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Kritik - "Elektra" in Würzburg In der Drehtür des Grauens

Stehende Ovationen für einen in jeder Hinsicht aufwühlenden Richard-Strauss-Abend: Das düstere (und lautstarke) Rachedrama um eine mörderische Königsfamilie überzeugte in Würzburg mit einer bildstarken Regie und einem funkensprühenden Dirigat. Psychotherapie als Sitzung der ganz blutigen Art.

Szene aus Elektra am Mainfrankentheater Würzburg 2023. | Bildquelle: Nik Scholzel

Bildquelle: Nik Scholzel

Bisher hat ja noch kein Arzt die Seele gefunden, nicht mal der große Pathologe Rudolf Virchow. Der Komponist Richard Strauss dagegen hatte mehr Glück, er enträtselte in seiner "Elektra", was die Seele eigentlich ist: Eine Wunde, und so, wie es aussieht, eine offene, denn die Seele sei auch ein Brand, ein Eiter, eine Flamme. Kein Wunder, dass die "Elektra" nicht gerade zu den Publikumslieblingen zählt, denn einer solchen Seele beim Leiden zuzuschauen ist ja alles andere als appetitanregend. Allerdings kann es zutiefst berührend sein, wenn es so inszeniert wird wie von der schweizerisch-österreichischen Regisseurin Nina Russi am Mainfrankentheater in Würzburg.

Bühne mit ganz starken Bildideen

Ihre Ausstatterin Julia Katharina Berndt hatte ihr eine Drehtür des Grauens entworfen, die mitten im riesigen Orchester steht. Wehe, wenn sie rotiert, dann quillt der im Textbuch erwähnte Eiter förmlich heraus aus der Wunde, dann wälzt sich der ganze Unrat, der sich in dieser verdorbenen königlichen Familie angesammelt hat, über die scheinbar so saubere, steril-weiße Spielfläche - natürlich nur sinnbildlich, dafür aber umso bestürzender. Und am Ende, wenn alles zusammenstürzt, dreht sich nicht mehr die Tür, sondern der ganze Raum drumherum. Da tanzt nicht nur die übergeschnappte Elektra, da tanzen auch die Verhältnisse um sie herum. Ganz starke Bildideen, die auch entsprechend begeistert beklatscht wurden.

Elektra: eine Messie-Existenz auf engstem Raum

Szene aus Elektra am Mainfrankentheater Würzburg 2023. | Bildquelle: Nik Scholzel Szene aus "Elektra" in Würzburg. | Bildquelle: Nik Scholzel Und dass, wo das Mainfrankentheater doch in der recht unwirtlichen Blauen Halle spielen muss, einem Provisorium, in dem das Orchester kaum Platz findet. Nur ein paar Meter bleiben für die Szene, aber das ist in diesem Fall kein Problem, denn die Musik von Richard Strauss ist zwar monumental, die Handlung jedoch ein Kammerspiel, das genauso gut in einer Einzelzelle stattfinden könnte. Elektra sinnt auf Rache, das ist ihre schwärende Wunde, weil ihre Mutter Klytämnestra ihren Vater ermorden ließ, um für einen anderen Mann frei zu sein. Während Klytämnestra schlecht schläft, ist ihre Tochter Elektra zu einer Messie-Existenz herabgesunken, die zwischen schwarzen Müllbeuteln haust. Ein Kronleuchter, der wohl einst für prachtvolle Beleuchtung sorgte, liegt zerdeppert am Boden. In dem Moment, wo das Blut mit Blut gerächt ist, wird er wieder aufgezogen und leuchtet tatsächlich. Ein Gänsehaut-Moment!

Großer Erfolg dank Dirigent Enrico Calesso

Zum Erfolg dieser "Elektra" trug nicht zuletzt Generalmusikdirektor Enrico Calesso bei, ein Dirigent, der im Zweifel den Wahnsinnstanz der Königstochter noch übertrifft, so fulminant, wie er sich in die Partitur wirft. Calesso hat so viel Freude am Funkenflug dieser Musik, an ihren Splattereffekten und reißerischen Spannungsmomenten, dass das eigentliche Anliegen des Expressionismus mehr als deutlich wird: Überwältigen mit Emotion. Das abgedroschene Wort Klanglawine hat hier seine Berechtigung.

Die gebürtige Russin Elena Batoukova-Kerl mag nicht die textverständlichste Elektra sein, aber an Ausstrahlung stellt sie kaum eine Kollegin in den Schatten. Mit ihren schwarzen Kampfstiefeln, ihrem Zottellook und energischen Gesten beherrscht sie die Szene. Sanja Anastasia als Klytemnästra begeisterte im feuerroten Outfit einer Megäre, die längst innerlich vereist ist. Ein packendes Frauenpower-Duell buchstäblich bis aufs Messer, das durch die Chrysothemis der eingesprungenen Margarita Vilsone absolut authentisch ergänzt wurde. Diese Psychotherapie-Sitzung zwischen Mutter und Tochter der ganz blutigen Art auf wackligen Holzschemeln wirkt lange nach.

Alle Achtung für das Mainfrankentheater

Ein Beispiel dafür, dass die sprichwörtliche Seelenverwandtschaft eher ein Grund zum Fürchten als zum Lieben ist, jedenfalls an diesem Königshof. Alle Achtung, was das Mainfrankentheater da mit bescheidenen äußeren Mitteln stemmte. Das antike Theater verstand sich ja stets als Psychotherapie, als Triebventil der Stadtgesellschaft, als Mittel zur Läuterung der Seele, besser bekannt als Katharsis. Moderne Zuschauer können das schwer nachvollziehen, aber in Würzburg mit etwas Nachhilfe durch Richard Strauss immerhin erahnen.

Sendung: "Allegro" am 09. Oktober 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Montag, 09.Oktober, 18:34 Uhr

Noch ein Fragender

Erbärmliche Kritik

und schon wieder eine Musiktheaterkritik, bei der die Musik so gut wie keine Rolle spielt. Zwei, drei Allgemeinplatz-Adjektive reichen nicht. Was soll das? Es geht hier nicht um Schauspiel. Der Sänger des Orest wird nicht einmal erwähnt. Gibt es wirklich niemanden in der BR-Klassik Redaktion, dem sowas auffällt? Hier fehlen fundamentale Dinge, die ein Kritiker leisten sollte. Ein erbärmliches Niveau ist das.

Montag, 09.Oktober, 16:30 Uhr

Besucher

Imposant

Ich hatte meine Zweifel, wie das funktionieren sollte mit der kleinen Bühne. Es hat sehr gut funktioniert. Die Sängerinnen und Sänger waren zwischen den Musikern gut platziert und konnten sich stimmlich hervorragend entfalten. Das Orchester war stellenweise laut, vermutlich ist der Saal doch etwas zu knapp bemessen, aber nie auf Kosten der Gesangspartien.
Sehens- und hörenswert!

Montag, 09.Oktober, 13:32 Uhr

Dipl.Mus. Elisabeth Amandi

Enrico Calesso - eine außergewöhnlicher Dirigent

Ich weiß seit der Uraufführung von meinem "Ritmo Vito - Suite für Marimba, Streichorchester, Piano und Percussion" damals 2018 im Würzburger Mainfrankentheater, welch außergewohnlichen Generalmusikdirektor Würzburg hat!
Er war enorm mutig und innovativ zu erkennen, was das Besondere an meiner Musik ausmacht: die rhythmische Komplexität innerhalb der 13 Stimmen.
Seitdem habe ich einige Aufführungen unter seinem Dirigat erleben können und bin tief traurig darüber, dass er 2025 Würzburg verlässt Richtung Italien seiner Heimat! Er ist ein selten inspirierender Musiker!

Montag, 09.Oktober, 09:37 Uhr

Fragender

Oper oder nur Theater

Beim Lesen und Hören dieser Kritik tun sich mir doch einige Fragen auf:
Wurde an diesem Abend auch gesungen, oder nur gespielt, getanzt, . . . ?
Wie ausgewogen war das Verhätnis zwischen Orchester und Solisten?
Wie war ganz allgemein die Akkustik in der Ausweichspielstätte, und wie kamen die musikalisch Beteiligten damit zurecht?
Schade, dass sich BR-Klassik (Zeit für Musik?) mit diesen Fragen in den Kritiken nicht mehr, oder nur noch mit Allgemeinplätzen in Nebensätzen auseinandersetzt.
Mit ratlosem Gruß
TW

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