„Lohengrin“ als charismatischer Bote demokratischer Freiheit in Wiesbaden

Staatstheater Wiesbaden/LOHENGRIN/C. Bolduc/Foto: Karl und Monika Forster

Dieser „Lohengrin“ entspricht nicht den üblichen Rezeptionsgewohnheiten, was vor allem daran liegt, dass die Kostüme wenig über die soziale Rolle der Protagonisten aussagen. Der zweite Akt ist taghell erleuchtet, obwohl er nachts spielt. Die Regisseurin vermeidet jegliche optische Andeutung, das Heer Brabants befinde sich in der Mobilmachung zum Krieg gegen die Ungarn, die das deutsche Volk zu überfallen drohen. Der Chor wird immer wieder in absurde Kostüme gesteckt.  Henriette Hörnigk fokussiert den Blick auf die machtpolitische Auseinandersetzung zwischen Ortrud und Elsa und die Unzumutbarkeit des Frageverbots. Elsa steht stellvertretend für alle, die auf Erlösung durch eine charismatische Persönlichkeit setzen, während Ortrud die Einzige ist, die selbst an die Macht kommen will und nicht aufgibt. Die Rettung durch den charismatischen Schwanenritter funktioniert nicht, denn die Bedingung, an die die Erlösung aus dem Elend geknüpft ist, das Frageverbot, ist unmenschlich und kann von Elsa nicht eingehalten werden. Die großartige Besetzung mit Mirko Roschkowski in der Titelrolle und dem Opernchor, Extrachor und Orchester des Staatstheaters Wiesbaden unter der Leitung von Michael Güttler setzen das Werk musikalisch überzeugend um. (Besuchte Vorstellung am 3-Oktober 2023

 

 

Einige Besucher waren zum zweiten oder gar dritten Mal gekommen, um in dem für seine Wagner-Pflege bekannten Haus „Lohengrin“ die Inszenierung von Henriette Hörnigk zu verstehen und die durchweg gute musikalische Umsetzung mit dem charismatischen Titelhelden zu genießen.

Die Handlung spielt ziemlich genau im Jahr 933, und Heinrich, der Vogler, war 919 durch Sachsen und Franken zum ersten deutschen König gewählt worden. Er konnte durch ein geschickt ausgehandeltes Moratorium neun Jahre Frieden mit den Ungarn, marodierenden Banden, die das Volk in Angst und Schrecken versetzten, erreichen. Das Moratorium läuft aus, und die Mobilmachung der Brabanter Truppen unter der Leitung von Friedrich Telramund steht unmittelbar bevor. Der historische Hintergrund wird weitgehend ausgeblendet, denn die Gerichtsverhandlung, in der Telramund Klage gegen Elsa von Brabant führt, findet vor einem Tribunal statt. Die Kostümbildnerin Claudia Charlotte Burchard steckt die Herren mit schwarzen Perücken in Arbeitsanzüge wie die „blauen Ameisen“ der chinesischen Kulturrevolution.

Staatstheater Wiesbaden/LOHENGRIN/Ensemble/Foto: Karl und Monika Forster

Hörnigk, die vom Schauspiel kommt und hier ihre erste Operninszenierung vorlegt, konzentriert sich darauf, worin „das Wunder“ besteht: Elsas Retter Lohengrin erscheint auf magische Weise und hält die Zeit an, indem er das riesige Pendel, das über die Bühne schwingt, zum Stillstand bringt. Während seiner Anwesenheit richten sich alle Hoffnungen auf Lohengrin, der im Gottesgericht Telramund besiegt und Elsa, die Tochter das verstorbenen Herzogs von Brabant, heiraten und die Führung des brabantischen Heeres übernehmen soll.

Die Klage des Telramund gegen die naive und kindliche Elsa besteht darin, dass er sie des Brudermords bezichtigt. Es gebe Zeugen, die gesehen hätten, wie Elsa ihren Bruder Gottfried ertränkt habe. Elsa hat dem nichts zu entgegnen, sie baut auf ihre Rettung durch einen unbekannten Ritter, der ihr erschienen sei. Der Gralsritter Lohengrin, der magische Kräfte besitzt („von Gott gesandt“) tritt für sie ein und gesteht ihr seine Liebe. Ihr Wunder ist geschehen – die vorbehaltlose Liebe – aber an das Frageverbot geknüpft. In der Brautnacht stellt sie die verbotene Frage, und ihr Glück ist dahin.

Lohengrin muss zum Gral zurück und setzt Gottfried, den wieder aufgetauchten Bruder Elsas, zum „Schützer von Brabant“ ein. Im ursprünglichen Libretto Wagners steht „Führer von Brabant“, aber der Begriff „Führer“ des ursprünglichen Librettos war verbrannt und wurde nach dem 2. Weltkrieg durch „Schützer“ ersetzt.

Hier liegt der Schlüssel der Inszenierung: Lohengrin ist die Inkarnation eines charismatischen Führers, der die Massen begeistert. Hitler, der sich mit dem Schwanenritter identifizierte, ließ nicht umsonst die Bayreuther Aufführung von 1936 über den Rundfunk europaweit verbreiten. Der Faschismus trägt quasi-religiöse Züge, und im Verstoß gegen das Frageverbot zerstört Elsa die Einheit zwischen dem Heiligenbild, das sie ersehnt hat, und der Wirklichkeit.

Staatstheater Wiesbaden/LOHENGRIN/M. Roschkowski/Foto: Karl und Monika Forster

Doch Lohengrin wird nicht der neue Führer von Brabant, denn er steht vor dem Problem, dass er Macht ausüben muss. Lohengrin will als Mensch geliebt werden, doch Elsa darf ihn nicht erkennen. Lohengrin wird bei seinem Einzug in Brabant als Held verehrt, der ausgezogen ist, eine Ordnung zu verwirklichen, die auf Menschlichkeit, nicht auf Autoritarismus aufgebaut ist. Sein Scheitern verkündet die Regisseurin aller Welt, vertreten durch den Chor in Theaterkostümen aller Zeitepochen von Julius Cäsar über Luther bis Queen Elizabeth, Charly Chaplin und Holly Golightly: Es gibt keine Helden! Diese Enttäuschung muss auch der Zuschauer verkraften, der diese Demontage des an seinen Ansprüchen gescheiterten Lohengrin erfährt.

Zur Frustration der Zuschauer trugen auch die brutale Hässlichkeit des Bühnenbilds von Julius Theodor Semmelmann und die Beliebigkeit der Kostüme von Claudia Charlotte Burchard bei, die in jeder anderen Inszenierung ebenso hätten eingesetzt werden können. Und warum hatten sich die Männer als Frauen mit blauen Tutus, die hinterher alle auf dem Brautbett landeten, und mit hässlichen schwarzen Perücken verkleidet? Die Tiermasken des Chors im zweiten Akt konnten beim besten Willen nicht verstanden werden. Auch die eingeblendeten Video-Bilder einer Megacity am Anfang oder eines rollenden Panzers zum Vorspiel des 2. Akts trugen nichts zum Verständnis der Handlung bei.

Andererseits war der von Wagner so beglückend komponierte Auftritt Lohengrins auf der relativ kleinen Bühne gut in Szene gesetzt: Von der Decke senkte sich ein aus Leuchtstoffschnüren stilisierter weiß-blauer Schwan herab, in dessen Mitte Lohengrin von der Seite treten konnte. Elsa trägt bei ihrem ersten Auftritt die Jacke ihres verstorbenen Vaters, dessen Bild über dem Tribunal hängt, über ihrem Kleid. Auch die Choreographie des Kampfs war gut gelöst, denn Telramund konnte seine Waffe einfach gegen Lohengrin nicht einsetzen. Im Brautgemach war das Bett nur ein mit blauem Tüll verhüllter Rahmen. Ganz offensichtlich konnte dort keine Vereinigung stattfinden. Telramund wurde mit seinem eigenen Messer erstochen, auch das eine adäquate Umsetzung.

Chor und Extrachor des Hessischen Staatstheaters unter der Leitung von Albert Horne standen diese große Choroper mit wenigen Strichen souverän durch und verkörperten das Volk, das binnen 24 Stunden drei verschiedenen Führern zujubelte. Michael Güttler leitete das Orchester des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden mit flotten Tempi. „Einsam in trüben Tagen“, den Beginn des 2. Akts und die Brautgemachsszene hätten etwas langsamer gespielt werden können, denn es sind wichtige Schlüsselszenen. Die in die Handlung integrierten Blechbläser spielten von der Seitenloge aus, was einen schönen Effekt ergab.

Staatstheater Wiesbaden/LOHENGRIN/M. Roschkowski, H. Engebretson/Foto: Karl und Monika Forster

Mirko Roschkowski ist Lohengrin, der sensible gottgesandte Retter, dessen Erfolg an die unerfüllbare Bedingung des Frageverbots geknüpft ist. Die Intensität, mit der er diese Bedingung ausspricht, die zarte Beteuerung „Elsa, ich liebe dich“, die ganze Performance zeigen, dass hier ein lyrischer Tenor der Sonderklasse das Tor zum Heldenfach aufstößt. Sein Kostüm, ein voluminöses weißes Federkleid, dokumentierte, dass er nicht von dieser Welt ist. Im Kampf gegen Telramund trug er keine Waffe sondern hatte eine Aura der Unverletzlichkeit um sich. Sein helles Timbre, die in langjährigem Mozart-Gesang kultivierten Gesangslinien heben ihn aus dem Ensemble heraus. Sein: „Heil dir Elsa, nun lass vor Gott uns gehn,“ war einfach nur magisch. Die Gralserzählung mit wunderbarer Steigerung und sein Abschied waren der langerwartete Höhepunkt der Oper, in der er das Geheimnis um seinen Namen und seine Herkunft aufdeckte. Er war der an den Bedingungen der Realität Gescheiterte, der Künstler und republikanischen Fürsten in sich vereinen wollte und am inneren Widerspuch zerbrach. Das wurde ihm bewusst, als er Telramund in Notwehr erschlug und das Blut an seinen Händen sah.

Khatuna Mikaberidze als Ortrud war seine Gegenspielerin mit den Qualitäten einer Lady Macbeth. Der Anfang des zweiten Akts ist ein weiterer Höhepunkt des Dramas. Im Ehestreit „Erhebe dich, Genossin meiner Schmach“ zwischen Ortrud und Telramund offenbarte sich, dass Ortrud Telramund mit falschem Zeugnis gegen Elsa instrumentalisiert hatte. Mit Mut zu schrillen Tönen machte sie ihren Mann fertig und stiftete ihn schließlich zum Mordversuch an Lohengrin an. Ihr als machtbesessener ehrgeiziger Gattin des demontierten Heerführers und gleichzeitig „in geheimen Künsten tief erfahrener“ Zauberin hätte man deutlich elegantere Kleidung gegönnt als einen rosa(!) Hosenanzug oder ein hellgrünes Cocktailkleid mit wehendem Rock. Ihr Charisma zeigte sie als Machtfrau und gleichzeitig Zauberin des heidnischen Götterkults um Wotan und Freya mit dämonischen gewaltigen Tiefen und mühelosen Höhen.

Heather Engebretson hatte dieser gefährlichen Gegenspielerin nichts als die Naivität einer fest im christlichen Glauben verankerten Elsa von Brabant entgegenzusetzen. Ihre zierliche jugendliche Erscheinung nahm jeden für sie ein. Besonders in der Szene, in der Lohengrin sie an die Brust drückte und hochhob ging einem das Herz auf. Ihr Sopran ist in der Mittellage rund und schön, aber man merkte ihr die Anstrengung bei den Spitzentönen an. Warum Elsa von Nora Geisler, einer Tänzerin in einem roten Kleid, in einigen Szenen gedoubelt wurde, hat sich mir allerdings nicht erschlossen. Der wachsende Zweifel an Lohengrins Integrität, der im Verstoß gegen das Frageverbot gipfelte, wurde durch einen immer größer werdenden roten Fleck auf ihrem wollweißen Kleid verdeutlicht. Zur Hochzeit trug sie ein weißes Lackkleid, das ihre Zierlichkeit noch betonte. Beim Abschied von Lohengrin war ihr Kleid rot.

Timo Riihonen als König Heinrich, der Vogler, wurde durch die Regie in der Rollengestaltung behindert. In einem glänzenden Paillettenanzug wurde er im Rollstuhl auf die Bühne gefahren. Einen solchen Anzug würde ein König niemals tragen, und im Rollstuhl sitzend kann man schlecht singen. Daher kam der Rollstuhl später auch nicht mehr vor, und Riihonen gab den König als weisen Herrscher, der anlässlich der Mobilmachung den von Telramund angezettelten Rechtsstreit richten soll. Wie ein guter Vater fragte er Elsa, der er offensichtlich sehr zugetan war, ob sie bereit sei, sein Urteil zu akzeptieren. In seiner Ratlosigkeit – Elsa konnte sich zur Beschuldigung nicht äußern und schwärmte nur von ihrem fremden Ritter – setzte er ein Gottesgericht an. Riihonen verfügt mit seinem kräftigen Bass über die profunde Tiefe, die ein guter König braucht, um Weisheit und Autorität auszudrücken.

Staatstheater Wiesbaden/LOHENGRIN/T. de Vries, K. Mikaberidze /Foto: Karl und Monika Forster

Überzeugend war auch Ks. Thomas de Vries als Telramund, einem von seiner ehrgeizigen Frau irregeleiteten einfachen Haudegen, der sich angesichts seines tiefen Falls vom geachteten Heerführer zum Geächteten zum Mordversuch an Lohengrin verleiten lässt. Am Anfang des zweiten Akts hatte man echtes Mitleid mit ihm. Mit seinem kraftvollen Heldenbariton drückte er den Zorn über seine Frau aus („Erhebe dich, Genossin meiner Schmach“), ließ sich aber bereitwillig von ihr verführen, sich mit den vier Edlen gegen den Schwanenritter zu positionieren und den Widersacher in seinem Brautgemach zu überfallen.

Der Heerrufer wirkte im lila Ledermantel mit lila Hose und voluminöser Föhnfrisur irgendwie androgyn. Was das mit seiner Rolle als Ordnungsmacht zu tun hatte erschließt sich mir nicht. Christopher Bolduc gestaltete die Rolle mit sonorem Bariton wie ein routinierter Fernsehmoderator. Die übrigen Partien waren typgerecht aus dem Ensemble besetzt.

Besucher, die auch in der Premiere waren, berichteten, die Aufführung am 3. Oktober sei um Klassen besser gewesen. Es ist eine ambitionierte Produktion, wie man dem Programmheft entnehmen kann, das einen politologischen Exkurs über das Wesen faschistischer Herrschaft enthält. Sie punktet mit ihrer musikalischen Gestaltung, zeigt aber in der szenischen Umsetzung deutliche Schwächen.

 

 

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