Oratorium
Emotionale Verstrickungen: Didymus (Christopher Lowrey), Valens (Evan Hughes) und Theodora (Jacquelyn Wagner, v. li.).
Forster

Turbulente Handlungsstränge sind Georg Friedrich Händels dramatischem Oratorium fremd. Theodora ist eine Art emotional aufgeladene Personenaufstellung, die von inneren Religionskonflikten und einem Befolgen der Gebote nach Vorschrift angetrieben wird, Motto: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben!

Es begab sich also einst im Römischen Reich, dass eine zum Christentum übergelaufene Prinzessin lieber ins Jenseits aufsteigt, als die kaiserlich angeordnete Lobpreisung Jupiters zu vollziehen. Angedrohte Folterbank und Scheiterhaufen können sie nicht brechen.

Dramatische Märtyrergeschichte

Ihr Glaube an reine, höhere Freuden in einer immateriellen Sphäre, dort, wo Seelenheil wartet, lässt Theodora standhaft das Todesurteil von Statthalter Valens (solide, bisweilen etwas fragil orgelnd Evan Hughes) akzeptieren. Es trifft dann auch den Theodora zugetanen Offizier Didymus (Christopher Lowrey). Eine dramatische Märtyrergeschichte eben, 1750 in London uraufgeführt.

Was aber tun mit dem Ganzen heute? Regisseur Stefan Herheim, Intendant des Theaters an der Wien, zieht die Geschichte weder in Richtung eines religiösen Fanatismus, noch hebt er sie auf die Ebene einer sakralen Verklärung von Standhaftigkeit und Glaubensinbrunst. Klar. Ersteres wäre allzu platt, Letzteres eher etwas für ein Gastspiel im Vatikan. Überraschender-, aber auch tragischerweise situiert er Theodora im exakt nachgebauten Wiener Café Central in der Herrengasse (Bühne: Silke Bauer), das bei Touristen sehr beliebt ist. Ebendort sind die fünf ineinander verstrickten Figuren für das leibliche Kuchenwohl der bunten Gästeschar zuständig.

Einiges verwunderlich

Interpretatorisch wurde da also sehr weit ausgeholt, und das ging leider gar nicht auf. Erstens wird nie evident, welchen Mehrwert es bringen sollte, die vom Glauben Durchdrungenen als Kellner und Kellnerin zu definieren, zwischen denen es auch erotisch und emotional knistert.

Zweitens wirkt verwunderlich, dass Stefan Herheim, der Virtuose unter den fantasievollen Regisseuren, auf der Bewegungsebene vor allem mit dem profunden Schoenberg Chor ein Klischee ans andere reiht. Es wirkt die Gruppe, so sie zu schlafen scheint oder in Zeitungen blättert, lebendiger und sinnvoller inszeniert als in jenen Szenen, die sie aus der Sitzpose heraushieven und zum Ablegen von Kleidern und Anzügen auffordern.

Himmlischer Dachboden

Im Negligé oder in Unterhosen stehen sie dann hilflos da – wie auch die Hauptfiguren: Als jungfräuliche Theodora muss sich Jacquelyn Wagner bisweilen auf einem Billardtisch rekeln oder vor dem übergriffigen Café-Manager Valens knien. Vokal verfügt sie über starke Präsenz. Ihre Töne berücken durch einen Mix aus Klarheit und Robustheit. Als Didymus präsentiert sich Christopher Lowrey vokal zumeist edel, wie auch David Portillo als Septimius und Julie Boulianne als Irene.

Ihre vokalen Darbietungen helfen allerdings mit der Zeit wenig. Das Unterfangen wirkt bleiern, die Figuren scheinen irgendwie eingemauert. Auch die filmisch herbeigezauberte Illusion, das Café Central würde kurz in den Himmel aufsteigen, mutete nur wie eine belebende Fußnote an. Schließlich bleibt Herheim konzeptuell auch noch leider konsequent: Am Ende verlassen Kellner Didymus und Kellnerin Theodora ihre Arbeitsplätze, werden entlassen. Während sie getrennte Wege einschlagen, senkt sich die Decke im Café Central. Oben steht plötzlich – quasi auf einem himmlischen Dachboden – ein Mann mit großen weißen Engelsflügeln. Sorry. Damit wurde das konzeptuell Aufgesetzte dieser Arbeit grotesk und eher unfreiwillig komisch vollendet.

Händels magischer Melancholie

Der global angesehene Countertenor Bejun Mehta dirigierte das La Folia Barockorchester: Es begann akzentuiert und energisch und im historisch informierten Sinn vibratolos schlank, ohne den harmonischen Zauber einzublässen. Händels magischer Melancholie, die gerne nahe am Stillstand Charme entfaltet, verlieh man intime Strahlkraft. Mit der Zeit schienen die Kräfte jedoch etwas zu schwinden. Akzente kamen nicht mehr mit der anfänglichen Dringlichkeit, es klang flach.

Der barocke Marathon erntete aber recht freundliche Reaktionen, die bei Herheims Erscheinen nicht pausierten. (Ljubisa Tosic, 21.10.2023)