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Foto: Klara Beck

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Don Giovanni aux enfers an der Opéra national du Rhin in Straßburg

Vorspann / Teaser

An der Opéra national du Rhin in Straßburg folgt der dänische Komponist Simon Steen-Andersen in seiner Eigenschaft als Komponist und Regisseur Don Giovanni in eine Unterwelt, in der sich schon eine große Anzahl anderer Helden des Genres tummeln.

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    Von heute aus betrachtet hat sich die sogenannte Unterwelt (wenn nicht gleich die Hölle) für viele Opernhelden als ein alternatives Universum erwiesen. Eines, in das sie hinabsteigen oder in das sie gewünscht werden. Den ersten Vertreter dieser Spezies, den sagenhaften Sänger Orpheus, trieb noch die Liebe dorthin, um seine Euridice zurückzuholen. Die Unfälle, die es auf dieser Reise gab, sind in vielen Varianten besungen worden. Interessanter sind aber eigentlich die Spekulationen darüber, was mit den Bösewichtern wäre, wenn sie nicht nur von ihren Opfern dorthin gewünscht würden, sondern auch dort ankämen.

    Im Falle von Mozarts „Don Giovanni“ ist am Ende schon bei Mozart zu hören, dass das kein einfacher Ortswechsel wird, der diesem Helden widerfährt. Für die einen ist er der skrupellose Womanizer und für die Anderen (zu denen auch er selbst gehört) der Libertin par excellence.

    Es muss für Geschichtenerfinder und Tonsetzer von heute eine reizvolle Versuchung sein, die Frage zu beantworten, wie es eigentlich nach einem Finale (vor allem mit Höllenfahrt) weitergeht. Im Falle von „Figaros Hochzeit“, wo ja auch nach dem Happyend „wie jewöhnlich abjeblendt“. wird, hat Ödön von Horvath sein „Figaro lässt sich scheiden“ drangehängt. Man kann sich schon wundern, dass es kein Dreispartenhaus gibt, das mal mit Rossinis Barbier beginnt und dann auf die Mozart-Oper das Schauspiel folgen lässt.

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      Im Falle von Verdis exemplarischem Unterwelt-Aspiranten Macbeth hat der Franzose Pascal Dusapin 2019 mit seiner Oper „Macbeth Underworld“ in Brüssel vorgeführt, wie sich der mörderische Thronräuber und seine ihn antreibende Gattin aus der Perspektive des „Danach“ an das erinnern, was auf Erden war, und alles durch die Mühle eines dauererregten Alptraums der immerwährenden Erinnerung gedreht.

      Genau das macht der dänische Komponist Simon Steen-Andersen nicht. Er lässt sich mehr von Jaques Offenbachs unterhaltsamen Reise in die Unterwelt inspirieren, bei der auch nicht nur Orpheus einen Ausflug macht. Er muss sich auch nicht mit Händen und Füssen wehren, ja keinen neukomponierten Ton nach Mozart klingen zu lassen oder hinreichend zu verfremden. Den Kampf nimmt er gar nicht erst auf. Er geht gleich zu einem adaptierten Readymade-Verfahren über und zitiert und collagiert, was das Zeug hält. 

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        In der vom Komponisten selbst besorgten Inszenierung beginnt alles im Straßburger Opernhaus da, wo Mozarts „Don Giovanni“ endet. Mit einer üppig gedeckten Tafel und einem von Thibaut Welchlin klassisch kostümierten Don Giovanni. Wenn Giovanni mozartlike zur Hölle fährt, wechselt die Perspektive – die Tafel und das Bühnenbild entschweben nach oben und dank Lichtkegel und dem auf dem Rücken liegenden und strampelnden Giovanni-Sänger stürzt der scheinbar in Tiefe und Dunkelheit. Hier empfangen ihn nur rot leuchtende Augen und raunende Klänge. Damit hat ein weiterer Hauptdarsteller die Szene betreten – es ist das Theater selbst. Dessen Backstage im weitesten Sinne mit allen verborgenen Ecken, Gängen und Magazinen wird durch die Videos zum Teil der Szene, die nach diesem Höllensturz ein ziemlich turbulentes Treiben entfaltet. Und bei der die Collage von Versatzstücken aus allen Epochen der Operngeschichte mit einem Blick auf das Theater selbst verwoben ist, ohne das ja keine Oper zum Leben erweckt werden würde. 

        Als eine Art Spielführer, der beide Ebenen zusammenhält, hat Steen-Andersen aus diversen Vorbildern (zwischen Pluto, Luzifer und natürlich Mephistopheles) einen Polystophélès kreiert, der in der Show die Rolle des tyrannischen Dirigenten und Regisseurs übernimmt. Als ein auf Neutönerei fixierter Komponist nimmt sich der Däne (diesmal) zurück und collagiert mit offensichtlicher Lust an diesem Streifzug durch die Operngeschichte alles, was zu seinem Thema passt. Da finden sich Passagen von Monteverdi, Gluck, Rameau, Berlioz, Boito aber auch aus Verdis, Wagner, Gounod, Puccini und für Polystophélès aus  Rubinsteins „Dämon“. Und dann bricht natürlich auch Offenbachs Unterwelt Cancan aus. Es ist allemal ein Augenzwinkern dabei, wenn Don Giovanni diversen „Kollegen“ begegnet, ob sie nun Faust, Macbeth oder Jago heißen. 

        Eine musikalisch interpretatorische Meisterleistung ist die Umkehrung von Don Giovannis Avancen, in denen er diesmal zum Objekt der übergriffigen Begierde der Frauen wird und schließlich zur Strafe splitterfasernackt vor den Zuschauern auf dem Prospekt im Hintergrund singen muss. Bariton Christophe Gay singt und verkörpert seine Doppelrolle aus Don Giovanni, dessen Darsteller sowie des Oprheus’ und fliegenden Holländers mit spielerischer Leichtigkeit und jungenhaftem Charme. Ebenso souverän füllt der französisch-australische Tenor Damien Pass seine Rolle als Polystophélès (und der des Komtur) aus. Geoffroy Buffière wechselt von Leporello u.a. zu Charon, Macbeth, dem Schatten von Virgil oder Jago, während François Rougier u.a. Faust, Don José, Dante andeutet. Bei den Frauen ist Sandrine Buendia u.a. Marguerite, Francesca, Olympia und Senta. Während Julia Deit-Ferrand u.a. Tisiphone, Turandot, Sycorax und Eurydice kurz aufscheinen lässt. Die Vielfalt der Rollen und ihr Mix sind Programm dieser Reise in die Unterwelt. 

        Für ein musikalisches Feuerwerk der geschickt verbundenen und ineinander übergehenden Versatzstücke sorgen Bassem Akiki und die mit der durch das sechsköpfige Ictus-Ensemble auf der Bühne verstärkte Philharmonie Straßburg. Es ist ein höllischer Spaß vor dem sich kein Opernfreund fürchten muss. Da mit Kopenhagen koproduziert wurde, ist ein Wiederholungsfall dieses Opernvergnügens schon gesichert. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn es dabei bliebe. 

        • Don Giovanni aux enfers von Simon Steen-Andersen an der Opéra national du Rhin. Koproduktion der Straßburger Oper, der Kopenhagener Oper, des Musica Festivals, des Muse en Circuit und des CNCM. 
        • Musikalische Leitung: Bassem Akiki, Kostüme: Thibaut Welchlin. Mit der Gruppe Ictus, dem Chor der Opéra national du Rhin, der Philharmonie Straßburg. Darsteller: Sandrine Buendia, Julia Deit-Ferrand, Christophe Gay, François Rougier, Damien Pass und Geoffroy Buffière. Dauer: 2 Stunden.

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