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„Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt: Der Tod kommt, aber nicht heute

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Im Stau: Venus und Piet (v.l.), Amanda und Amando, und der Typ rechts heißt Nekrotzar und tut so, als werde der Weltuntergang sein Werk sein. Foto: Barbara Aumüller
Im Stau: Venus und Piet (v.l.), Amanda und Amando, und der Typ rechts heißt Nekrotzar und tut so, als werde der Weltuntergang sein Werk sein. Foto: Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

Keine Angst, oder doch vielleicht ein bisschen: György Ligetis Anti-Anti-Oper „Le Grand Macabre“ ist zum ersten Mal an der Oper Frankfurt zu erleben.

György Ligetis „Le Grand Macabre“, 1978 in Stockholm uraufgeführt, 1996 stark überarbeitet, ist auch ein später Triumph der Gattung. Aus dem Plan, eine Anti-Oper zu schreiben, wurde schließlich eine Anti-Anti-Oper, und auch wenn eine Anti-Anti-Oper nicht notwendigerweise eine Oper sein muss, so kommt das umfangreichste Werk des Komponisten einer anständigen Oper doch nahe. Auch wenn es sich um eine äußerst unanständige Oper handelt. Hans-Klaus Jungheinrich bezeichnet sie in „Unser letztes Musikjahrhundert“ (2021 postum im Wolke Verlag erschienen; dies ist eine Empfehlung!) als Ligetis „grellstes, frivolstes, bizarrstes“ Werk überhaupt.

Jedenfalls gibt es eine Ouvertüre – auch wenn gestimmte Autohupen zum Einsatz kommen –, ein größeres Zwischenspiel – auch wenn Türklingeln zu hören sind –, feine Vokalensembles und eine veritable Handlung. Das war der größte Bruch mit der Avantgarde: dass sich Ligeti nach längerem Überlegen auf eine Literaturoper einließ. Die Vorlage des Flamen Michel de Ghelderode ist klassisches Absurdes Theater aus den 1930ern, unverschämt und trotzig (Anti-Anti), dass Ligeti und sein Mitlibrettist Michael Meschke mit fröhlicher Derbheit hineinfahren und die Reste von Melancholie-Angeboten mit kräftigen Zoten verscheuchen.

Es geht um Sex, das schon, aber auch um den Tod, den finsteren Gesellen. Es geht um Quatsch, aber Ghelderode hatte dazu noch den gefährlichen geistigen Hohlraum des Faschismus vor Augen. Ligetis und Meschkes „Le Grand Macabre“ ist stattdessen die Oper mit den längsten unflätigen Schimpfwortkaskaden der Welt. Der Literatur, und sei sie noch so absurd, verweigert sie jeglichen Respekt.

Akustisch ist das spannend wie eh und je, „Le Grand Macabre“ wird nicht umsonst verhältnismäßig häufig aufgeführt, und es gibt wenige Beispiele, die einen so kurzweiligen Zugang zu allerdings kompromissloser Avantgarde-Musik bieten. Eine Herausforderung bis heute. Ein solches Werk geht nicht über die Bühne, ohne dass sich einige in der Pause trollen. An der Oper Frankfurt, die derzeit zumindest auf der großen Bühne keinerlei Schwerpunkt auf neue Musik legt, ist es erst recht ein imposantes Signal, dass der neue Generalmusikdirektor in der zweiten von ihm selbst geleiteten Premiere dieses auch schon längst Klassiker gewordene Werk als Frankfurter Erstaufführung vorstellt.

Thomas Guggeis und das ungemein bewegliche Orchester – nachher in einer Quartettstärke in fabelhaften Puttenkostümen auch im Bühnengeschehen – lassen eine intrikate Musik hören, so transparent wie möglich, so grell wie nötig. Das Feingliedrige im Kecken gibt dem Opernhaften der Anti-Anti-Oper alle Chancen, auch dem Ensemble gibt es alle Chancen, dessen Verve besticht.

Zu hören ist – hierin liegt sicher ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Avantgarde-Opern – regulärer Operngesang, wenngleich die Herausforderungen erheblich sind: etwa in den Höhenlagen für die Venus und die Gepopo-Chefin, hier Anna Nekhames in gleißender Brillanz mit deutlichem somnambulen Appeal. Dazu passt, dass es sich in Frankfurt um eine Untote handelt. Oder um eine Tote. Jetzt wird es ein bisschen kompliziert.

„Le Grand Macabre“ ist bei Ligeti/Meschke ein windiger Typ namens Nekrotzar, der ankündigt, die Welt in Kürze mit Hilfe eines Kometen zu zerstören. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich, im Grunde ändert sich wenig. Zwei Liebende, Amanda und Amando, ziehen sich in ein stilles Eckchen zurück (zum Beispiel ein Grab), um in Ruhe Liebe zu machen. Im Heim des Astrologen Astradamors ist die Ehe mit der Sadistin Mescalina sexuell zu anstrengend, um sich dem Weltuntergang mit dem nötigen Ernst zu widmen. Mescalinas (vorläufiger) Tod bringt Astradamors die ersehnte Befreiung.

Am Hofe des infantilen Fürsten Go-Go ist man nicht erfreut über die Apokalypse, trinkt aber schließlich ausreichend Alkohol, um den Ereignissen gelassen/verdöst entgegenzusehen. Außerdem geht die Welt nicht unter, und am Ende blicken alle beherzt in die Zukunft. Man wird sterben, aber nicht heute.

„Le Grand Macabre“ in Frankfurt: Regie mit kernigem Zugriff

Optisch gibt das viel Spielraum, schöner als ein braver, märchenhafter ist gewiss ein kerniger Zugriff. Vasily Barkhatov, der in Frankfurt vergangene Spielzeit mit Tschaikowskys „Zauberin“ so restlos überzeugte, bietet ihn. Er frappiert im Verein mit Bühnenbildner Zinovy Margolin direkt mit einem aufwendigen Eingangsbild. Auf einem mehrstöckigen Schnellstraßenkreuz zeigt sich eine Mischung aus Stau und Auffahrunfall. Auf einer großen Videotafel flitzen die Eilmeldungen aus aller Welt vorüber: Die Nachricht ist also bei Barkhatov schon raus. Ob die Karambolage auch durch den ersten Schreck zustandekam, steht dahin.

Jedenfalls entwickelt der Regisseur aus dem mit Statisten angereicherten Treiben auf der Straße die ersten Szenen: Aus einem Taxi purzelt der Saufbruder Piet vom Fass, Peter Marsh in Unterhose und Bademantel, der mit seinem metallisch durchwirkten Tenor und dem zivilen Ton der Menschlichkeit ein Sympathieträger des Abends sein wird. Der Leichenwagen vor ihm, man ahnt es schon, gehört zu Nekrotzar, dem Barkhatov und Bariton Simon Neal in Stimme und Auftreten alles Grauslige nehmen. Nekrotzar ist einfach ein Leichenbestatter, die Diskretion in Person, die jetzt einmal kurz die Sau rauslassen möchte. Klappt so lala.

Menschlich ist das plausibel und passt übrigens gut zur Wahl des Englischen. Muttersprachler, Muttersprachlerinnen treten im Dutzend auf. Dass der Möchtegernsatansbraten von Weltenzerstörer irische Wurzeln hat, lässt er durchhören, oder? Zu Ligetis großer Überarbeitung in den 90ern gehörte das Fast-Durchkomponieren von zuvor gesprochenen Passagen, aber die Unmittelbarkeit von Wort und Gesang, das Wie-Gesprochen hat er erhalten.

Im wie von ungefähr aus dem Wagen gleitenden Sarg liegt die bald zunehmend lebendige Venus in Personalunion mit der hysterischen Polizeichefin (hier muss man in Frankfurt aufpassen, um der an sich einfachen Geschichte immer folgen zu können). Hineinschlüpfen in den Sarg werden alsbald die beiden jungen Verliebten, Elizabeth Reiter und Karolina Makula, die nicht zwitschern, sondern sphärisch lieben (die Liebe ist bei Ligeti keine Parodie, sondern maximale Freiheit und Todesverachtung). Olga Shaishmelashvilis Kostüme sehen für sie fair durchgesägte Braut- und Bräutigamanteile vor.

Ein kleiner Umbau führt zum im Querschnitt geöffneten Wohnmobil von Astradamors, dem abgrundtiefen Bass Alfred Reiter, und seiner hier maßvoll rasenden Frau, Claire Barnett-Jones. Barkhatov verfolgt an dieser Stelle eine sympathische, aber etwas mühsame Idee – da ihm der wahrlich nervende kindische Sadosex vielleicht antiquiert erscheint (oder er seine Idee einfach besser findet), lässt er das Pärchen – Söhnchen wird mit Computerspiel ins Bett gesteckt – angesichts des nahenden Weltendes erstmals Drogen ausprobieren. Computerspielhallus (Video: Ruth Stofer, Tabea Rothfuchs) sind die Folge.

Nach der Pause geht es an den Hof. In Frankfurt ist alles bereit für die weltletzte Clubnacht, denn bevor der Mensch aufhört, eine Party zu planen, müssen noch ganz andere Sachen passieren. Hier foppen der Weiße und der Schwarze Minister, Michael McCown und Iain MacNeil, den Fürsten Go-Go, den lupenreinen Counter Eric Jurenas. Auch servieren sie das berüchtigte Schimpfwörter-ABC just den eintreffenden Gästen – Chor (von Tilman Michael einstudiert) und Statisterie bieten einen erstklassigen Kostümball. Man weiß mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat, nicht, wo man zuerst hinschauen soll.

In Frankfurt bekommt „Le Grand Macabre“ eine bittere Schlussvolte

Denn der glückliche Ausgang, bei dem die Liebenden heiraten und die Toten zurück in den Sarg dürfen, wird zwar von Barkhatov nicht infrage gestellt. Im Gegenteil: Die Verdunklung des Clubs wird heruntergerissen, und dahinter herrscht ein normaler sonniger Tag in einer normalen Stadt wie zum Beispiel Frankfurt. Dennoch fehlt dem Ende etwas die Kontur. Oder wir waren einfach überfordert.

Man sieht aber noch, wie Nekrotzar, der laut Textheft hätte ärgerlich wegschrumpfen müssen, diesmal aber bleiben darf, missmutig am Tresen hängt und Bilder von Kriegsbombardements im Fernsehen anschaut. Mag sein, dass er daher seine Schnapsidee hatte. Stimmt auch, dass immer irgendwo Weltuntergang ist. Und ist vielleicht Absicht, uns diese bittere Volte so beiläufig mitzugeben.

Premierenjubel, ein bisschen tastend vielleicht. „Le Grand Macabre“ hat viele Gesichter, das Frankfurter ist ausgeklügelt, womöglich gelegentlich zu ausgeklügelt, aber eine Marke und Neuland und rasant gut besetzt. Wird man also gesehen haben müssen.

Oper Frankfurt: 10., 18., 24., 26., 30. November, 2. Dezember. Dazu die neue Gesprächsreihe „Friedman in der Oper“ – Michel Friedman spricht am 28. November mit Armin Nassehi über die Apokalypse. www.oper-frankfurt.de

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