Staatsoper Wien: Keikobads Prüfungen

Xl_die_frau_ohne_schatten_6766_van-den-heever_pankratova_ensemble_chor © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Wiener Staatsoper

Die Frau ohne Schatten

(Richard Strauss)

Premiere am 25.05.2019  

besuchte Aufführung: 24.10.2023

Die Frau ohne Schatten entstand über mehrere Jahre ab 1914 in der bewährten Partnerschaft Richard Strauss‘ mit Hugo von Hofmannsthal und wurde 1919 an der Wiener Staatsoper uraufgeführt. Es war seinerzeit gewissermaßen ein Geschenk des Komponisten an das Haus am Ring anlässlich des Antritts seiner Direktion. Zum hundertjährigen Jubiläum der Uraufführung und gleichzeitig zum 150-jährigen Jubiläum der Wiener Oper im Jahre 2019 hat der Regisseur Vincent Huguet eine Neuinszenierung realisiert, die jetzt - im Oktober 2023 - wiederaufgenommen wurde.  

Die Handlung der Oper ist eine Prüfungs- und Läuterungsoper (wie thematisch auch Mozarts Zauberflöte, die unter anderem als Anregung diente) mit zwei Paaren aus der oberen Kaiser- und Geisterwelt sowie unteren, der Menschensphäre. Hofmannsthal hat dazu diverse Mythen und Märchen aus unterschiedlichen Weltregionen, unter anderem auch dem orientalischen Raum, zusammengefügt.  

Die Prüfung zielt auf einen verantwortungsvollen, mitfühlenden, verzichtenden und veränderungsbereiten Charakter, welche im Wesentlichen für die Menschwerdung der aus dem Feenreich stammenden Kaiserin gestaltet ist. Oberster Richter ist der abwesende Vater der Kaiserin: Keikobad, eine Figur aus einem orientalischen Stück von Gozzi mit Entlehnungen aus der persischen Mythologie. Auch eine Querverbindung zu Sarastro aus der Zauberflöte existiert. Der Text von Hofmannsthal ist stilistisch artifiziell und von einer hymnisch-monumentalen Gestik, die Anfang des 20. Jahrhunderts als märchenhafte Aura wirken konnte, heute jedoch nicht leicht zugänglich wirkt.

In Huguets empathischen und feinsinnigen Bühnenkonzept sieht man die mephistophelisch-kalte Amme ihren Schützling, die Kaiserin, im Schlaf zärtlich umarmen und mit einer blauen Pfauenfeder berühren. Auch die Kaiserin umarmt Barak im Schlaf (abweichend von der Handlung) in tiefem Mitgefühl. Diese Regungen des Mitleids werden der in der Geisterwelt geborenen, enthobenen, aber den Menschen zugewandten Fee erst die ersehnte menschliche Seele und Fruchtbarkeit geben. Hier hat die Inszenierung ihre besondere Innerlichkeit und verdeutlicht den Kerninhalt des Werkes in sanften und einfachen Gesten eindringlich. Über weite Strecken allerdings agieren die Darsteller dann auch wieder mit standardisiertem Spiel. Vermutlich sind über die Zeit und den Wechsel der Sängerdarsteller weitere feinsinnige Elemente der Personenführung verloren gegangen.      

Huguet arbeitet mit seinem ihm vertrauten Team zusammen. Der Bühnenraum stammt von Aurélie Maestre und wird beherrscht durch schroffes, gewaltiges Basaltgestein, welches den menschenfeindlichen Naturraum des Reiches von Keikobad beschreibt und durch rasch wechselnde Licht- und Videokunst von Bertrand Gouderc den jeweiligen Handlungsräumen in der Sphäre der Geister oder der armen Welt der Menschen angepasst wird. Die riesigen Basaltquader auf der Bühne bergen jedoch die Gefahr einer fortlaufenden optischen Einengung. Ihre Öffnung nach bestandener Prüfung am Schluss für den hinzutretenden Kinderchor ist nur unter schwerer und schwerfälliger Bewegung möglich. Die Kostüme stammen von Clémence Pernoud. 

Die Partitur zeichnet sich durch einen übergroßen Orchesterapparat aus und erfordert – neben vielen kleineren Partien - ein Kernensemble mit fünf außerordentlich großen, ausdrucksstarken Stimmen mit nachhaltiger physischer Ausdauer. Nicht selten besteht die Gefahr von unkontrollierten, lauten Klangballungen im Orchester, die wiederum die Sänger zum Schreien verführen können. 

Die Produktion wird von Beginn 2019 musikalisch von Christian Thielemann betreut, der alle üblicherweise angebrachten Striche öffnet und die Partitur in ihrer Gesamtheit präsentiert. Er sieht andernfalls den beabsichtigten strukturellen Aufbau der Klangwelten des Werkes nicht gewährleistet.

Thielemann arbeitet dabei an vielen Stellen mit delikatester Zurückhaltung und – wo immer möglich - kammermusikalischem Gestus.  Die Strukturierung des ersten Aktes mit immer feineren, leiseren, innigeren Klangmomenten, bis hin zum zarten, in seiner Innigkeit überwältigenden Wächtergesang vermittelt ergreifend schon den idealen Seelenort des Zieles der durch die Prüfung gehenden Paare.

Das Orchester der Wiener Staatsoper hat in Klangfülle und -variabilität sowie in der Spannweite der entfachten dynamischen Entwicklung unendliche Möglichkeiten. Dabei überzeugen die immer wieder leisen, verinnerlichten, kammermusikalischen Elemente ganz besonders. Aber auch in den musikalisch gewaltig aufschwingenden Hymnen des Schluss-Ensembles bleibt der Klang durchhörbar und die Balance zu den Sängern auf der Bühne gewährleistet. Das Orchester arbeitet seit vielen Jahren mit Thielemann an der Realisierung dieses Riesenwerkes zusammen. Schon zu den Salzburger Festspielen 2011 - bei einer Inszenierung von Christoph Loy - wurde über ein regelrechtes Klangwunder berichtet.    

Andreas Schager als Kaiser setzt seinen offenbar unerschöpflichen tenoralen Stimmreichtum mit großer Textverständlichkeit ein und kann die teilweise starren Phasen der Partie mit sinngebender Diktion nahebringen.  

Elza van den Heever als Kaiserin besticht mit leuchtend-klaren Höhen, klangschöner Stimmgebung und unerschöpflicher Ausdauer in ihrer anspruchsvollen Partie. Gerade bei der Kaiserin sind die ansonsten üblichen, erheblichen Striche geöffnet, die die Rolle sängerisch und darstellerisch dadurch noch gewaltiger machen.   

Tanja Ariane Baumgartner als Amme weiß auch die mütterlich-zugewandten Seiten der Rolle und damit auch die zurückgenommenen, sanfteren Modulationen der Gesangspartie hervorzuheben. Damit passt sie sich bestens in das musikalische Gesamtkonzept des Dirigenten sowie der Regie ein.        

Elena Pankratova als Färberin gewinnt im Verlauf ihrer sich über den Abend steigernden Leistung an Ruhe und Ausstrahlung und gewinnt zunehmend an Textverständlichkeit.   

Tomasz Konieczny als Barak weiß seinen Bariton mit klarer Diktion und – wo immer möglich – sanfter Klangfärbung zu führen. Seine Textverständlichkeit ist vorbildlich. Der Geisterbote von Clemens Unterreiner überzeugt mit stimmlicher und darstellerischer Durchschlagskraft und autoritärer Ausstrahlung.  

Der Chor der Wiener Staatsoper und die Kinder der Opernschule unter Thomas Lang erfüllen die Chorpartien überzeugend.   

Ein außerordentliches musikalisches Ereignis, das vor dem Hintergrund seines hohen Anspruchs an alle Mitwirkenden dem Werk glänzend gerecht wird und seinen Rang angemessen präsentiert. 

Tosender Beifall mit vielen  bravi-Rufen, der in eine standing ovation mündet.     

Wer möchte, kann Christian Thielemann im März 2024 nach Dresden folgen, wo er mit der ihm vertrauten Dresdner Staatskapelle eine Neuproduktion leiten wird. Der nächste logische Fixpunkt wäre dann eine Realisierung an der Staatsoper Unter den Linden, wo Thielemann gerade seine neue Chefposition antritt und die Staatskapelle Berlin das Werk zuvor mit Daniel Barenboim gemeistert hat.   

Achim Dombrowski

 

Copyright Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

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