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WIEN / Staatsoper: Premiere von LE GRAND MACABRE

Der Weltuntergang findet nicht statt, der fröhlche Totentanz geht weiter

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Georiugl (Nekrotzar, Mitte) umringt vom Ensemble. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Premiere von LE GRAND MACABRE

Premiere dieser Inszenierung

11. November 2023

Von Manfred A. Schmid

Die 1978 in Amsterdam uraufgeführte und 1996 für die Salzburger Festspiele umgearbeitete Oper von György Ligeti gehört zu den weltweit am meisten gespielten zeitgenössischen Opern. Dass sie erst 45 Jahre nach der Uraufführung an der Wiener Staatsoper herausgebracht wird, zeugt nicht gerade von Innovationsdrang. Immerhin aber lässt sich angesichts dieser Verspätung überprüfen, wie avantgardistisch dieses mit Slapstick-Aktionen, Dadaismen und Blödeleien weit unter der Gürtellinie prall gefüllte Werk nach fast einem halben Jahrhundert noch ist und wirkt.

Auf das angekündigte Ende der Welt reagieren die Menschen in dem „in irgendeinem Jahrhundert“ existierenden Königreichs nicht verängstigt oder gelähmt, sondern mit hemmungsloser Völlerei: Sie essen und trinken, haben Sex und wollen fröhlich sein: Wohl eine Kritik am schrankenlosen Hedonismus der damaligen Zeit. Regisseur Jan Lauwers geht dazu allerdings etwas auf Distanz. Im Vordergrund seiner dreistufigen, bis auf einen begehbaren goldenen Kasten in einer Ecke kahlen Bühne befinden sich die Hauptakteure des schrägen Breughel-Landes, die allesamt wichtige politische Ämter innehaben oder gesellschaftlich wichtig sind. Sie sind es, die sich tatsächlich Eskapaden on aler Öffentlichkeit leisten können. Das rege Leben der übrigen Bewohner im verrückten Königreich Breughel-Land, die  auf den als Vorbild geltenden Gemälden Breughels gewöhnlich das ländliche Alltagsleben auf liebevoll drastischer Art vorführen, läuft hingegen viel gesitteter ab. Wie bei Lauwers üblich, sind es sorgfältig choreographierte Tänzerinnen und Tänzern, die hier ästhetisch stilisiert aufmarschieren und denen Deftigkeit im Benehmen, auch wenn sie nur spärlich bekleidet sind, weitgehend fremd ist. Ein wohlgeordneter, weder chaotischer noch orgiastischer Tanz auf einem Vulkan. Und gefurzt wird nu in der Musik. Vom tiefen Blech.

Die Grundlage des von Ligeti und Michael Meschke verfassten Librettos stammt vom Belgier Michel de Ghelderode, was aber hier vorherrscht, ist in Wahrheit mitteleuropäischer Surrealismus und dunkelschwarzer, bitterer Humor von Franz Kafka über Karel Capek bis Géza Hofi. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Großteil von Ligetis Familie in Auschwitz ausgelöscht wurde und er aus Budapest nach Wien fliehen musste, als 1956 die sowjetischen Panzer einrückten. Absurde Zustände in einer verrückten, aus den Fugen geratenen Welt waren und sind für ihn wohl so etwas wie schreckliche Normalität.

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Sarah Aristidou (Venus), Georg Nigl (Nekrotzar) und Gerhard Siegl (Piet vom Fass)

Pablo Heras-Casado als musikalischer Leiter ist es zu danken, dass er die Partitur differenzierend zum Leben erweckt und der Versuchung widersteht, Ligetis Musik größer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist. Es ist seine sachliche Herangehensweise, mit der er überzeugt und durch die er am Pult des Staatsopernorchesters erreicht, dass die wenigen wahren Momente des Bombasts dafür umso wuchtiger einschlagen.

Le Grand Macabre ist keine leicht zu singende Oper. Der Countertenor Andrew Watts bewältigt die Rolle des Fürst Go-Go mit Bravour. Sarah Aristidou zieht in der Doppelrolle als Chef der Gepopo wie auch als Venus im überdimensionierten Reifrock alle Register ihres perlend-klingenden Koloratursoprans.

Der Bariton Georg Nigel als Nekrotzar ist ein auftrumpfender, schriller Sensenmann, der am Schluss klein beigeben und den angekündigten Weltuntergang nicht auslösen wird, weil er entweder zu betrunken oder ohnehin nur ein Blender und Angeber ist, keineswegs aber der allmächtige Tod. Eine darstellerische und stimmliche Meisterleistung.

Marina Prudenskaya als Mescalina ist eine schillernde Nymphomanin, die sichtlich Spaß an ihren fordernden Auftritten hat. Der Bass Wolfgang Bankl als ihr Gatte, der Sterngucker Astradamors, sorgt, ebenso wieder Tenor Gerhard Siegel als Piet vom Fass, durch übermütig-komische Gestaltung ihrer lächerlichen Figuren für komische Momente.

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Isabel Signoret (Amando), Marias Nazarova (Amanda) und Tanzensemble.

Maria Nazarova und Isabel Signoret sind als verliebtes lesbisches Paar so innig verbunden, dass sie von Drumherum kaum Notiz nehmen. Ligetis Musik, oft schrill und aufregend, ist hier außergewöhnlich schön und wird von beiden prächtig gesungen.

Mit Daniel Jenz und Hans Peter Kammerer werden zwei weitere Ensemblemitglieder aufgeboten, die als Weißer und Schwarzer Minister wegen offensichtlichen politischen Versagens der Kritik und sogar tätlichen Angriffen von Seiten der Bürger ausgesetzt sind

Was bleibt am Ende eines schrecklich komischen, alle Grenzen des Zulässigen überschreitenden, unterhaltsamen und irritierenden, vom Publikum gefeierten Opernabends? Es ist nicht so sehr die bitterböse Parodie gesellschaftlicher Umstände und die Karikatur politischer Missstände, auch nicht die Aktualität eines bevorstehenden Weltuntergangs, sei es nun wegen der Klimaerwärmung oder wegen eines Atomkriegs. Was man mitnimmt, ist die beklemmende, oft irritierende, aufrüttelnde, schrille Musik der Autohupen und Türglocken, aber auch die wundersam gedämpften Streicher und das abschließende Nonett, das mit bukolischen Klängen für einen – bis auf Weiteres – versöhnlichen Ausklang sorgen und an die Finali von Mozarts Don Giovanni, Verdis Falstaff und Strawinskys The Rakes’s Progress denken lässt. Es ist Ligetis Partitur, die eine ganz eigene, mächtige Wirkung entfaltet und die bleiben wird. 

 

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