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WIEN / Staatsoper: Saisonstart mit LA CLEMENZA DI TITO

Mozarts gefürchtete Opera seria erweist sich als dem Publikum durchaus zumutbar

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Kate Lindsey (Sesto), Matthew Polenzani (Tito) und Peter Kellner (Publio). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Saisonstart mit LA CLEMENZA DI TITO

17. Aufführung in dieser Inszenierung – Wiederaufnahme

4. September 2023

Von Manfred A. Schmid

Wiederaufnahmen können das Repertoire bereichern und schwache Neuproduktionen, die sich nicht durchgesetzt und wenig Freude ausgelöst haben, ersetzen. So geschehen etwa mit Uwe Eric Lauffenbergs „Mit-dem-Aufzug-in den-Kohlenkeller“-Inszenierung der Elektra, die von Harry Kupfers Vorgänger-Inszenierung abgelöst, bessere gesagt: erlöst wurde. Da macht Wiedersehen tatsächlich Freude. Davon kann im aktuellen Fall von Mozarts La Clemenza di Tito kaum die Rede sein, denn Jürgen Flimms Produktion wurde schon bei der Premiere 2012 ziemlich einhellig abgelehnt und hat es wohl auch deshalb in über zehn Jahren nur auf mickrige 17 Aufführungen gebracht. Merke: Schlechte Inszenierungen werden auch durch mehrjährige Lagerung nicht besser, was im Übrigen auch für Rotwein gilt. Verschiebbare, abgewetzte Kulissenwände (George Tsypin) und eine nach der Pause vermüllte Bühne, die von MA 24-Arbeitern in orangefarbenen Jacken gesäubert werden muss, tragen wenig dazu bei, den Anspruch des Regisseurs, einem heutigen Publikum die Themen Liebe, Freundschaft, Treue, Verrat und Staatsraison näherzubringen, erfolgreich umzusetzen. Für Augenweide sorgen immerhin die eleganten Kleider von Birgit Hutter und die eleganten Sängerinnen, die sie wirkungsvoll zur Schau stellen. Sängerin müssen heute offensichtlich auch die Figur für eine Karriere auf dem Laufsteg mitbringen. Fülligere Sopranistinnen sind jedenfalls kaum mehr anzutreffen.

Da Mozarts vorletzte Oper, eine Auftragsarbeit für die Krönungsfeier Leopold II., für deren Fertigstellung der Komponist seine Arbeit an der Zauberflöte unterbrach, auf den Opernbühnen viel zu selten anzutreffen ist, ist es längst an der Zeit, dieses Meisterwerk, ein Höhe- und Schlusspunkt der Opera seria, wieder einmal erleben zu können. Und wenn schon die Regie viel zu wünschen übriglässt, ist die musikalische Umsetzung nahezu perfekt. Hier gilt vollauf: Wiederhören macht Freude. In dieser Hinsicht ist die wunderbar besetzte Wiederaufnahme an der Wiener Staatsoper, die ja immer auch ein Haus für Mozart sein sollte, tatsächlich ein großer Erfolg.

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Federica Lombardi (Vitellia) und Kate Lindsey (Sesto)

Pablo Heras-Casado, in Wien vor allem als umsichtiger und kompetenter Dirigent von Barockopern geschätzt, ist mit diesem Hintergrund ein idealer musikalischer Leiter dieser Oper, in der noch Spuren der barocken Opera seria vorhanden sind, die aber grundsätzlich klassisch angelegt ist und Mozart auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft zeigt. Die einzigartige Klarheit und Erhabenheit der Musik, die auslotenden Arien und Ensembleszenen treten unter der Leitung von Heras-Casado, der den Stimmen auf der Bühne einen transparenten Teppich unterlegt, überzeugend hervor. Das Staatsopernorchester zeigt sich in mozartischer Höchstform.  Die ideologisch und dramaturgisch problematische Apotheose des milden, weisen, verzeihenden Herrschers hat mit dem Anlass für diesen Kompositionsauftrag zu tun und steht oft einer Würdigung der perfekten Musik im Wege. Diesmal kann man beruhigt darüber hinweghören und sich voll der musikalischen Dimension widmen.öhepüunit

Der amerikanische Tenor Matthew Polenzani, ein ausgewiesener Mozart-Sänger, der als Tito an großen Häusern, so auch an der MET, gefeiert wird, ist mit seiner lyrisch-eleganten Stimme in der Lage, diese Figur intensiv zu gestalten. Mit herrlichen Legato-Bögen gelingt es ihm, auch im Pianissimo größte Spannungsmomente zu erzeugen. Vor allem nach der Pause kann er das in den Szenen, in denen er von einer Gefühlsregung in die andere kippt, wirkungsvoll ausspielen. Als er unentschlossen ist, ob er den verräterischen Freund Sesto zum Tode verurteilen oder begnadigen soll, wird seine Stimme plötzlich mild: Fil di voce als Ausdruck innerer Zerrissenheit. Das Rezitativ „È pur di chi regna“ wird zu einem elektrisierenden Höhepunkt des Abends, gerade weil Polenzani dabei wieder ganz leise wird und man so fasziniert in Verletzlichkeit seine Seele hineinhören kann. Als er sich dann doch dazu entschließt, seinen Freund hinrichten zu lassen, dreht er, im berühmten, koloraturgesättigten „Se all’impero“, wieder auf, um gleich darauf wieder von Zweifeln heimgesucht zu werden. Dass er bei all diesen Schwankungen von der Regie dazu gezwungen wird, dauern mit der Pistole herumzufuchteln und sie nicht nur Sesto an die Schläfe zu halten, passt weder zu der in Mozarts Musik beschriebenen Verfassung Titos noch zu seiner Position. Ein Herrscher lässt die Hinrichtung von anderen erledigen. Erst ganz am Schluss findet Tito, der die ganz Zeit über widersprüchlich, verärgert und total unglücklich herumirrt, sein Gleichgewicht wieder. Insgesamt eine starke stimmliche und gestalterische Leistung, die bestätigt, dass Matthew Polenzani zu den derzeit besten Tenören gehört. Vor allem, wenn es um Mozart geht.

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Slavka Zamecnikova (Servilia) und Patricia Nolz (Annio)

Das eigentliche Zentrum der Handlung ist, dem Titel zum Trotz, aber nicht Tito, sondern sein Freund Sesto. Er ist der Motor der Handlung, denn seine Handlungen treiben alle anderen in schwierige Situationen. Kate Lindsey, in Wien gern gesehener, regelmäßiger Gast, lässt keinen Zweifel daran, dass diese Figur, auch wenn sie gerettet und ihr vergeben wird, mit einem bleibenden, nicht wieder gut zu machenden Schaden weiterleben wird müssen. Ihr Sesto ist ein zutiefst tragischer Charakter. Berührend, wie Sesto in „Parto, parto“ Vitelia bittet, sich mit ihm zu versöhnen, bevor er darangeht, Tito zu töten. Die acht Textzeilen, aus denen diese Arie besteht, wird immer wieder wiederholt und dauert schließlich an die sieben Minuten. Da gehört einiges an Gestaltungskraft dazu, hier die Spannung nicht abbrechen zu lassen. Lindsey kann das, entfaltet ein ganzes Seelendrama und zeigt mit ihrem ausdrucksstarken Mezzosopran, wie kraftvoll und emotional aufgeladen Mozarts Musik sein kann.

Als Vitellia ist Federica Lombardi im Einsatz. Eine dominante Frau, der Sesto völlig ausgeliefert ist. Ständig bedrängt sie ihn, ihren Wünschen nachzukommen. Seiner flehentlichen Bitte in „Parto, parto“ begegnet sie hingegen mit Gleichgültigkeit und braucht lange, bis sie in „Vengo … aspettate … Sesto!…“ zusammenbricht und sich ihrer Fehler endlich bewusst wird. Die italienische Sopranistin überzeugt mit virtuosen Koloraturen und verführerischen Tönen, nur in den extrem tiefen Tönen stößt sie an ihre Grenzen. Besonders eindrücklich ist ihre letzte Arie „Non più di fiore“, geprägt von Leid und Schmerz. Der Offenbarungseid einer letztlich doch gebrochenen Frau

Patrizia Nolz zeigt in der Hosenrolle des Annio (wie die Rolle des Sesto ursprünglich für Kastraten geschrieben, inzwischen aber längst Mezzosopranistinnen zugeteilt), warum sie in so kurzer Zeit zu einer so wichtigen Stimme im Ensemble der Staatsoper herangereift ist. Sie überzeugt mit einer starken Bühnenpräsenz, auch wenn sie nicht gerade singt, sondern z.B. missbilligend zur Kenntnis nehmen muss, wie leichtfertig Vitellia mit Sesto umgeht. Der Annio von Patricia Nolz ist die sympathische Lichtgestalt des Abends. Das ausgeglichene, ausgleichende Element in den Konfliktsituationen der Handlung und gesanglich top, wie etwa in den Duetten mit Sesto wie auch in ihren eigenen Arien („Torni di Toto al lato“ und „Tu fosti tradito“).

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Ensemble mit Chor

Slavka Zámecnikova gestaltet die Rolle der engelhaften Servilia mit verschwenderisch schönem Gesang. und wunderschönen Klang. Ein passendet Kontrast zur leíchtfertigen, spontanen Vitellia von Lombardi und glanzvoll in der Arie „S’altro che lacrime“.

Als Publio ist der Bassbariton Peter Kellner ein geradliniger, korrekter Mann, der stets weiß, was er will und sich damit von den den anderen, mit Ausnahme von Annio allesamt innerlich zerrissene und unschlüssige Figuren, abhebt. Er vertritt das Recht und strahlt die dafür erforderliche Autorität aus, der er auch in seiner Interpretation der Arie „Tarde s’avvede“ Ausdruck verleiht.

Warum der feine Chor bei allen seinen Auftritten immer mit Notenpulten und Noten auf der Bühne erscheint, bleibt rätselhaft. Vielleicht wollte Regisseur Jürgen Flimm damit andeuten, dass das Volk manipuliert wird und den Wortlaut seiner Äußerungen und Kommentare von den Behörden vorgesetzt bekommt.

Im nicht ganz ausverkauften Haus wird der Opernabend gebührend gefeiert. La clemenza kann also dem Publikum durchaus öfter zugemutet werden. Vor allem, wenn die Besetzung so gut ist wie bei dieser Wiederaufnahme. Aber Mozart sollte der Direktion so viel wert sein, dass eine Neuinszenierung mittelfristig wohl anstehen sollte.

 

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