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Was heißt hier Nächstenliebe: „Die griechische Passion“ bei den Salzburger Festspielen

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Sebastian Kohlhepp und Sara Jakubiak
Vergebliche Liebe: Manolios (Sebastian Kohlhepp) und Katerina (Sara Jakubiak). © Monika Rittershaus

Salzburg endlich in Festspiel-Form: Bohuslav Martinůs „Die griechische Passion“ wird zum umjubelten Erfolg. Weil das Thema in Kopf und Herz trifft, weil sich die Regie zurücknimmt und weil es eine bestechende Besetzung gibt.

Die Schwimmwesten in Alarm-Orange lassen sie liegen. Die Fahrt über ein namenloses Meer ist schließlich überstanden. Ihre Zelte werden irgendwann in eine Bodenöffnung gekehrt. Eine ernüchterte, verzweifelte Hundertschaft. Jeans, Shirts, Jogginghosen, die Kinder finden wenigstens ein bisschen Freude am Kartenspiel. Natürlich steigt dabei vieles hoch, Schlagzeilen und „Tagesschau“-Bilder, auch Abschottungsgefasel. Als ob sich bei dieser Oper, die auf einen griechisch-türkischen Konflikt vor Jahrzehnten anspielt, das Heute vermeiden ließe (Handlung am Ende des Textes).

Regisseur Simon Stone versucht das gar nicht erst. Und entgeht auf wundersame, gekonnte Weise der platten Aktualisierung – was da in der Salzburger Felsenreitschule bejubelt wird, ist nichts weniger als der Höhepunkt des dortigen Opernsommers. Klar: „Die griechische Passion“ von Bohuslav Martinů, die hier im englischen Original als „The Greek Passion“ gegeben wird, eine Vertonung des Kazantzakis-Romans „Der wiedergekreuzigte Christus“, die ist ein starkes Stück. So wirkungsmächtig, so überrollend und berührend, dass sie keine Hilfe, keinen Konzeptdruck braucht.

Ganz konsequent zieht sich Stone auf die Rolle des klaren Erzählers zurück. Er, der meist in seinen Arbeiten die immer gleiche Geschichte von (gern tödlichen) Problemen einer Upperclass-Family erzählt, überrascht hier mit anderem: mit Behutsamkeit, mit feiner Beobachtungsgabe, mit Theater-Poesie und auch damit, das Oratorische des Werks nicht krampfhaft wegzuinszenieren, sondern Tableaus zuzulassen. Und manchmal auch Plakatives wie den schreienden Schriftzug „Refugees out“.

Lebenslüge nicht nur eines griechischen Dorfes

Eine knapp zweistündige Gratwanderung ist das zwischen realer Brutalität und surrealem Spiel. Nur die oberste Arkadenreihe der Felsenreitschule ist frei, sie wird zum „Berg“, auf dem die Flüchtlinge ihr Dorf gründen wollen. Ansonsten ist da ein grauer, keimfreier Raum von Lizzie Clachan. Ständig öffnen und schließen sich Luken und Fenster, einmal sind gellende Kirchenglocken sicht- und hörbar. Eine Szenerie, die das andere, die Beschmutzung nicht duldet.

Immer wieder kehren die Dorfbewohner die Hinterlassenschaften der Vertriebenen weg, auch die grüne, frische Farbe, die in optimistischen Fontänen aufzischt. Was heißt hier schon Nächstenliebe? Es ist die Lebenslüge nicht nur dieses griechischen Dorfes, wie der Abend andeutet. Als ob man mit Ignorieren, Wegschauen, Zurückweisen oder Mauern das Flüchtlingselend eliminieren könnte. Nur die riesige Blutlache, in der Manolius am Ende liegt, man ahnt es, die wird dem Schrubben standhalten.

Klein-große Zeichen von Regisseur Simon Stone

Anders als die Kollegen vor ihm in diesem Salzburger Opernsommer bekommt Stone eine überbreite Bühne in den Griff. Mehr noch: Die Zweierszenen entfalten im Riesenraum Intimität, gerade weil die Liebenden (ein altes Bregenzer Seebühnen-Rezept) oft meterweit voneinander entfernt leiden. Funktionieren können diese klein-großen Zeichen nur mit einer Besetzung wie dieser, allesamt Charakterköpfe, kraftvoll, fast überpräsent. Gábor Bretz zum Beispiel als archaischer, vokal titanischer Priester Grigoris. Oder Charles Workman, der als Yannakos vom Saulus zum Paulus und zum Vermittler zwischen den Welten wird, dies mit markiger, nuancierter Tenor-Energie beglaubigt.

Sara Jakubiak verbindet als Katerina herbe Dramatik mit zärtlichen Momenten und ist gerade in ihrer Bedingungslosigkeit so wahrhaftig. Robert Dölle gefällt sich in der Sprechrolle des Ladas-Fieslings. Auch Christina Gansch (Lenio), Julian Hubbard (Panais) und Aljoscha Lennert (Nikolio) saugen Aufmerksamkeit an sich, sobald sie singspielend aktiv werden. Sebastian Kohlhepp als Manolios ist die lyrische Insel der Aufführung. Die wachsende Identifikation des Hirten mit der Jesus-Rolle, das Erfülltsein von Mitleid und Liebe, all das wird klischeefrei geformt. Und wenn es zur Konfrontation und ans Sterben geht, ist da eine Vehemenz, die das Publikum überwältigt.

Emphatisches Dirigat von Maxime Pascal

Ebenso wie das Dirigat von Maxime Pascal. 2014 gewann er in Salzburg den Young Conductors Award, nun gönnt ihm das Festival eine Premiere und das Debüt bei den Wiener Philharmonikern. Der 37-jährige Franzose, schon gebucht von Berliner Staatsoper, Wiener Festwochen oder dem Festival in Aix-en-Provence, nutzt das mit Emphase und einer Energie, die sich sofort aufs Orchester überträgt. Manchmal lässt er sich hinreißen, vergisst, dass es auch feine Farbspiele und mehr Momente im unteren Dynamikbereich geben könnte – geschenkt. Dafür hört man die gleißende Modernität Martinůs, ein kitschfreies Aufrauschen und auch, dass da einer Lotsen-Handwerk hat. Das homogene, präzise Riesenensemble aus Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor plus Salzburger Festspiel- und Kinderchor dürfte es ihm danken.

Nur wenige Minuten nach den letzten Tönen erhebt sich das Publikum. Die Botschaft von Aufführung und Stück hat schon mal Kopf und Herz erreicht. Für die Realität draußen bräuchte es nun mehr als Standing Ovations und Festspielwonnen. Sonst wäre „Die griechische Passion“ nicht mehr als Opernbeichte und Gala-Läuterung.

Die Handlung: Ein Dorf bereitet ein Passionsspiel vor. Flüchtlinge kommen. Priester Grigoris verweigert ihnen Hilfe, Manolios, der Christus spielt, und Katerina, als Maria Magdalena besetzt, unterstützen die Vertriebenen. Diese erbauen ein Dorf und geraten in Not. Als sie mit ihrem Priester erneut hilfesuchend auftauchen, kommt es zu Gewalttätigkeiten. Manolios wird getötet. Die Flüchtlinge ziehen weiter.

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