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BERN/ Bühnen: TOSCA – Vom Milchmann in der Engelsburg. Premiere

16.10.2023 | Oper international

Giacomo Puccini: Tosca • Bühnen Bern • Premiere: 15.10.2023

Vom Milchmann in der Engelsburg

Nach dem Beginn mit zwei erfolgreichen Wiederaufnahmen und der konzertanten Aufführung von Raffs «Samson» eröffnen die Bühnen Bern die Musiktheater-Saison nun mit Puccinis «Tosca». Regie und Bühnenbild stammen von Raimund Orfeo Voigt.

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1. Akt, Beginn des Te Deum: Foto © Tanja Dorendorf.

Raimund Orfeo Voigt lässt sich für seine Inszenierung der «Tosca» vom «Film noir» inspirieren: «Die Ästhetik des Realismus muss wie ein blankes Messer klar und scharf sein; …». Die Parallelen von «Tosca» und «Film noir» liegen für Voigt in der «kinematographischen Operndramaturgie»: drei klar geteilten Akten und der Führung vermittelst musikalischer Kontraste, die Emotionen und Bilder vorgeben. Die permanente Beschleunigung lässt «Tosca» zum Thriller werden. Puccini nimmt eine Technik vorweg, die der Film Jahrzehnte später zum Thriller weiterentwickelte. Mit der Technik der Fokussierung macht Voigt einzelne Details sichtbar und lässt anderes bewusst im Hintergrund: «Das ist für mich im Theater das Spannende: nur die Aktion oder Reaktion zu sehen, aber nicht beides». Für Voigt muss die Bühne vor allem die Situationen beglaubigen, ohne dies funktioniere «Tosca» nicht. Entsprechend mehr oder weniger eng erzählt Voigt die Geschichte am Libretto.

Der erste Akt spielt in einem komplett weissen, kirchenartigen Raum. Vielleicht entspricht die schwierige Verortung im Innern einer Kirche der Idee Voigts nicht alles im Hellen zu zeigen, sondern manches im Dunkeln zu lassen und der Phantasie des Zuschauers zu überlassen. Warum der Chor inklusive der Kinder zuerst gegen den Sagrestano und dann Scarpia tätlich aggressiv wird, bleibt unklar. Scarpia erinnert in seiner Rolle als Polizeichef an einen Mafia-Boss. Kleine Hoppalas gibt es auch zu vermelden: Cavaradossis Farbpalette, die ihm zur Umsetzung der durch ein Foto Toscas erhaltenen Impressionen dient, sieht nach dem Brotbrett (hellbraun und eckig anstelle der ikonischen, ovalen Form) aus der Kantine aus und des Sagrestanos Besen scheint eben noch im nächsten Baumarkt im Regal gestanden zu haben.

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2. Akt: Foto © Tanja Dorendorf.

Der zweite Akt spielt in einem (Sommer-)Palast: hinter zwei doppelten Flügeltüren ist ein grosser, schlichter Saal mit nur ganz wenig Mobiliar zu sehen. Wie im ersten Akt ist der Zuschauer wieder Voyeur, sieht nur die Fassade und muss sich den Rest vorstellen. Auf der rechten Seite spielt sich der Kampf zwischen Tosca und Scarpia ab, links ist, anders als gewöhnlich Cavaradossis Folterung nur gemildert durch einen Vorhang zu sehen. Eine besondere Personenführung ist hier nicht nötig, denn das Geschehen nimmt rasant an Fahrt auf bis zur kaum noch erträglichen in einem zweiten Akt von Tosca so kaum je erlebten Spannung. Besonders reizvoll ist der für einmal nicht hinter der Bühne, sondern im Foyer positionierte und durch die offenen Türen zu hörende Chor. Hier wird klar, wie sehr der permanente schwarze Rahmen um die Bühne zur Bildmächtigkeit der Inszenierung beiträgt. Scarpia an der Türe oder Tosca die am Rahmen lehnt: das sind Bilder, die bleiben (Licht: Bernhard Bieri). Passend zur Anlage Scarpias als Mafiaboss, richtet Tosca ihn mit einem Klappmesser. Den Kerzenleuchter zerschmettert sie vor seiner Leiche auf dem Boden.

(Nördlich der Alpen eigentlich gänzlich ungewöhnlich wird diese Tosca mit zwei Pausen gespielt).

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3. Akt, Auftritt des Hirten: Foto © Tanja Dorendorf.

Gespannt wird erwartet, wo nun der dritte Akt spielt: Im Treppenhaus der Engelsburg. Links die Räume der Sbirren, die auf ihren Capo warten, rechts Cavaradossi ans Geländer gekettet. Der Hirte wird hier zum Milchmann, der den Palast versorgt. Auch für das im Treppenhaus ans Geländer gekettete Häufchen Elend hast er eine Flasche übrig. Dann gehen die Dinge ihren gewohnten Gang, Cavaradossi wird gleich im Treppenhaus erschossen. Tosca stürzt sich aus dem nächsten Fenster.

Das Berner Symphonieorchester unter Nicholas Carter unterstütz mit seinem messerscharfen, klaren Spiel Voigts Konzept und bringt Puccinis mitreissende Musik grandios zur Geltung. So geht Puccini. Und mit etwas weniger Lautstärke und mehr Rücksicht auf die Sänger an den entscheidenden Stellen geht er sogar noch besser.

Eine Krone des Abends gebührt den Chören, dem Chor der Bühnen Bern und der Kinderchor der Bühnen Bern, vorbereitet von Zsolt Czetner und Abélia Nordmann. Der Kinderchor klingt ausserordentlich homogen und glänz mit geordneter Spielfreude. Wunderbar weich und kompakt klingt der Chor im zweiten Akt, wo er im Foyer positioniert und durch die offenen Türen zu hören war.

Elizabeth Caballero ist eine Tosca wie man sie sich in dieser Inszenierung kaum besser denken. Im sommerlichen Blumenkleid mit hellblauem Mantel und blonder Frisur (erinnert sie an die grossen Schauspierinnen der 50er-Jahre und)fokussiert sie auf die Frau und ihre (verletzten) Gefühle. Mit herrlich tragendem Sopran und wunderbaren Farben in der Stimme gibt sie eine jüngere, recht resolute Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Ähnlich intensiv vom Publikum gefeiert wird Seth Carico als Barone Scarpia. Seine Rolle ist vom Konzept her als Mafiaboss angelegt, als sehr menschlicher Mafiaboss, denn im 2. Akt zeigt er mit überragender Bühnenpräsenz wie die Hybris der Macht von ihm Besitz ergreift. Stimmlich bleibt nichts zu wünschen, nur kurz wird er im Te Deum vom Graben an seine Grenzen gebracht. Mykhailo Malafii war an diesem Abend mit der Rolle des Mario Cavaradossi leider überfordert. Während das untere Register tadellos klingt und die Diktion nicht zu bestanstanden ist, klingen die mittleren und oberen Register doch sehr gedrückt und gepresst und die Textverständlichkeit lässt doch arg zu wünschen übrig. In «Ah, quegli occhi…Quale occhio al mondo può star di paro» kann die Stimme die Töne nicht mehr halte: Malafii verliert die Kontrolle über die Stimme. Die Vittoria-Schreie waren durch Kürze und Heiserkeit geprägt. Für «E lucevan le stelle» fängt er sich nochmals. Jonathan Mc Govern gibt einen überzeugenden Cesare Angelotti, dem man das Amt des Konsuls der ehemaligen römischen Republik. Christian Valle als Sagrestano gewinnt durch sein Habit zusätzlich an Autorität. Michał Prószyński als Spoletta, Andres Feliu als Sciarrone und Iyad Dwaier als Schliesser sind drei Sbirren, wie sie Puccini sich gedacht haben dürfte. Maël Stähler (Kinderchor der Bühnen Bern) ist ein eher schüchterner Hirt

Eine bildmächtige, absolut theaterpraktische Inszenierung.

Weitere Aufführungen:

So. 22.10.2023, 18:00; Sa. 28.10.2023, 19:30; Mi. 15.11.2023, 19:30; So. 19.11.2023, 18:00;

Di. 28.11.2023, 19:30; Mi. 13.12.2023, 19:30; Fr. 15.12.2023, 19:30; Fr. 29.12.2023, 19:30;

So. 31.12.2023, 18:00; Sa. 13.01.2024, 19:30; Sa. 17.02.2024, 19:30; Sa. 02.03.2024, 19:30;

So. 24.03.2024, 16:00.

 

16.10.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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