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„Salome“ an der Staatsoper Hamburg: Wie schön ist die Prinzessin Salome

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Geburtstagsfeier bei Herodes, mit an der Tafel: Jochanaan (r.). Salome tanzt fast.
Geburtstagsfeier bei Herodes, mit an der Tafel: Jochanaan (r.). Salome tanzt fast. Foto: Monika Rittershaus © Monika Rittershaus

Asmik Grigorian ist jetzt in Hamburg die perfekte Strauss-Heldin in einer zwiespältigen Inszenierung von Dmitri Tcherniakov.

Asmik Grigorian ist das Ereignis des Abends. So gehört es sich für die Heldinnen von Richard Strauss, aber es ist auch faszinierend zu erleben, wie sie die Partie, mit der ihr vor gut fünf Jahren eine Salzburger Festivalsensation gelang, wieder und mit markerschütternder Intensität und Authentizität reaktivieren kann. Dass sie sich dabei die Seele aus dem Leib singt, weil ihr Sopran bei aller perfekter Formung kein Riese ist, dass ihr aber alles mit Schönheit und Jugendfrische gelingt, was an Höhe, Ausdauer und Expressivität erforderlich ist, macht sie in Verbindung mit ihrem Spiel zur idealen Salome. Es ist absolut nichts zu sehen und zu hören, was sie von dieser gefährlichen und gefährdeten Figur trennt, es kommt einem geradezu waghalsig vor, sie das singen zu lassen (und erinnert vielleicht an Marlies Petersen, die irgendwann feststellte, dass sie zwischen sich und Lulu einen Abstand bringen musste). Aber natürlich will man auch unbedingt dabei gewesen sein. Jetzt an der Staatsoper Hamburg, wo alle Augen auf der Bühne und im Saal auf sie gerichtet sind.

Kent Nagano dirigiert eine gemäßigte, leicht mattierte, damit auch sängerfreundliche Strauss-Lesart – selbst Salomes Tanz wird hier allerdings, analog zum Bühnengeschehen, nicht gerade zur Raserei. Dmitri Tcherniakovs Inszenierung ist ambitioniert, sie darbt dann aber an der letzten und eigentlich schon der vorletzten Durchdringung. Schade umso mehr, als die Grundidee besticht, nicht weil sie völlig neu wäre, sondern weil sie viele Stereotype meidet und zugleich das gesellschaftlichen Spektakel bietet, das „Salome“ (auch) ist.

Den Bühnenraum, vom Regisseur selbst, kann man aus seiner Hamburger „Elektra“ (2021) kennen, Straussens anderes rauschhaftes, scharf komprimiertes Familiendrama, wenn man so will, und Tcherniakov will definitiv so. Im großbürgerlichen Salon mit dezentem Stuck und schmalen Schauregalen – in denen nun Herodes‘ Sammlung von (religiösen) Köpfen steht, aber keinen abgeschlagenen, sondern aus Marmor und Gips – haben Kellner während des Einlasses eine üppige Festtafel eingedeckt. Der Tetrarch feiert Geburtstag und alle sind gekommen. Auch Jochanaan, Kyle Ketelsen, sitzt mit Rolli, Buch und Brille (seit jeher die drei Erkennungsmerkmale für Intellektuelle auf der Bühne wie im TV) als Außenseiter und Ehrengast am Tisch. Sein Haar so schütter, dass Salomes Anhimmelei an dieser Stelle nachher pure, aber deplatzierte Ironie ist. Immerhin fällt er auf zwischen der High Society von Galiläa, die Elena Zaytseva in dekadente Samt- und Seidenkostüme verpackt hat.

Handverlesene Statisterie glotzt dort oben wie wir hier unten. Narraboth, der Tenor Oleksiy Palchykov, bringt einen (wunderbar lichten) Toast auf Salome aus, schöne Idee: kein ausgespieltes Oben und Unten, keine Soldaten, keine Waffen, kein Blut.

Das ist nachher zunehmend schwierig. Ohne Waffen keine Toten. Narraboth geht ab, wie Jochanaan am Ende abgehen wird. Aber woher dann die ganze Aufregung, der ganze Stress, bei dem das Geheimnis der Liebe zwar größer sein mag, aber nicht aufreibender sein kann als das Geheimnis des Todes?

Salome selbst kommt zu spät, und als hätte sie sich erst im letzten Moment doch noch entschlossen, unterm Daunenmantel ein Seidenrock zu T-Shirt und Turnschuhen. Herodias, Violeta Urmana, die große litauische Landsmännin von Grigorian und hier in einer lebhaft ausgefüllten Altersrolle, eilt zu ihr, um sie zu umarmen, die Tochter weist sie brüsk ab. Die überschwängliche Umarmung mit dem heran- und herumscharwenzelnden Stiefvater Herodes, John Daszak, ist von Salome aus blanker Hohn. Sie ist seine Lüsternheit längst gewöhnt, beim Tanz wird das für alle, die es noch nicht begriffen haben, überdeutlich.

Viele Salome-Tänze laufen heutzutage so oder so ähnlich ab: Salome steht vor allem da, lässt ihren Stiefvater (und alle, die noch wollen, und alle wollen) vor allem in Ruhe hinschauen, ist selbst ganz unbeteiligt. Grigorian spielt das sensationell, lässt ihren Körper schlapp werden, stellt Salomes völlige Lustlosigkeit krass gegen Herodes‘ Gier und Wohlwollen. Mehrfaches Auf- und Umkleiden gehört dazu, sie selbst wählt aus den Koffern, die ihr die verärgerte Herodias schon einmal an die Tür stellt, strenges Schwarz-Weiß zu kalkweißer Schminke. Der Stiefvater hat einen kindlichen Ballett-Traum in Hellblau für sie. Dass sich Grigorian zwischendurch in Unterwäsche zusammenfaltet und ins Regal hockt, erinnert an den spektakulär verweigerten Tanz in Salzburg (zusammenfaltbare Sängerinnen sind auch einfach etwas sehr Seltenes). Die Zeiten der behaglichen Zurschaustellung sind jedenfalls vorbei.

Das worüber Tcherniakovs Inszenierung stolpert, ist auch nicht die Sprödigkeit und Verweigerung des Exotischen, Folkloristischen, Sinnlichen. Im Gegenteil gelingen ihm dadurch gute Szenen. Nicht nur ist Grigorian die modernste junge Frau, die man sich in einer solchen unmöglichen Situation denken kann. Auch das Geplärr der zankenden Juden gestaltet sich in Abendanzügen gleich weit erträglicher (dennoch distanzieren sich Intendanz, Regisseur und Dirigent auf dem Besetzungszettel sicherheitshalber von den hier in der Tat angelegten antisemitischen Klischees). Auch hier fällt Naganos ungrelles Dirigat auf.

Das worüber Tcherniakovs Inszenierung stolpert, ist aber die zunehmende Text-Bild-Schere, die anders als in der gestrengen innerredaktionellen Kontrolle auf der Bühne zwar unbedingt erlaubt ist. Man kann sie dort jedoch nur riskieren, wenn man etwas Enormes zu bieten hat. Das hat Tcherniakovs Blick auf „Salome“ über die ganze Strecke nicht. Auch wenn Grigorian keinen Kopf und kein nichts braucht, um eine Schlussszene zu singen und zu spielen, die an Ekstase und Traurigkeit nichts zu wünschen übrig lässt, muss man mit Jochanaans lapidarem Abgang doch erst einmal fertig werden. Salome (keine Waffen sind zur Hand) bricht von selbst zusammen und liegt da wie tot. Wenn man es sich kompliziert macht, und Tcherniakow macht es sich kompliziert und eine „Salome“ kann auch nicht kompliziert genug sein, dann ist das zu einfach.

Alle Augen auf Grigorian, alle Ohren auch, wobei der Herodes des grandios spielenden Daszak tatsächlich etwas sehr milde singt (was zur mäßig bedrohlichen Lage passt). Ketelsen ist ein wohlklingender Jochanaan, aber Mauern bringt er nicht zum Einstürzen. Heilige können das, Intellektuelle nicht. Der insgesamt schöne Beifall konzentriert sich ebenfalls stark auf den Star.

Hamburgische Staatsoper: 1., 4., 8., 12., 15. November. www.staatsoper-hamburg.de

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