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„Elektra“ im Mainfranken-Theater Würzburg: Die zornige Frau und ihre Waffe

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Elektra, der Fremdkörper im königlichen Salon. Foto: Nik Schölzel
Elektra, der Fremdkörper im königlichen Salon. Foto: Nik Schölzel © Nik Schölzel

Theaterwunder im Ausweichquartier: Das Mainfranken Theater Würzburg zeigt eine immens kompakte und starke „Elektra“.

Aus Frankfurter Sicht schauen Theaterinteressierte schon seit etwa fünf Jahren – das ist bitter – mit besonderem Interesse auf Häuser, die für eine Sanierung oder einen Neubau oder was auch immer (!) eine Ausweichspielstätte benötigen. Das ist nie ideal, das ist ein Kompromiss, immerhin jedoch tut sich was. Allerdings zieht es sich auch hin.

2023/24 ist die vierte Spielzeit, in der das Mainfranken Theater seine großen Produktionen auf einem Fabrikgelände in der Würzburger Dürrbachau zeigt. Der Name Theaterfabrik Blaue Halle ist zutiefst romantisch, der Ort ein Licht in der Finsternis, wenn man ihn denn gefunden hat. Auch sind hier Wunder möglich. Richard Strauss’ „Elektra“ zum Beispiel kommt zu einer seltenen Kraft und Durchdringung. Das war so nicht zu erwarten. Der Regisseurin Nina Russi und dem Dirigenten Enrico Calesso gelingt das mit sogenannten überschaubaren Bordmitteln, Sinn, Verstand und vermutlich viel Zuneigung. Die Strauss’sche „Elektra“-Musik ist ja monströs, das Bühnengeschehen gleichwohl kompakt.

Ausstatterin Julia Katharina Berndt hat wesentlichen Anteil an diesem kleinen, eigentlich gar nicht so kleinen Theaterwunder. Ihre Bühne ist ein weißes Podest im Orchestermeer. In der Mitte des Spielwürfels eine weiße raumteilende Schwingtür, die längs, quer und diagonal zur schlicht getäfelten Salonwand werden kann. Sie ermöglicht zügige Auftritte und Abgänge, Lauschaktionen, Einsamkeiten, Schattenspiele. Unterm Podest ist es finster und vermüllt, hier haust Elektra im Halbschatten – und hütet auch Kindheitserinnerungen, Orests Dreirädchen taucht nachher auf –, während sich oben in Berndts eigenwilliger Lesart von Jahrhundertwendekostümen ein bürgerliches Kammerspiel zeigt. Bis in die Mundwinkel der Statisterie hinein ist das ein unbehagliches Belauern und Aufeinanderhocken, eine Häme und eine Angst, eine Lust am Unglück der anderen, ohne dass groß etwas passieren würde. Zucht und Ordnung herrschen. Eine Peitsche ist zur Hand, vage bekommt man den Eindruck, dass Lack und Leder am Hofe eine Rolle spielen.

Am Boden auch ein erloschener Kronleuchter, anzunehmen, dass er am Ende, wenn die Rache vollzogen ist und das Fest beginnt, hochgezogen werden und neu erglühen wird. So kommt es dann auch. Das ist aber keine Frage der Vorhersehbarkeit, sondern der Folgerichtigkeit. Kompakt und plausibel ist Russis Lesart, sie braucht weder Blutkonserven noch sonstige Grellheiten, um der totalen Dauerregung von Lage und Musik angemessene Bilder mitzugeben. Hier bewegen sich einfach Menschen – kriechend, stolzierend, huschend, immer glotzend – in einem Alptraum, den sie längst kennen und dem sie trotzdem nicht gelassen gegenüberstehen können. Seltsame Leute, auch die weiß uniformierten Mägde, die Atmosphäre nervös und aufgereizt, und doch ist man unter Individuen, nicht unter Fratzen.

Selbst Klytämnestra, Sanja Anastasia, ist keine Scharteke, sondern eine ernstzunehmende, hochexpressive Diva, Panik in den Augen, aber die Frisur sitzt. Chrysothemis im Puppenballkleid, Margarita Vilsone, ist ihrerseits reichlich verstört. Zu hören ist ein eindrucksvolles Frauentrio, wobei die Elektra von Elena Batoukova-Kerl nicht nur astreine Flüche abliefert. Sie überzeugt auch insgesamt mit nicht allein durchschlagender, sondern schöner Hochdramatik. Manchmal muss sie sorgfältig ansetzen, es gelingt. Den Zorn nimmt man ihr ab, ebenso die Ohnmacht, bis aus dem Zuschauerraum Orest allmählich herankommt, der milde Bassbariton Kosma Ranuer Kroon. Denn immer wieder durchbricht Russi beiläufig und spannend die vierte Wand, macht damit auch uns offensiv zum Teil der stierenden Menge. Nachher werden Blechbläser ins Bühnenbild steigen. Aegisth, Brad Cooper, schäkert mit einer Harfenistin, bevor er ins „Haus“ tritt und seiner Ermordung entgegen. Russi baut einen starken Kontrast zwischen den beiden Männern auf, Aegisth mehr Leichtfuß als Idiot, Orest dagegen ist die Waffe, auf die Elektra gewartet hat, mönchisch, schicksalsergeben.

Auch in Würzburg wird hinter der weißen Holzwand getötet, aber es ist fürchterlich, als würde ein riesiges Tier seine Opfer nach hinten zerren. Vielleicht ist es die possierliche Bühnengröße, die an ein unheimliches Uhrwerk denken lässt. Vielleicht ist es die Eleganz, mit der Russi das Spiel im Fluss hält. Das meiste wirkt ganz einfach und ungezwungen, hinter so etwas steckt erst recht akribische Arbeit.

Für die Halle ist die Musik fast zu groß, aber das ist Theorie. Praktisch steht es „Elektra“, in solcher Übergröße zu erklingen. Auch das Orchester schreit ja mit an diesem Abend des Herumschreiens, und Calesso tariert das trotzdem alles so aus, dass es stimmig erscheint.

Die Geschichte der Würzburger Theatersanierung ist indessen ein Drama für sich. Auf der Homepage lässt es sich in der vermutlich höflichen und abgeklärten Zusammenfassung nachlesen. Das neue Kleine Haus wird aber Anfang Dezember eröffnet!

Mainfranken Theater Würzburg in der Theaterfabrik Blaue Halle: 31. Oktober, 22. November, 1. Dezember. mainfrankentheater.de

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