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Die Oper von der traurigen Gestalt

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Sinn- wie ratloses Dauerwimmelbild: Verdis „Falstaff“ in Salzburg Sinn- wie ratloses Dauerwimmelbild: Verdis „Falstaff“ in Salzburg
Sinnloses Dauerwimmelbild: Verdis „Falstaff“ in Salzburg
Quelle: AFP/APA/BARBARA GINDL
Die Musiktheaterbilanz der Salzburger Festspiele fällt ziemlich flach aus. Ältere weiße Männer dominieren das Programm, die Inszenierungen sind entweder überholt oder unoriginell. Mit einer wirklich würdigen Ausnahme.

Ein Zitat aus Hamlet ist in diesem Sommer das Motto der Salzburger Festspiele: „Die Zeit ist aus den Fugen“. Im Jahr 2023 wähnt man sich im Salzburgerland freilich aus vielerlei Gründen in einer Rückwärts-Zentrifuge.

Nicht nur beherrschen hier vorwiegend ältere weiße Männer die Produktionsteams und Dirigierpulte. Der Intendant Markus Hinterhäuser wirkt in verschiedenen Funktionen über drei Jahrzehnte fast unterbrechungslos an der Salzach und straft die Presse weitgehend mit mürrischer Missachtung, weil die Kritik an seiner vorwiegend einfallslos rückwärtsgewandten Programmatik zunimmt. Aber wundert das?

Martin Kušejs „Hochzeit des Figaro“ ist so glücklos wie viele Inszenierungen des Noch-Burgtheater-Direktors in jüngster Zeit und schließt ästhetisch nahtlos an seinen „Don Giovanni“ von 2002 an. Peter Sellars ist seit 1992 in Salzburg vertreten und zeigte in diesem Jahr mit Teodor Currentzis am Pult eine zehn Jahre alte Madrider Purcell-Arbeit in fragmentarischer Form. Auch der Pole Krzysztof Warlikowski hat seinen Salzburger „Macbeth“ so ähnlich bereits 2010 in Brüssel herausgebracht. Christof Loys manieriert-reduzierter Gluck’scher „Orpheus“, von Cecilia Bartolis Pfingstfestspielen übernommen, sieht so minimalistisch aus wie stets; er ist ebenfalls seit 2009 dabei.

Und als vierte Oper gab es nun – die letzte Premiere ist eine Dekade her – mal wieder Verdis gar nicht mildes, grotesk bös komisches Alterswerk „Falstaff“. Am Regiepult der Veteran Christoph Marthaler mit seiner achten Salzburg-Produktion seit 1996. Zuletzt tauchte er hier 2011 auf. Und das war auch gut so. Denn der Schweizer Universalkünstler versackt immer mehr in seinem eigenen Universum des somnambulen Slapsticks. Das war mal neu, originell und verzweifelt lustig, inzwischen ist es – besonders in der konventionellen Oper – eine festgefahrene Endlosschleife gestriger Ästhetik. Und so empfing ihn am Ende selbst das nicht gerade auf Avantgarde erpichte Salzburger Hochglanzpublikum mit wüsten Buhstürmen, ebenso den seit 1990 hier dirigierenden Ingo Metzmacher.

Allerhand Flachwitze

Während der das Kunststück fertigbrachte, mit den oft unkoordiniert wirkenden Wiener Philharmonikern strohig-glanzlos, laut und störrisch zu klingen, als habe etwa Frank Martin einer Verdi-Fantasie geschrieben, brachte Marthaler das so sinn- wie ratlose Dauerwimmelbild einer spanischen Orson-Welles-„Falstaff“-Verfilmung auf die hässlich zumöblierte Breitwandbühne zwischen Vorführraum, Atelier und Garderobenbungalow.

Da stimmte und funktionierte nichts. Es war auch völlig unklar, was für eine Metageschichte über versiegende Kreativität und Doppelung in Shakespeares dickem, nach den Frauen gierenden Ritter da erzählt werden sollte. Von keinem Plot blieben auch nur Rudimente übrig. Irgendwann war dann eben einfach auch kein Zelluloid mehr in den Filmrollen, weil sich die trotzdem unterbeschäftigten Mitwirkenden in ulkig-denunziatorischen Sixties-Kostümen darin zu verwickeln hatten. So wie sie dauernd in einen leeren Pool fallen mussten. Worüber wirklich keiner lachen konnte, denn Marthalers Sparscherze waren allesamt Flachwitze.

„Orfeo ed Euridice“ mit Cecilia Bartoli
„Orfeo ed Euridice“ mit Cecilia Bartoli
Quelle: SF/Monika Rittershaus

Italienische Oper zu Luxuspreisen ohne Italiener, dafür mit abgesungenen Engländern wie Simon Keenlyside in der Rolle des Ford als der Depp vom Set und dem als kränkelnd angekündigten, grummelig wie neben sich verharrenden Gerald Finley in der Titelrolle. Die harmlose Elena Stikhina hatte so gar keine mokant-sinnliche Alice-Allüre. Die Quickly der patenten Tanja Ariane Baumgarten wurde zur Putzfrau herabgewürdigt. Selbst die Jungverliebten Giulia Semenzato (Nanetta) und Bogdan Volkov (Fenton) wiesen weder Temperament noch schmeichelnde Stimmen auf, da hingen nur piepsige Töne verloren im Raum. Dafür schlurfte ein Orson-Welles-Double herum und klapperte am Schluss mit seiner Rüstung. Ein traurig stimmendes Desaster.

Dann lieber „Orfeo ed Euridice“. Glucks berühmteste Reformoper war zwar strikt auf 90 Minuten reduziert und ritualisiert, aber in die gespielte Parma-Fassung (einst der dritte Akt eines vom Komponisten selbst adaptierten, mythologischen Hochzeitfestspiels) wurden trotzdem noch stückfremde Musikanteile interpoliert.

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Johannes Leiacker hat mal wieder einen neutral-symmetrischen Raum entworfen: Holzstufen aus dem Orchestergraben und eine Holztäfelung laufen auf ein weißes Tor zu, hinter dem das unerreichbare Elysium zu vermuten ist. Davor aber tummeln sich der starke Il-Canto-di Orfeo-Chor und 14 vom Regissseur Loy selbst in überzogener Gegen-die-Wände-werf-Manier bewegte Tänzer im Anzug und schwarzen Rolli (Kostüme: Ursula Renzenbrink).

Mitten darunter: Cecilia Bartoli als um wegen der toten Gattin um Fassung wie Stimme ringender Orpheus. Da ist vokal vieles inzwischen spitz und mit Technik erkämpft, aber wieder überwältigt diese doch einzigartige Künstlerin mit der Unbedingtheit ihres Ausdrucks wie darstellerischen Präsenz. Während die Amor-Szene mit der nur nett singenden Madison Nonoa im schwarzen Kleid neutral bleibt, gehören die 15 Minuten ihres verzweifelten, natürlich zum Scheitern verurteilten Schau-mich-nicht-an-Kampfes mit der bockig-sopranstarken Melissa Petit zum emotional Stärksten, was diesem öden Salzburg-Sommer doch noch Festivalwürde verleiht. Was der takttreffsichere Gianluca Capuano mit seinen Les Musiciens du Prince – Monaco unmittelbar in ein zunächst atemlos schnelles „Che farò senza Euridice“ überführt. Ein wahrhaft orphischer Moment der Trauer.

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