Lisette Oropesa in
Wie zielsichere Pfeile traf die US-Amerikanerin Lisette Oropesa (Violetta Valéry) ihre Spitzentöne, routiniert ihre Koloraturakrobatik.
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wien – Und schon ist an der Staatsoper ein Zehntel der Saison Musikgeschichte. Was bringt der Oktober? Mit der Premiere von Il trittico, mit der guten, alten Tosca und mit Manon Lescaut (unter zentraler Mitwirkung von Anna Netrebko) einen Puccini-Schwerpunkt! Dann die Wiederaufnahme der Jubiläumsinszenierung der Frau ohne Schatten mit Christian Thielemann. Und Verdi darf natürlich auch nicht fehlen: Jonas Kaufmann gibt den Otello, der tolle Alexander Soddy dirigiert.

Verdi stand auch zu Monatsbeginn am Spielplan: La traviata mit Lisette Oropesa in der Titelpartie. In der kühl-kuriosen Instagram-Inszenierung von Simon Stone siedelte Oropesa die Violetta Valéry stimmlich auf der kräftigen Seite an, selbst im Angesicht des nahenden Bühnentods. Wie zielsichere Pfeile die Spitzentöne der US-Amerikanerin, routiniert ihre Koloraturakrobatik. Wer auf Berührung durch watteweiche pianissimo-Passagen hoffte, hoffte vergebens.

Seit fast einem Vierteljahrhundert ist Juan Diego Flórez an der Staatsoper die Verlässlichkeit in Person – eigentlich. Vom schnellen Abstieg von der Champagnerschalenpyramide erhitzt, fiel der Wahlwiener seiner Angebeteten als Alfredo beim Trinkspruch vorschnell ins gesungene Wort. Der gelernte tenore di grazia mag nicht für alle die erste Wahl für diese Partie sein (Stichwort: Ausweitung der Belcantozone), in Sachen Wendigkeit und Eleganz bezauberte seine schlanke Stimme aber durchaus. Besetzungstechnisch eine Bank: Ludovic Tézier als kraftvoller, aber auch etwas dröger Giorgio Germont. Ab dem zweiten Akt fand das Staatsopernorchester unter Pier Giorgio Morandi zu Lebendigkeit und Farbe. Ekstatischer Jubel. (Stefan Ender, 2.10.2023)