Nun hat das Gespann von Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda und Regisseur Andreas Homoki auch das vierte Stück von Richard Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen herausgebracht. Was am Opernhaus Zürich im Frühjahr 2022 mit dem Rheingold begonnen hat, wurde nun mit der Götterdämmerung abgeschlossen. Vor anderthalb Jahren war indes die Neugier auf die Premiere deutlich grösser als jetzt. Der Grund liegt darin, dass der regieführende Hausherr schon im Vorfeld der jüngsten Premiere angekündigt hat, man werde auch bei der Götterdämmerung auf den Pfaden wandeln, die man schon bei den drei Vorgängerstücken eingeschlagen hat.

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Freya Apffelstaedt (Erste Norn), Lena Sutor-Wernich (Zweite Norn) und Giselle Allen (Dritte Norn)
© Monika Rittershaus

Erneut empfängt uns diese Drehbühne des Ausstatters Christian Schmidt, die das Interieur eines gründerzeitlichen grossbürgerlichen Hauses darstellt. Und auch diesmal dreht sie sich etwas zu oft, was aber immerhin rasche Umbauten ermöglicht. Bei den Requisiten beschränkt man sich wiederum auf einige wenige, aber aussagekräftige Gegenstände, die wie Leitmotive durch den Gang der Handlung führen. Diese Requisiten schaffen gleichzeitig den sinnfälligen Zusammenhang zu den drei vorhergegangenen Opern des Rings. Wenn der Vorhang aufgeht, sehen wir die drei Nornen ihr Schicksalsseil vor dem Lavagestein des Walküre-Felsens spinnen, den wir aus Siegfried kennen. Von dort stammt auch das goldene Doppelbett, in dem Brünnhilde und Siegfried voneinander Abschied nehmen, damit der Held zu neuen Taten ausrücken kann. Das Ross Grane, das die Geliebte ihm schenkt, ist wiederum diese etwas lächerliche Schachfigur. Später entdecken wir auch Hundings Weltesche aus der Walküre und erhaschen gar einen Blick auf den ominösen „Putin-Tisch” der Götterburg Walhall, den wir aus dem Rheingold kennen.

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Camilla Nylund (Brünnhilde) und Klaus Florian Vogt (Siegfried)
© Monika Rittershaus

Eine weitere Klammer im Zürcher Ring besteht darin, dass alle Rollen stets von denselben Interpreten gesungen werden. Ein Wiedersehen gibt es also mit Camilla Nylund als Brünnhilde und Klaus Florian Vogt als Siegfried, die in der Götterdämmerung zugleich ihr Rollendebüt bestehen müssen. Vogt gibt Siegfried als heiteren, fröhlichen und reichlich naiven Naturburschen. Am Gibichungenhof macht er sich, nachdem er seine Brünnhilde „dank” Hagens Zaubertrunk vergessen hat, ohne Bedenken an Gunthers Schwester Gutrune heran. Stimmlich verfügt Vogt über einen weniger hochdramatischen als vielmehr lyrisch-dramatischen Tenor. Dies lässt ihn, noch stärker als in Siegfried, nicht als kraftstrotzenden Helden, sondern als sympathischen Kameraden erscheinen, mit dem man sogar etwas Mitleid empfindet. Eine grossartige sängerische und darstellerische Leistung legt Camilla Nylund hin. Die Sopranistin, die bisher in Wagner-Opern „leichtere” Partien wie Elisabeth oder Senta interpretiert hat, wagt sich in Zürich, auf Homokis Wunsch, erstmals an Brünnhilde heran. Mit Erfolg. Ihre Stimme klingt klar und strahlend, das Volumen ist überhaupt kein Problem. Als Charakter erscheint sie sehr menschlich, empathisch und wandlungsfähig. Was für Unterschiede treten da zwischen der verliebten, der verratenen, der rächenden, der verzeihenden und der sich opfernden Frau zutage!

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Lauren Fagen (Gutrune), David Leigh (Hagen) und Daniel Schmutzhard (Gunther)
© Monika Rittershaus

Neu in der Götterdämmerung ist das Personal der Gibichungen. Hier treten nicht die grossen Namen auf, sondern jüngere und noch wenig bekannte Interpreten bekommen eine Chance. Der Hagen von David Leigh muss aber leider als Fehlbesetzung angesehen werden. Die imposante Bassstimme passt zwar gut zur Rolle, aber als Bösewicht vom Dienst wirkt Leigh einfach zu harmlos. Besonders deutlich wird dies in der Szene mit Alberich, in der mit Christopher Purves ein begnadeter Charakterdarsteller agiert. Dem Geschwisterpaar der Gibichungenherrscher verleiht Homoki ein interessantes, vom Standard etwas abweichendes Profil. Der Gunther von Daniel Schmutzhard ist als lebenslustiger Dandy gekennzeichnet, die Gutrune von Lauren Fagan als erlebnishungrige junge Frau, die sich einen richtigen Helden angeln möchte. Eine ausgezeichnete Leistung zeigt Sarah Ferede als Waltraute. Und eine erfrischend heitere Note steuern die drei Rheintöchter UlianaAlexyuk, Niamh O’Sullivan und Siena Licht Miller zum sonst abgründig düsteren Geschehen bei.

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Sarah Ferede (Waltraute) und Camilla Nylund (Brünnhilde)
© Monika Rittershaus

Wie Homoki bleibt auch Noseda seinem bisherigen interpretatorischen Ansatz treu. Der Italiener und Wagner-Neuling setzt weiterhin auf Kantabilität und Leichtigkeit, gewissermassen also auf einen italienischen Orchesterklang. Das deutsche Pathos liegt ihm fern, deshalb bevorzugt er durchs Band hindurch flüssige Tempi. Man hört es besonders gut bei der orchestralen Trauermusik nach Siegfrieds Tod, die von der Philharmonia Zürich sehr plastisch musiziert wird. Doch im Unterschied zu Siegfried forciert Noseda in der Götterdämmerung vermehrt die tiefen Blechblasinstrumente, besonders in den konfliktreichen Szenen mit dem Strippenzieher Hagen. Bei der Blutsbrüderschafts-Szene beispielsweise dröhnt einem die Tuba mit ihrem diabolischen Tritonus-Intervall brutal in den Ohren. Viel zu laut singt leider der Chor der Oper Zürich; die Gewaltbereitschaft von Hagens Mannen könnte auch mit anderen Mitteln erreicht werden.

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Uliana Alexyuk, Siena Licht Miller, Niamh O'Sullivan und Klaus Florian Vogt
© Monika Rittershaus

Homokis Stärke liegt nach wie vor in der Personenführung. Er lässt die Bühnenfiguren lebendig und realitätsnah agieren, wie bei einem Sprechtheater. Beeindruckend kommt dies etwa in der vierten Szene des zweiten Aufzugs zur Geltung, wo Hagen bei den beiden falschen Paaren Siegfried/Gutrune und Gunther/Brünnhilde grösste Verwirrung anrichtet. Die Schwäche der Inszenierung liegt indes in ihrer – von Homoki bewusst gewählten – Deutungslosigkeit. Doch die angestrebte positivistische Darstellung funktioniert dann doch nur bedingt. Dass Brünnhilde, die Nornen und die Rheintöchter ganz in Weiss gekleidet sind, Hagen in Schwarz und die Gibichungengeschwister in Rot, ist bestimmt kein Zufall. Es geht um den Kampf des Guten gegen das Böse. Und um den Sieg des Guten, allerdings erst am Schluss, als es schon zu spät ist.

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Camilla Nylund (Brünnhilde)
© Monika Rittershaus

Die Unentschlossenheit des Regisseurs, ob er nun deuten will oder nicht, zeigt sich gerade in diesem Schluss. Vier Bilder erscheinen nacheinander auf der Drehbühne, und viermal fällt danach der Vorhang: Zuerst sehen wir, wie der bereits tote Siegfried wieder erwacht und Brünnhilde den Ring zurückgibt, dann eine Feuerszene vor der Weltesche, bei der ein brennender Stuntman über die Bühne rast, danach einen als Wotan verkleideten Statisten, der im Göttersaal ein Video vom Brand Wallhalls ansieht, und schliesslich die leeren Zimmerfluchten der Villa, in der sich der ganze sechzehnstündige Ring abgespielt hat. Die Deutung dieses rätselhaften Vierfachschlusses bleibt dem Publikum überlassen.

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