Salzburg feiert "Die griechische Passion" leidenschaftlich

Die Kirche steht bei Martinu für die Skrupellosigkeit der Macht
Die Leidensgeschichte ist bei Simon Stone in einer denkbar leidenschaftslosen Welt angesiedelt: Ein grauer Nichtraum dient bei der letzten szenischen Opernpremiere der Festspiele 2023 als Spielort für Bohuslav Martinůs "Die griechische Passion" aus 1961. Doch aus diesem anfänglichen Nichts entspinnt sich über den Abend hinweg eine hochmoralische Parabel in starken Bildern, die am Ende vom Publikum in der Felsenreitschule passioniert gefeiert wurde.

Nach dem am Vortag ausgebuhten "Falstaff" von Christoph Marthaler gelingt den Festspielen somit zum Abschluss noch ein Opernerfolg. Dies ist zu allererst der Verdienst des 38-jährigen Simon Stone, der unter anderem bereits bei Aribert Reimanns "Lear" 2017 unter Beweis gestellt hatte, dass er den riesigen Raum der Felsenreitschule zu beherrschen weiß, indem er vermeintlich leichthändig einen Unraum mit einfachen Mitteln belebt.

Wieder bricht wie tags zuvor das Wasser aus der Decke - diesmal allerdings gewollt und nicht auf einige Zuschauer, sondern auf der Bühne. Mit einer Wassersäule im farbarmen Nichts gelingt Stone und seiner Bühnenbildnerin Lizzie Clachan ebenso ein poetisches Bild wie mit einem Regen aus Papierschnipseln. Alles wird dabei schnell im Bühnenboden entsorgt und lässt die klare Spielfläche wieder in sich ruhen.

Auf dieser entfaltet sich "Die griechische Passion", die in ihrem Wesenskern ein Moralstück ist wie der "Jedermann" und vielleicht nicht zuletzt deshalb nach Salzburg passt. Martinůs letzte Oper, die zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten uraufgeführt wurde und auf einem Roman des "Alexis Sorbas"-Autors Nikos Kazantzakis beruht, zeigt keine subtil gezeichneten, feinziselierten Charaktere, sondern Archetypen, die eine moralische Grundsituation abhandeln. Der Kern des Ganzen ist von frappanter Aktualität, die ethische Grundhaltung und die Fokussierung auf die Religiosität hingegen nicht.

Die Bewohner eines griechischen Dorfes, das sich gerade auf ein Passionsspiel vorbereitet, sehen sich mit einer Flüchtlingswelle konfrontiert. Anstatt den Betroffenen zu helfen, stachelt der örtliche Priester Grigoris (gemäß der Rollenvorgabe etwas eindimensional Gábor Bretz) die Menschen gegen die Geflüchteten auf. Kirche und Obrigkeit sind hier synonym gesetzt. Die herrschende Schicht schreibt den Fremden Cholera zu und nutzt so die Angst vor einer tödlichen Krankheit, um die Solidarität in der Gesellschaft zu unterbinden.

Nur wenige im Dorf stellen sich gegen die priesterlichen Anordnungen, darunter der Hirte Manolios (in unpathetischer Klarheit der deutsche Tenor Sebastian Kohlhepp), der im anstehenden Passionsspiel als Christus auserkoren ist und sich zunehmend mit seiner Figur identifiziert. Am Ende wird der neue Christus auch neuerlich gemeuchelt, der Strom der Geflüchteten zieht weiter. Ein Happy End sieht Martinů, der einst selbst aus der Tschechoslowakei flüchten musste, in seinem Moralstück über Heimatlosigkeit nicht vor.

Simon Stone verzichtet in seiner Deutung auf vordergründige Aktualisierungen, wenn man von den orangefarbenen Schwimmwesten als überdeutliche Anspielung auf die ikonografischen Bilder von Menschen, die über das Mittelmeer flüchten, absieht. Er trennt die beiden Gruppen bereits optisch, wenn die Dorfbewohner im fahlen Einheitsgrau mit der Farbwüste hinter ihnen verschwimmen, während die Geflüchteten menschliche Farbakzente setzen, Individuen sind und eben keine graue Masse (Kostüme: Mel Page).

Ähnlich farbenfroh präsentiert sich auch die Partitur des Neoklassizisten Martinů, der im Hinblick auf die Thematik überraschend viele helle Schlaglichter setzt, stellenweise gar an die Bibelfilmmusiken eines Elmer Bernstein ("Die zehn Gebote") erinnert. Zugleich setzt er den Kontrast zwischen tschechischem Lokalkolorit und der Harmonik der orthodoxen Kirche. Dem jungen Maxime Pascal als Debütanten am Pult der Wiener Philharmoniker gelingt es, diese Polyphonie der Klänge zu bündeln und wie Simon Stone einen Fokus zu setzen. Zusammen arbeiten beide den aktuellen Kern eines nun auch bereits 60 Jahre alten Werks heraus, dem eine Säkularisierung allerdings guttäte.

(S E R V I C E - "Die griechische Passion" von Bohuslav Martinů im Rahmen der Salzburger Festspiele in der Felsenreitschule, Hofstallgasse 2, 5020 Salzburg. Musikalische Leitung am Pult der Wiener Philharmoniker: Maxime Pascal, Regie: Simon Stone, Bühne: Lizzie Clachan, Kostüme: Mel Page, Licht: Nick Schlieper. Mit Gábor Bretz - Priester Grigoris, Sebastian Kohlhepp - Manolios, Sara Jakubiak - Katerina, Charles Workman - Yannakos, Christina Gansch - Lenio, Matteo Ivan - Rašić Andonis, Matthäus Schmidlechner - Michelis, Alejandro Baliñas - Vieites Kostandis, Julian Hubbard - Panais, Aljoscha Lennert - Nikolio, Helena Rasker - Eine alte Frau, Luke Stoker - Patriarcheas, Robert Dölle - Ladas, Łukasz Goliński - Priester Fotis, Scott Wilde - Ein alter Mann, Teona Todua - Despinio. Weitere Aufführungen am 18., 22. und 27. August. www.salzburgerfestspiele.at/p/the-greek-passion-2023)

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