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Zürich, Opernhaus: LA RONDINE, 20.09.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | La Rondine

Copyright aller Bilder: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Ermonela Jaho und Benjamin Bernheim in Puccinis lyrischer Komödie LA RONDINE (Schweizer Erstaufführung)

Lyrische Komödie in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto: Giuseppe Adami, nach DIE SCHWALBE von Alfred Maria Willner und Heinz Reichert | Uraufführung: 27. März 1917 in Monte Carlo | Aufführungen in Zürich: 17.9. | 20.9. | 24.09. | 1.10. | 8.10. | 13.10. | 18.10 | 21.10 | 28.10. 2023

Kritik: 

DOLCE AMARO

Ein geschmacklich interessanter, süsser Cocktail mit leicht bitterem Abgang, das ist der Dolce amaro. Man nehme 3 cl Averna, 2 cl Orangenlikör, 2 cl Espresso und Rohrzuckersirup und fertig ist ein süffiger Drink, der dem Gaumen schmeichelt und gerne Lust auf mehr macht. Ganz ähnlich geht es einem mit Puccinis selten aufgeführter lyrischer Komödie LA RONDINE am Opernhaus Zürich: Viel Süsse, etwas Rasse, dem Ohr schmeichelnde Melodik und ein Hauch von bitterer Melancholie. Man kann sich über zwei Stunden Spieldauer daran laben, ohne - im Gengensatz zum Cocktail - am nächsten Tag mit Kopfschmerzen aufzuwachen. 

Marco Armiliato entlockt zusammen mit der Philharmonia Zürich dieser Partitur Klänge, die so wunderschön, so vielfältig, manchmal fein und delikat ziseliert sind, manchmal auch lüpfig und schräg in Walzern auftrumpfen können, dass man sich einfach gehen lassen kann und die Ohren mit grosser Lust darin baden lässt. Armiliato kitzelt all die Raffinesse aus der Partitur, die Puccinis Schwalbe (LA RONDINE) zu einem traumverlorenen Flug ansetzen lassen, eine unerhaltsame, etwas nostalgische Reise, der man sich gerne anschliesst.

JUNGER MANN - REIFERE FRAU

Der Regisseur Christof Loy hat die Story, die eigentlich im Zweiten Kaiserreich angesiedelt ist, etwas nächer an unserer Zeit herangeholt. Die wunderschönen Kostüme von Barabara Drosihn lassen auf Ende der Fünzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts schliessen. Eine sehr passende Zeit, um das Hauptthema der Geschichte zu erzählen: Die Verknalltheit eines jungen Mannes in eine reifere Frau mit grosser sexueller Erfahrung, eine Situation, die in vielen Büchern und Filmen des 20. Jahrhunderts thematisiert wurde, von Joseph Roths RADETZKYMARSCH, Webbs THE GRADUATE (verfilmt mit Dustin Hofmann), SUNSET BOULEVARD, über Simmels LIEBE IST NUR EIN WORT bis zu André Cayattes Film MOURIR D'AIMER mit Annie Girardot. Loy setzt die Thematik als Traum Magdas um. Sie hängt einer verpassten Chance in ihrer Jugendzeit nach, ist in ihrer jetzigen Situation, wo sie sich vom reichen Bankier Rambaldo aushalten lässt, ohne ihn zu lieben, in einem goldenen Käfig gefangen und erblickt im jungen, naiven Ruggero eine Chance, das Verpasste nachzuholen. Der Raum, den Etienne Pluss entworfen hat, weist hohe Wände in zartem Altrosa auf, einen Durchgang mit Vorhang in der Bühnenmitte, der im ersten Akt in eine Art Alkoven führt, im zweiten Akt den Blick freigibt auf die Strasse vor dem Lokal "Bullier" mit den Lichtgirlanden und im dritten Akt den Blick aufs Meer vom Hotelzimmer in Nizza aus, um im Salon Rambaldos zu enden, wo Marta aufwacht, von ihrem Traum Abschied nimmt und mit einem schwebenden, sehnsuchtsvoll und fatalistisch zugleich gehauchten Ah sich in die Faust beisst und zu Rambaldo zurückkehrt. Loy lässt das Geschehen darin mit einer stupenden Genauigkeit ablaufen, so wie man es von ihm gewohnt ist. Da ist keine einzige leere Operngestik zu sehen, jede kleinste Regung ist durchdacht, jeder Blick, jede Gefühlsregung auf Situation und Musik bezogen und mit genauestem Timing gesetzt. So umgesetzt beginnt die Geschichte zu interessieren, nachdem ich in der von mir rezensierten Aufführung an der Deutschen Oper Berlin den Aspekt der mangelnden Relevanz der Handlung noch bemängelt hatte. Man hat viel Text auf der Übertitelungsanlage zu lesen in diesem Konversationsstück; es lohnt sich, das Libretto bereits vor dem Besuch der Aufführung genauestens zu studieren, um sich während der Vorstellung vermehrt auf die subtile Inszenierung konzentrieren zu können.

Ermonela Jahos wunderbare Stimme versetzt in pures Verzücken. Ihre Interpretation der Magda ist von überwältigender Eindringlichkeit, die darstellerische Zeichnung einer Frau in all ihren Zwiespälten zwischen dem Verlangen nach gesicherter Existenz (ohne Liebe) und dem Verlangen nach dem Nachholen der verpassten Leidenschaft in den Armen eines geliebten jungen Mannes. Ihre schwebenden Phrasen, das gekonnte Auf- und Abschwellen der Töne, ihre herrlich erfüllten Piani und die (wenigen) leidenschaftlichen, stets fantastisch kontrollierten Ausbrüche beglücken das Ohr und das Herz. In ihrem Monolog im ersten Akt zeichnet sie ein tief empfundenes Seelenporträt - und man spürt, dass Puccini den ROSENKAVALIER von Strauss genau gekannt und studiert hatte. Benjamin Bernheim ist ihr ein kongenialer Partner als Ruggero. Seine stimmlichen Qualitäten sind schlicht überragend, diese Stimme gehört mit zu den schönsten im lyrischen Tenorfach, die derzeit zu erleben sind. Er spielt den Ruggero leicht schlaksig, zeigt die jugendliche Unbeholfenheit im Trubel des Café "Bullier", die stürmische Leidenschaft im Duett im zweiten Akt und vor allem im Schlussakt, wo er dann auch zu Tode betrübt ist, nachdem Magda ihm eröffnet hat, dass sie nie und nimmer den Ansprüchen seiner Mutter - von der Ruggero so sehr und unnatürlich schwärmt - genügen können wird. Um den musikalisch deutlich schwächer geratenen dritten Akt etwas aufzumotzen, hat man für Ruggero Puccinis Lied Morire an den Anfang gesetzt, erstens natürlich, um dem Tenor eine Arie zu geben, aber es macht auch musikalisch und dramaturgisch Sinn: Puccini hatte dieses Lied (mit anderem Text) in seiner zweiten Fassung der RONDINE Ruggero im ersten Akt als Solonummer gegeben. Der Text zu Morire nach einer erfüllten Liebesnacht mit Magda am Anfang des dritten Aktes passt aber sehr gut zu diesem Adoleszenten, der sich da ins naive Philosophieren über Tod, Träume und Leben stürzt und Bernheim singt das mit grandioser Gestaltungskraft.

DAS ZWEITE PAAR

Immer wieder unterstellt man LA RONDINE eine Operette zu sein. Sie ist es definitiv nicht. Es ist eine melancholische, lyrische Oper, eigentlich überhaupt nicht lustig. Ich habe während der Aufführung einmal geschmunzelt (bei der Begegnung von Herrin und Zofe im “Bullier”,  beide verkleidet) und einmal gelacht. Gelacht an der Stelle, wo das zweite Paar sich mal wieder neckt im dritten Akt, der Dichter Prunier seine Lisette, die als Varietésängerin nach nur einem Auftritt gescheitert ist, nun wieder als Zofe Magda anbietet. Nachdem er Lisette zutiefst gedemütigt hat, fragt er sie A che ora sei libera stasera? Das war umwerfend lustig. Juan Francisco Gatell ist grossartig als Dichter Prunier, sein leicht ansprechender Tenor bewältigt die vielen Parlando-Passagen mit einer geschmeidigen, eleganten Leichtigkeit. Als Lisette ist ihm Sandra Hamaoui eine umwerfende Partnerin in ihrer Quirrligkeit und Schlagfertigkeit - die Adele aus der FLEDERMAUS lässt grüssen. Das ist wahrscheinlich auch das Problem der Oper Puccinis: Es sind so viele Anleihen aus anderen bekannten Werken darin verarbeitet, dass sie sich auch mit diesen Vorlagen messen lassen muss. Neben ROSENKAVALIER und FLEDERMAUS (Ausbrechen aus langweilig gewordenen Beziehungen, Verkleidungen) ist die Grundkonstellation aus TRAVIATA offensichtlich und schliesslich auch der Eskapismus aus Giordanos FEDORA (Fedora setzt sich mit dem Liebhaber Loris ins Berner Oberland ab, Magda mit Ruggero nach Nizza).

DIE COMPRIMARII

Einmal mehr sind im Opernhaus Zürich die kleineren Rollen, die aber sehr wichtig sind für die Gesamtwirkung der Produktion, herausragend besetzt. Von der leicht unheimlichen Präsenz des Magdas sexuelle Dienste in Anspruch nehmenden Bankiers Rambaldo (Vladimir Stoyanov) über die differenziert gezeichneten und ganz herrlich singenden Freundinnen (Yuliia Zasimova, Meeta Raval, Siena Licht Miller) zu der Kellnerin von Annabelle Kern, die am Ende des zweiten Aktes eine bezaubernde Ariette gestaltet. Des weiteren bereichern Nathan Haller, Stanislav Vorobyov, Amin Angharan und Yannick Bosc in kleineren Rollen das wunderbar spielfreudige Ensemble. 

Ja, der musikalisch so substanzreiche Dolce amaro mundete vorzüglich - und man wachte am nächsten Morgen ohne Kater, aber immer noch in leicht melancholischer Stimmung auf und wünschte sich eigentlich, dass Magda den Mut zum Ausbruch aus dem goldenen Käfig gewagt und Ruggero endlich seine ungesunde Mutterbindung abgelegt hätte.

Inhalt:

Zeit und Ort: Second Empire, Paris und Côte d'Azur

Die Mätresse Magda lebt beim Bankier Rambaldo, von dem sie sich aushalten lässt. Der Dichter Prunier, ein Freund ihrer Kammerzofe Lisette, ist zu Besuch und entwirft das Idealbild einer romantischen Liebe. Die anwesenden Damen verspotten den Dichter, nur Magda stellt sich auf seine Seite. Rambaldo tritt hinzu und schenkt Magda eine kostbare Kette. Ihre Freundinnen sind begeistert und loben Rambaldos Grosszügigkeit. Prunier will nun Magda aus der Hand lesen. Er prophezeit ihr das schwerelose Leben einer Schwalbe an der Sonne, mit tragischem Ende. Ruggero tritt auf, der Sohn eines alten Freundes von Rambaldo. Lisette zeigt dem Neuankömmling den Weg zu einem Nachclub in Paris, in dem sich der in der Grossstadt Unerfahrene bestimmt wohlfühlen wird. Lisette und Prunier gestehen sich ihre Liebe. Magda kommt zurück und findet auf einem Papier den Namen des Nachtclubs. Sie verkleidet sich als Grisette (Mädchen aus der Unterschicht mit etwas anrüchigem Lebenswandel) und verlässt das Haus in Richtung Nachtclub.

Im Ballsaal des „Bullier“ sitzt Ruggero schüchtern an einem Tisch. Magda tritt auf, wird sofort umschwärmt, doch sie weist alle ab und steuert auf Ruggeros Tisch zu. Nach kurzer Unterhaltung tanzen sie zusammen. Lisette und Prunier erscheinen, sie erkennen Magda, die aber nicht erkannt werden will, da sie in Ruggero ihre romantische Liebe entdeckt zu haben glaubt. Während sie sich leidenschaftlich küssen, erscheint Rambaldo. Nachdem Rambaldo Magda eine Szene gemacht hat, erklärt Magda die Beziehung zu Rambaldo für beendet. Ruggero nimmt sie in den Arm und gemeinsam verlassen sie das „Bullier“.

Ohne Geld leben Magda und Ruggero nun in der Nähe von Nizza. Ruggero hat seinen Vater um Geld und die Einwilligung zur Hochzeit mit Magda gebeten. Diese hat jedoch Gewissensbisse, da sie Ruggero nichts von ihrer Vergangenheit als Mätresse erzählt hat. Ruggero träumt von einer idyllischen Vision der bürgerlichen Familie. Lisette und Prunier treten ins Haus. Lisetts Karriere als Sängerin hat nicht funktioniert und sie möchte ihren alten Job als Dienerin Magdas zurück. Magda stellt sie wieder ein. Ruggero bringt einen Brief seiner Mutter, welche der Verbindung mit Magda ihren Segen erteilt. Magda offenbart Ruggero nun ihre Vergangenheit. Ruggero verzeiht ihr alles. Doch Magda sieht keine Zukunft mit Ruggero und verlässt, von Lisette gestützt, den am Boden zerstörten Ruggero.

Werk:

Die Uraufführung von LA RONDINE in Monte Carlo war die letzte Uraufführung, welche Puccini selbst miterlebte. (Für IL TRITTICO konnte er so kurz nach dem Ersten Weltkrieg nicht nach New York reisen, TURANDOT wurde erst nach seinem Tod uraufgeführt.) Die Entstehung von LA RONDINE fiel mitten in die Wirren des Weltkriegs. Ursprünglich hätte er die Oper für Wien komponieren sollen, die Verträge waren unter Dach und Fach. Doch als Italien 1915 Österreich-Ungarn den Krieg erklärt hatte, war an eine Aufführung in Wien nicht mehr zu denken. Die Franzosen lehnten eine Aufführung ebenfalls ab, da LA RONDINE vom Feind in Auftrag gegeben worden war. So kam es schliesslich zur Aufführung in Monte-Carlo. Puccinis Verleger, Ricordi, wollte LA RONDINE nicht herausbringen, und bezeichnete die Oper als „schlechten Léhar“. So verkaufte Puccini die Partitur an Ricordis Konkurrenten Sonzogno. Puccini selbst bezeichnete seine Oper als „Reaktion auf die grauenvolle Musik der Gegenwart“. Und tatsächlich, in LA RONDINE herrscht eine geradezu anachronistische Melodienseligkeit vor, die Grauen des tobenden Weltkriegs finden keinerlei Nachhall in Puccinis Werk. Die Uraufführung war eigentlich sehr erfolgreich, das Werk wurde in Italien und Südamerika gleich nachgespielt. Und doch – den ganz grossen Durchbruch hat diese Oper nie ganz geschafft. Puccini hat sich bewusst dagegen gewehrt, LA RONDINE als Operette zu bezeichnen. Ihm schwebte eher etwas im Stil von Strauss'DER ROSENKAVALIER vor, nur etwas kompakter. Obwohl die Autoren der Vorlage, Willner und Reichert, erfahrene Librettisten waren (DER GRAF VON LUXEMBURG, ZIGEUNERLIEBE, DAS DREIMÄDERLHAUS) tat sich Puccinis Librettist Adami eher schwer mit dem Stoff, die Handlung wirkt relativ kompliziert. Puccini jedoch setzte sich mit dem Ende durch, das in seiner melancholischen Melodramatik ganz stark geraten ist und wo sich Magda wahrlich nicht hinter der Marschallin aus dem ROSENKAVALIER zu verstecken braucht.

Die Arie Il sogno di Doretta ist das bekannteste Stück aus LA RONDINE und fehlt auf kaum einem Rezital der grossen Sopranistinnen. Sehr empfehlenswert ist die Gesamtaufnahme unter Molinari-Pradelli mit der überragenden Anna Moffo als Magda und Graziella Sciutti als Lisette.

Karten

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