Missbrauchs. Da ist Salome, die in alten Koffern wühlt. Kostüme und Kuscheltiere aus ihrer Kindheit kommen zum Vorschein, Erinnerungen an die Übergriffe des Stiefvaters. Mit seinen Zähnen entreißt Herodes Salome eine an den Gürtel geheftete Blüte, ehe es unter den Augen der Gesellschaft schließlich zu einem weiteren Missbrauchsversuch kommt. Roboterartig sind Grigorians Bewegungen in diesen Momenten, ihr Spiel changiert zwischen kurzzeitiger Auflehnung und lähmender Selbstaufgabe. Kurzzeitig flüchtet sich Salome fast vollkommen entblößt in den Schrank, in dem sie von Herodes gefunden und herausgetragen wird. Wieder kleidet er sie in ein neues Kostüm, um sie der untätigen Gesellschaft vorzuführen. Alle starren, selbst der sonst so desinteressierte Jochanaan, doch niemand handelt.

Es ist eine bestechende psychologische Lesart abseits bekannter Symboliken, doch führt Tcherniakov seine Interpretation nicht in Gänze zu Ende und verweigert ihr so die letzte Konsequenz. Das Ende des Schleiertanzes ist kaum gestaltet, die Szene steht fast still – aber dennoch zu sehr im Licht gefangen, um den grauenvollen Höhepunkt der Imagination des Publikums zu überlassen. Auch im Folgenden schwächelt die starke Grundidee an der Umsetzung. Während Salome zunächst mit dem Suizid droht, gelingt das Finale seltsam konsequenzlos. Jochanaan darf seinen Kopf behalten und sitzt Salome über weite Strecken des Schlussgesangs sogar gegenüber. Doch die Faszination oder der Ekel mit diesem Mann, auch er könnte ein Missbrauchstäter sein, bleibt unergründet. Am Ende verlässt Jochanaan schulterzückend die Bühne, ebenso wie das Publikum als Salome zum Ausruf „Man töte dieses Weib“ scheinbar in Ohnmacht fällt. Für diese ansonsten sehr aktuelle und aktualisierende Lesart wirkt das dann doch zu sehr wie ein Fehlgriff in die Mottenkiste über hysterische Frauen früherer Jahrhunderte.

 

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