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SALZBURG FESTSPIELE / Haus für Mozart: LE NOZZE DI FIGARO

18.08.2023 | Oper in Österreich
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Adriana González (Contessa di Almaviva), Krzysztof Bączyk (Figaro), Sabine Devieilhe (Susanna), Andrè Schuen (Conte di Álmaviva). Alle Fotos: Salzburger Festspiele / Matthias Horn

SALZBURG FESTSPIELE / Haus für Mozart: LE NOZZE DI FIGARO

17. August 2023 (6. von 8 Aufführungen)

Von Manfred A. Schmid

Nach der umstrittenen Tosca-Inszenierung Martin Kusejs am Theater an der Wien und angesichts der Ankündigung des Endes seiner nicht gerade ruhmreichen Direktion als Burgtheaterdirektor wurde im Vorfeld seiner Salzburger Regiearbeit – nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, inszeniert man gänzlich ungeniert – das Schlimmste befürchtet. Die, was die Inszenierung betrifft, großteils negativen Kritiken der Premiere vom 27. Juli – die musikalische Dimension wurde ziemlich einhellig gelobt – schienen dann nur noch die ohnehin erwartete Bestätigung einer self fulfilling prophecy zu sein.

Gemach, gemach. Drei Wochen und sechs Aufführungen später sieht das Ganze schon anders aus. Das Publikum scheint sich jedenfalls gut zu vergnügen, die Verlegung der Handlung in ein heutiges Verbrechermilieu und die eingeblendeten saloppen Übersetzungen der italienischen Rezitative scheinen nicht nur nicht zu stören, sondern ausgesprochen unterhaltsam zu sein. Es wird jedenfalls viel gelacht, und der bekrittelte Umstand, dass die Personen auf der Bühne allesamt stets bekifft herumlaufen würden, fällt, was die Handlung betrifft, nicht sehr ins Gewicht und entpuppt sich zudem ohnehin als verzichtbares Beiwerk. Was hier tatsächlich abgeht, hält sich – so der erste Eindruck – weitgehend an das Libretto von Lorenzo da Ponte. Das Einzige, was Kusej macht, ist, dass er den handelnden Personen andere „Berufe“ zuteilt. Graf Almaviva ist demnach Boss einer Verbrecherbande, die sich in einem Hotel einquartiert hat. Die Menschen in seinem Umfeld sind, mit Ausnahme seiner Ehefrau, seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, kurz gesagt: das Personal. Die Charaktere und ihre Beziehungen untereinander, sind also dem Anschein nach weitgehend gleichgeblieben. Ob Herr Almaviva nun ein Graf oder der Capo einer mafiösen Vereinigung ist, er ist und bleibt ein Schurke, der sich ob seiner Stellung viel, viel zu viel, herausnimmt. Ein klarer Fall für Me-too.

Wenn sich also im Grunde anscheinend nichts ändert, dann stellt sich die Frage nach dem Mehrwert dieses regielichen Eingriffs. Eigentlich gibt es nur einen: Da hier die handelnden Personen in ein zunächst ungewohntes, auf jeden Fall unerwartetes Milieu verpflanzt sind, sieht man, nachdem man das Treiben am Hof der Almavivas schon zigmal in diversesten Opernaufführungen gesehen hat, diesmal vielleicht etwas genauer hin und kommt so, was ihre Beziehungen, Konflikte, Techtelmechtel und Probleme betrifft, zu neuen Erkenntnissen und Einsichten. Das wäre zunächst freilich ein nicht zu unterschätzender Mehrwert.

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Adriana González (La Contessa di Almaviva), Sabine Devieilhe (Susanna), Lea Desandre (Cherubino)

 Allerdings ein schwer erkaufter, denn der Anschein, dass sich durch den Eingriff Kusejs ohnehin kaum etwas ändern würde, ist trügerisch. Was hier verlorengeht, ist die politische Dimension des Stücks. Lorenzo da Ponte und Mozart berufen sich bei der Bearbeitung ihrer Vorlage, Ein toller Tag von Beaumarchais, auf ein brisantes Thema: Es geht um nichts weniger als um die längst fällige radikale Veränderung einer auseinanderbrechenden, ausbeuterischen, überholten, dekadenten Gesellschaft. Figaro spielt am Vorabend der Französischen Revolution. Der Konflikt Figaros mit seinem Herrn, von ihm spöttisch „Gräflein“ genannt, ist ein gesellschaftspolitischer und mündet letztendlich in der Absetzung des Adels als herrschende Klasse. Die logische Fortsetzung von Le nozze di Figaro ist die Revolutionsoper Andrea Chenier von Umberto Giordano, in der die unterdrückten, ausgebeuteten Landarbeiter, mit Heugabeln und Spießen bewaffnet, in eine aristokratische Festveranstaltung eindringen, sich mit der Dienerschaft verbinden und den Aufstand nicht nur proben, wie es in der nozze andeutungsweise noch der Fall ist, sondern diesen tatsächlich umsetzen. Die Revolution beginnt, und der Hausmeister wird ein wichtiger politischer Funktionär der siegreichen Aufständischen. Von diesem Geist, der im Übrigen auch im Bunuel-Film Der diskrete Charme der Bourgeoisie deutliche Spuren hinterlassen hat, ist die Oper von Da Ponte und Mozart durchdrungen. Ein Wunder, dass die Uraufführung am 1. Mai 1786 stattfinden konnte und nicht von der Zensur verboten worden war.

Indem Kusej diesen Hintergrund total ausklammert und ignoriert und sich ausschließlich nur mit den zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb einer Gruppe beschäftigt, raubt er dem Stück seinen ideellen Kern. Wenn Figaro den Grafen erschießt, wie es Peter Turrini in seiner Bearbeitung des Stoffes geschehen lässt, dann ist das eine politische Tat und der Auftakt zu einer gesellschaftlichen Systemveränderung. Wenn Kusejs Ganove namens Figaro seinen Boss mit Namen Almaviva töten sollte, würde sich gar nichts ändern. Nur hätte dann die Bande eben einen neuen Chef. Business as usual. Keine Veränderung in Sicht, was im vorliegenden Fall einer korrupten, brutalen, von Gewalt dominierten, durch und durch verkommenen Gesellschaft ziemlich trostlos erscheint, während einem bei Mozart und Da Ponte am nicht allzu fernen Horizont liberte, fraternite und egalite freundlich und hoffnungsvoll entgegenwinken.  

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Peter Kálmán (Bartolo), Manuel Günther (Basilio), Serafina Starke (Barbarina), Krzysztof Bączyk (Figaro), Kristina Hammarström (Marcellina),, Andrew Morstein (Don Curzio), Andrè Schuen (Il Conte di Almaviva)

Da die musikalischen Aspekte dieser Inszenierung bereits in vielen Rezensionen entsprechend gewürdigt wurden und meine persönlichen Eindrücke davon nicht wesentlich abweichen, möchte ich es dabei belassen, vor allem die Regiearbeit Martin Kusejs und ihre Auswirkungen auf das Stück und dessen Rezeption einer genaueren Analyse unterzogen zu haben. Hinzufügen wäre, dass die musikalisch von Mozart köstlich komponierte und vom Textdichter ungemein witzige gestaltete „Sua madre – sua  padre“-Szene leider im Schnapsrausch-Gegröle untergeht und gänzlich verjuxt wird, und dass sich Kusejs Gaunerbande-Konzept spätestens im Schlussakt mit den verkleideten nächtlichen Rendevouzs als nicht mehr tragfähig erweist. Da ist ihm einfach nichts mehr eingefallen. Da muss Kusej die von ihm selbst eingebrockte Suppe auslöffeln und hat dabei viel zu würgen.

Der Schlussapplaus ist enorm, richtet sich wohl in erster Linie an das gute Ensemble auf der Bühne und an das von Raphael Pichon vorzüglich mit Esprit und Witz geführte Orchester. Was Kusej vernachlässigt, die geistreiche, humorvolle Abrechnung mit den Symptomen einer überkommenen Gesellschaftsform, ist in Mozarts Musik in Hülle und Fülle enthalten und in jeder Note zu verspüren. Das Publikum scheint sich aber auch mit Kusejs Regie recht gut arrangiert zu haben.

 

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