Falstaff bei den Salzburger Festspielen

Einen Jux will er sich machen

Verdis „Falstaff“ bei den Salzburger Festspielen

Von Robert Jungwirth

(Salzburg 12. August 2023) Die alten Griechen ließen bei ihren Theaterfestivals auf die Tragödien eine Komödie folgen. In Salzburg war es umgekehrt: Hier gab es erst die Komödie, dann die Tragödie.
Kann man angesichts eines derart bedeutungsschweren Festival-Mottos wie „Die Welt ist aus den Fugen“ überhaupt noch Komödien spielen? Ja, man kann, zumindest in Österreich. Dort ist einem bekannten Bonmot zufolge die Lage zwar hoffnungslos, aber nicht ernst.

Einen Jux will ich mir machen, dachte sich auch Christoph Marthaler, als er sich mit Verdis finaler Opernkomödie Falstaff beschäftigte. Eigentlich eine schöne Konstellation: Der hintersinnige Schweizer Theatermacher mit dem Faible fürs Groteske trifft auf Verdis – respektive Shakespeares – aberwitzige Farce über einen verkommenen Lebemann. Es stimmt eigentlich nichts in diesem Stück, sagt Marthaler über Verdis Oper und damit hat er natürlich recht. Falstaff ist ein gewissenloser Hedonist, der lügt, betrügt, andere über den Tisch zieht und sich irgendwie durchs möglichst genussvolle Leben gaunert. Und doch singt dieser Falstaff im dritten Akt ein Hohelied auf die Tugend. Er versucht, eine Frau zu verführen, um an ihr Geld zu kommen, erhält dann aber noch den Auftrag ihres Ehemanns, diese Dame für Geld zu verführen. Der eifersüchtige Ehemann will endlich einen Grund für seine Eifersucht.

Fords Lobgesang auf die Eifersucht im dritten Akt ist ein absurdes Highlight der Oper, von Simon Keenlyside hinreissend als einen Akt psychischer Entgleisung gespielt und gesungen. Auch Ingo Metzmacher spitzt die groteske Komik orchestral zu, sorgt für musikalisch delikates, kammermusikalisches Musizieren bei den Wiener Philharmoniker, was die Hörgewohnheiten ein wenig herausfordern mag, aber letztlich überzeugend ist und zu dieser Inszenierung auch sehr gut passt.

Weil im „Falstaff“ eigentlich nichts stimmt, stimmt auch in Marthalers Inszenierung nichts. Diese Überspitzung, sozusagen eine Komödie im Quadrat, war bei der Premiere allerdings nicht für alle Besucher gleichermaßen goutierbar. Am Ende gab es ein herzhaftes Buh-Konzert entrüsteter Traditionalisten. Marthaler treibt Verdis Absurditäten auf die Spitze, indem er die Handlung an einem Film-Set spielen lässt. Ein Regisseur, mit ziemlich viel Ähnlichkeit zu Orson Wells, dreht gerade einen Film über Falstaff (hat Wells tatsächlich gemacht).

Die eigentliche Opernhandlung wird zu Elementen des Films bzw. des Drumherums. Mal gibt es eine Probe für den Film, mal nur eine Sprechprobe (natürlich gesungen) oder es wird eine Szene mit der Handkamera gefilmt. Auch auf der Bühne von Anna Viebrock „stimmt nichts“. Die Deko für den Falstaff-Film ist nur angedeutet: ein paar altertümliche Leder-Stühle in einem schauerlichen Raum mit braun-gelben Fliesen. Daneben stehen Kulissen aus einem anderen Film herum, riesige Steinbrocken, auf denen noch ein paar Puppen-Leichen herumliegen, wahrscheinlich von einem Kriegsfilm, der hier mal gedreht wurde.

Foto: SF/Ruth Walz

Bei der Film-Crew wirkt auch alles eher improvisiert, alles durcheinander, alles ohne Plan, alles total verrückt. Dazu stolpern, tölpeln und fallen diverse Film-Assistenten frei nach Buster Keaton laufend über irgendwelche Dinge und plumpsen ununterbrochen in einen Swimmingpool, der der Crew neben ihren Bungalows zur Entspannung dient. Die eigentliche Opernhandlung muss man sich als Zuschauer gewissermaßen aus den Versatzstücken, Andeutungen und „Überblendungen“ selber zusammen basteln.

Falstaff muss ohne Fat-Suit auskommen – noch so eine Publikumsenttäuschung. Gerald Finley spielt und singt ihn mit ernsthaftem Wohlklang als eine Art zur Besinnung gekommen Lebemann, der nach dem last exit für sein verpfuschtes Leben sucht – und ihn natürlich nicht findet.

Hör- und Sehgewohnheiten wurden also enttäuscht, entsprechend erwartbar waren die Buhs am Ende, die in ihrer Humorlosigkeit aber doch überraschten. Die Sängerinnen und Sänger dagegen wurden gefeiert. Stellvertretend für ein grandioses Ensemble seien Elena Stikhina als Alice Ford und Giulia Semenzato als Nannetta genannt.

Gemäß Verdis Schlussfuge „Tutto nel mondo e burla“ überwiegt in dieser sicherlich recht eigenwilligen „Falstaff“-Version eindeutig der Spaß, und wer sich darauf einlässt, wird einen vergnüglichen Abend erleben – eine Schule des höheren Blödsinns für eine aus den Fugen geratene Welt.

Werbung

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert