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WIEN / Staatsoper: LA TRAVIATA

Lisette Oropesa als Violeta Valéry setzt neue Maßstäbe für Simon Stones La Traviata

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Losette Oropesa (Violetta Valéry). Alle Fotos: Wiener Statsoper ( Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LA TRAVIATA

18. Aufführung in dieser Inszenierung

6. Oktober 2023

Von Manfred A. Schmid

Die glattpoliert coole, etwas steril anmutende Instagram-Inszenierung von Simon Stone, eine Koproduktion mit der Opéra national de Paris, hat in der kubanisch-amerikanischen Sängerin Lisette Oropesa die bisher beste Besetzung für die von Stone als It-Girl vorgeführte Titelfigur gefunden. Ihr gelingt es, Violetta Valéry aus der schablonenhaften Zuschreibung herauszuholen und sie als ernstzunehmende junge Frau auf die Bühne zu stellen, deren tragisches Schicksal man mit Sympathie und Mitgefühl verfolgen wird. Oropesa, stimmlich und darstellerisch ein Glücksfall, zeigt, dass ihre Traviata mehr ist als ein nur oberflächlich durch mediale Dauerpräsenz definiertes Mädchen, sondern tatsächlich eine Frau mit „mit dem gewissen Etwas“. Der Zauber, der sie umhüllt, ist mehr als bloßer Sexappeal, Ausstrahlung und Auftreten.

Oropesas eher lyrischer als dramatischer Sopran beeindruckt mit schimmernder Schönheit, ist technisch perfekt und ermöglicht ihr ein müheloses Legato und präzise himmlische Koloraturen, auch in höchster Stimmlage. Das duftig leichte Timbre und ihr feines Vibrato verleihen ihrer Stimme einen pochenden, eindringlichen Klang. Wunderbar gestaltet sie das „Sempre libera“ und die Triller in „Ah, fors‘ è lui“ im dritten Akt. Wehmütig und gleichzeitig doch auch lebensfroh. Bei der Gestaltung der Rolle kommt Oropesa ihr untrügliches Gespür für Charaktere zugute. Im ersten Akt wirkt ihre Violetta noch etwas gekünstelt, narzisstisch und kapriziös. Die Entdeckung der wahren Liebe mit Alfredo verwandelt sie im zweiten Akt in eine verantwortungsbewusste, liebende, sorgende Frau, wozu auch das Gespräch mit Alfredos Vater beiträgt. Im dritten ist sie dann von der tödlichen Krankheit schwer gezeichnet, schwankend zwischen totaler Verzweiflung und aufkeimender Lebenslust, was sie auch stimmlich hören lässt. Dazu gehört Mut. Oropesas Gestaltung der Sterbeszene kann ergreifender nicht sein, auch wenn ihr von der Regie auferlegte stetes Voranschreiten auf der Drehbühne in krassem Widerspruch zu ihrer elenden körperlichen Verfassung steht. Aber wenn die Traviata dann im hell gleißenden Spalt verschwindet, ist das ein effektvoller, kaum zu überbietender Abgang.

Juan Diego Flórez hat es nicht leicht, sich an der Seite von Oropesa auf Dauer zu behaupten. Der sympathische Publikumsliebling mit dem unverkennbaren, feinen Belcanto-Tenor geht als Alfredo an die Grenzen seiner stimmlichen Möglichkeiten. Flórez, der als Einspringer schon bei der Premiere dabei war, punktet mit seinem Spiel und seiner noch immer jugendlich-frisch klingenden Stimme, die sich dann aber letztlich doch als zu klein für diese Rolle herausstellt.

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Ludovic Tézier (Giorgio Germont)

Ein immens bühnenpräsentes Kaliber ist Ludovic Tézier als Alfredos Vater Giorgio Germont. Tags zuvor noch ein fieser, angsteinflößender Scarpia in Puccinis Tosca, nun – trotz einer Kostümierung wie als Stromkassier beim Inkasso – ein nobles, Autorität ausstrahlendes Familienoberhaupt, das um die Ehre von Sohn und Tochter besorgt ist und von Violetta Valéry unbeirrt und mit nachhaltigen Argumenten schier Unmögliches fordert und erreicht. Das Gespräch der beiden ist der musikalische wie auch schauspielerische Höhepunkt des Abends. Téziers kultivierter, eleganter Bariton klingt eindringlich und unnachgiebig, sogar im „Piangi, o misera, piangi“, dem freilich etwas mehr Väterlichkeit und verständnisvolle Wärme, wie etwa bei Hampson oder Hvorostvsky, nicht geschadet hätte. Souverän dann sein „Di Provenza il mar, il suol“.

Die zahlreichen Nebenrollen sind durchwegs mit guten, mehr als rollendeckenden Kräften aus dem Haus besetzt. Zu erwähnen sind u.a. Alma Neuhaus als Flora, Carlos Osuna als Gaston, Michael Arivony als Baron Doiphol und Ilja Kazakovs Doktor Grenvil. Noa Beinart überrascht als Annina mit einem etwas harschen, gouvernantenhaften Ton.

Das Orchester unter der Leitung von Pier Giorgio Morandi wirkt zuweilen etwas gemächlich, aber die exzellente Gesamtleistung des Ensembles und des Chors auf der Bühne legt nahe, dass alles noch im Bereich des Zuträglichen war.

Begeisterter Applaus mit vielen Jubelrufen, besonders natürlich für Lisette Oropesa, Juan Diego Flórez und Ludovic Tézier.

 

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