Berlin. Pinar Karabulut inszenierte Puccinis „Il Trittico“ an der Deutschen Oper. Selten erlebt man ein derart lachendes Publikum.

Es geht unfassbar lustig zu in der Deutschen Oper, das Bühnenbild und die Kostüme sind knallbunt. Und die stattliche Sängerschar ist nicht nur bereit, Spitzentöne abzuliefern, sondern sich szenisch mächtig zu verrenken. Opernsänger können auch Slapstick. Am Ende der Premiere von Puccinis „Il Trittico“ sahen sich sämtliche Mitwirkende bejubelt, darunter auch Regisseurin Pinar Karabulut. Ein bisschen vom Applaus gehört wohl auch dem Intendanten Dietmar Schwarz, der das Risiko auf sich genommen hat, der jungen Theaterregisseurin zum Saisonauftakt diese wichtige Produktion auf der großen Opernbühne anzuvertrauen. Es wurde ihr gelungenes Operndebüt und ist eine Empfehlung vor allem fürs heitere Musiktheater.

Einen kleinen Vorgeschmack konnte das Publikum bereits vor zwei Jahren auf dem Parkdeck der Deutschen Oper erleben. Pinar Karabuluts comichafte Inszenierung von Mark-Anthony Turnages Musiktheater-Stück „Greek“ sorgte für eine knallbunte Überraschung. Damals glaubte man auch, etwas gesellschaftlich Anarchisches zu entdecken. Auf der großen Bühne hat sich Pinar Karabulut jetzt wieder ihre Fakewelt zusammengebaut. Es ist eine Art Wimmelbild frei nach Puccini.

Bühnenbildnerin Michela Flück hat verwandelbare Versatzstücke auf der Drehbühne angeordnet, man sieht eine mysteriöse Kapelle, einen Berg, eine Treppe oder einen Steg. Sogar ein Wasserbecken gibt es. Das ist in Berliner Inszenierungen offenbar gerade in Mode. Die Komische Oper lässt Henzes „Das Floß der Medusa“ im Flughafen-Hangar 1 gleich in einem riesigen Wasserbecken spielen. In der Deutschen Oper wird zumindest idyllisch geplätschert oder zu Beginn auch ein Widersacher ertränkt.

Der Opernabend setzt sich auf drei gegensätzlichen Einaktern zusammen

In dieser kunterbunten Gegenwelt wird zusammen gebunden, was auf den ersten Blick gar nicht zusammengehört. Denn „Il Trittico“ setzt sich aus drei Einspaltern zusammen, die unterschiedlicher kaum sein können. Uraufgeführt wurde das Triptychon 1918 an der New Yorker Met. Der Blick auf die Jahreszahl offenbart, es ist auch ein Kind des 1. Weltkriegs. Darüber hinaus wurzelt es in der französischen Theatermode des Grand Guignol, wonach ein tragisches, ein lyrisches und ein burleskes Stück an einem Abend aufgeführt wurden. Vergnügliche Derbheiten inklusive.

Aber als Italiener hatte Puccinis auch Dantes Göttliche Komödie mit im Blick. Gianni Schicci, die Titelfigur des dritten Einakters, findet man im 30. Gesang von Dantes Inferno, wo er als Urkundenfälscher sühnt. Laut Dante gab er sich als der verstorbene Buoso Donati aus und diktierte ein Testament, mit dem er sich selber Vorteile verschaffte. In der Vorlage von Dante begründet die Regisseurin ihre Verknüpfung. Der wandlungsfähige Charakterbariton Misha Kiria erscheint als Schlitzohr Schicci in einem weiten roten Mantel. Man hat ein Deja-vue, denn den trägt der georgische Sänger als Schleppkahn-Besitzer Michele auch im ersten Einakter „Der Mantel“. Das Figurentableau wimmelt sich nur so durch den zeitlosen Bühnenkosmos.

Eigentlich spielt die Tragödie „Der Mantel“ am schmutzigen Kai der Seine um 1910, wo die Löscher schuften und alle Abgehängten vom Pariser Leben träumen. Hier spielt das Stück auf dem idyllischen Steg, auf dem zwischendurch auch mal ein lustiges Tänzchen stattfindet. Der Amerikaner Jonathan Tetelman ist ein stattlicher Traumtenor, der als Luigi die jüngere Kahnbesitzerfrau Giorgetta (Carmen Giannattasio) auch auf toxische Weise begehrt. Das Thema Gewalt gegenüber Frauen findet bei Pinar Karabulut in allen drei Geschichten irgendwann statt. Luigi wird ermordet. Unter den teuflisch leuchtenden Mantel zieht Michele seine Frau.

Eine skurrile Familie voller Erbschleicher präsentiert sich im Einakter „Gianni Schicci“ an der Deutschen Oper.
Eine skurrile Familie voller Erbschleicher präsentiert sich im Einakter „Gianni Schicci“ an der Deutschen Oper. © EIKE WALKENHORST

Mit einer rundum großartigen Sängerbesetzung – wie Mezzosopranistin Annika Schlicht in gleich drei Rollen – kann die Deutsche Oper aufwarten. Am Pult ist John Fiore für den erkrankten GMD Donald Runnicles eingesprungen. Fiore kann die Tiefe und die Leichtigkeit aus den „Einaktern“ herausholen. Das Orchester ist bei ihm, wenn er die Sänger auf Händen durch die Handlungen trägt. Im Musikalischen finden an diesem Abend die Berührungen statt.

Schwester Angelica war von der Familie ins Kloster verbannt worden

Mané Galoyan singt die Titelrolle im Einakter „Suor Angelica“, und der armenischen Sopranistin gelingen die tiefsten und berührendsten Momente. Denn genau genommen ist es kein lyrisches, sondern ein zutiefst trauriges Stück. Angelica wurde von der Familie ins Kloster verband, seit Jahren denkt sie nur darüber nach, was aus ihrem Sohn geworden ist.

Plötzlich erscheint ihre Tante. Violeta Urmana singt La Zia Principessa mit bedrückender Mezzodüsternis. Das Kind sei tot, erfährt man. In dieser Inszenierung vollzieht Angelica einen blutigen Selbstmord. Die Regisseurin verwandelt das italienische Frauenkloster um 1700 in einen mystischen Fantasieort, der gleichsam Christentum; Islam und die Teletubbies in Feminin herauf beschwört.

Pinar Karabulut verfügt über eine beeindruckende Imaginationskraft und großes szenisches Talent, aber vieles wirkt an diesem Opernabend nicht zu Ende gedacht. Die Einfälle sprudeln über, aber sie bündeln sich zu keiner erkennbaren Haltung gegenüber der Welt, die sie sich kreiert hat. Zumindest eines wird beim letzten Einakter „Gianni Schicci“ klar: Die Welt auf der Bühne ist voller skurriler Typen, über die es sich herzhaft lachen lässt.

Die mittelalterliche Florentiner Familie Donati ist angesichts des Todes ihres reichen Oberhauptes verzweifelt, weil er alles den Pfaffen überlassen will. Schicci frisst kurzerhand das Testament auf und diktiert dem Notar ein neues. Es ist schon verblüffend, wie spielfreudig sich die gestandenen Opernsänger auf die Überzeichnung ihrer Figuren einlassen. Mané Galoyan bekommt Szenenapplaus für den Puccini-Ohrwurm „O mio babbino caro“.

Deutsche Oper, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 34384343 Termine: 2., 6., 8., 13. und 17.10.