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WIEN / Staatsoper: TOSCA

Ein ausgewogen besetztes Dreiergespann oder Junger Wein in alten Schläuchen

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Angel Blue (Floria Tosca) und Vittorio Grigolo (Cavaradossi). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: TOSCA

643. Aufführung in dieser Inszenierung

5. Oktober 2023

Von  Manfred A. Schmid

Über die historisch und politisch fein abgestimmte Wallmann-Inszenierung aus dem Jahr 1958 wurde schon alles gesagt. Deshalb nur so viel: Auch nach 65 Jahren erfreut sie sich bester Gesundheit und lässt sich wunderbar bespielen. Wenn alles schon bekannt und gefühlt zum hundertsten Mal zu sehen ist, richtet man sein Augenmerk auf etwaige darstellerische Abweichungen vom Gewohnten: Ob Floria Tosca ihre Glanznummer „Vissi d’arte“ kniend, wie so oft, oder auf der Chaiselongue sitzend singt, wie diesmal Angel Blue bei ihrem Wiener Rollendebüt. Vor allem aber kann man sich, in einem vertrauten Umfeld und ohne Ärger über regieliche oder bühnenbildnerische Eskapaden, voll auf die Musik konzentrieren. Wenn eine Tosca-Aufführung so gut besetzt ist wie an diesem Abend, ist das auch tatsächlich mehr als genug. Und sollte man dabei vorübergehend doch die Augen schließen, dann tut man das nicht, um dem Abscheu eine Pause einzuräumen, sondern weil man sich ganz dem Zauber der Klänge und Töne hingibt.

Für die richtige Puccini-Stimmung sorgt diesmal der israelisch-amerikanische Dirigent Yoel Gamzou, der die Aufführung mit weit ausladenden Gesten und vollem körperlichen Einsatz, ziemlich Leonard-Bernstein-like, leitet. Tempi und die Dynamik sind gut gewählt, auch wenn zuweilen Gesang und Orchester zunächst nicht hundertprozentig übereinstimmen, was sich aber stets bald wieder ins rechte Lot einfindet. Die veristische, oft an Filmmusik erinnernde Palette der Gefühle – Leidenschaft, höchste psychische Erregungszustände, Brutalität und liebevolle Zärtlichkeit – wird jedenfalls voll ausgekostet, und das Solocello und die Solo-Holzbläser lassen nichts zu wünschen übrig.

Die vielfach ausgezeichnete amerikanische Sopranistin Angel Blue, u.a. zweifache Grammy-Preisträgerin, ist in Wien bisher als Darstellerin der Titelrolle in Brittens The Rape of Lucretia und als Giulietta in Les Contes d’Hofmann am Theater an der Wien sowie als Mimi in La Bohème an der Staatsoper in Erscheinung getreten. Diese Auftritte sind allerdings schon länger her. Als Floria Tosca ist sie zuletzt in New York, Los Angeles und San Francisco gefeiert worden. Auch bei der etwas eigenartigen Doppelrollen-Tosca in Aix-en-Provence war sie, an der Seite von Catherina Malfitano, dabei. Man durfte daher auf ihre erste Tosca in Wien gespannt sein. Die hohen Erwartungen werden weitgehend erfüllt. Blues warmer, weicher, honigsüß-heller und doch auch durchaus robuster Sopran, gepaart mit einer eindrucksvollen Bühnenpräsenz und darstellerischer Fähigkeit, passt gut zu der schon etwas divenhaften und dennoch unschuldsvollen Frau, die über sich hinauswächst und in höchster Not eine kühne Tat vollbringt, die man ihr nicht zugetraut hätte. Ganz in die erste Reihe der derzeit besten Tosca-Interpretinnen hat sie sich bei ihrem Wiener Rollendebüt aber nicht gestellt. Die Eifersüchteleien im 1. Akt gelingen ihr überzeugend, aber das innnige „Vissi d’arte“-Bekenntnis im Scarpia-Akt hat man schon berührender gehört.

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Ludovic Tézier (Scarpia) und Angel Blue (Floria Tosca)

Seit Jahren schon zu den gesuchtesten Cavaradossi-Tenören zählt der aus der Toskana stammende Vittorio Grigolo. Dass auch er das weiß, zeigt er gleich bei seiner ersten Arie „Recondita armonia“, in der er bereits alle stimmlichen Register zieht und nach dem letzten Ton auffordernd ins Publikum schaut, um den fälligen Beifall siegesgewiss einzufordern. Dass es diesmal im Schlussakt, hoch oben auf der Engelsburg, nach dem erwartungsgemäß höchst stimmungsvoll dargebotenen „Lucevan le stelle“ zu keinem Da-capo kommt, wird er dem Dirigenten schwerlich verzeihen und mag auch der Grund dafür sein, dass er beim Applaus diesmal nicht, wie üblich, niederkniet und den Bühnenboden küsst.

Eine Spitzenbesetzung ist auch Ludovic Tézier als Scarpia, was er in dieser Rolle in Wien schon oft bewiesen hat. Dass er mit seinem eleganten Bariton einen Bösewicht glaubhaft darstellen kann, ist ungewöhnlich, gelingt ihm aber, indem er Scarpia nicht als physisch bedrohlichen Despoten auf die Bühne stellt, sondern als einen Meister des mit psychologischen Mitteln ausgeübten Terrors, der äußerlich lange ruhig bleibt und gerade dadurch gefährlich wirkt. Nur zwei Mal verliert er die Kontrolle über sich: Als er vom Sieg Napoleons gegen die mit dem Kirchenstaat verbündeten Österreicher in der Schlacht von Marengo erfährt und durch Cavaradossis trotzigem „Vittoria“-Ruf daran erinnert wird, dass seine Tage als Herrscher über Rom gezählt sind, worauf er den unbeugsamen Cavaradossi zur Hinrichtung abführen lässt, sowie als er, von Toscas ablehnender Haltung gegenüber seinen Avancen genervt, über sie herfällt. Tézier als  Scarpia ist ziemlich einzigartig.

Die übrigen Rollen sind mit Kräften aus dem Haus besetzt: Evgeny Solodnikov ist der von Scarpias Häschern gejagte Cesare Angelotti, der in der Kirche vorübergehend Zuflucht sucht, Dan Paul Dumitrescu gibt routiniert den systemtreuen Mesner. Mit Lukas Schmidt bekommt ein neues Mitglied des Opernstudios die Chance, sich als Scarpias Handlanger Spoleta erstmals auf der Bühne der Staatsoper zu bewähren, während Marcus Pelz seine Bühnenerfahrung in die glaubwürdige Gestaltung der Nebenrolle des Sciarrone einbringen kann. Chiara Bammer ist wieder einmal als Hirte zu hören, der junge Bass Stephano Park aus dem Opernstudio absolviert einen Kurzauftritt als Schließer

Viel und freudiger, durchaus berechtigter Applaus für jungen Wein in alten Schläuchen.

 

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