Szene aus dem Salzburger-Festspiele-Stück „Falstaff 2023“
SF/Ruth Walz
Salzburger Festspiele

„Falstaff“ ertrinkt in Orson-Welles-Hommage

Nach der gefeierten Premiere von „Macbeth“ haben die Salzburger Festspiele heuer mit „Falstaff“ noch eine zweite Oper von Giuseppe Verdi im Programm. Christoph Marthaler inszenierte die Komödie als große Orson-Welles-Hommage – und blieb damit unverstanden: Bei der Premiere am Samstagabend zeigte das Publikum beim kurzen Schlussapplaus recht deutlich seinen Unmut.

Welles’ Faszination für den „Falstaff“ manifestierte sich mehrfach in seinen Filmen. Als großer William-Shakespeare-Kenner hatte ihn die Figur des dicken Liebesritters – der nicht nur in der der Verdi-Oper zugrundeliegenden Komödie „Die lustigen Weiber von Windsor“ auftritt, sondern auch in anderen Werken des Dichters – in den Bann gezogen, was wiederum für Marthaler nun zur Grundlage seiner Inszenierung wurde.

Dieser verlegt die Handlung von Windsor um 1400 an ein chaotisches Filmset der 1960er Jahre und stellt dem Ensemble Orson Welles (gespielt von Marc Bodnar) zur Seite. Rauchend und Whisky trinkend scheucht er ein Heer an Statisten als Crew auf der Bühne herum, stellt Szenen, hält die Kamera – und versinkt immer wieder melancholisch erschöpft im Regiestuhl. Mehr und mehr scheint er mit seiner Filmfigur (und dem Sänger) des Falstaff zu verschmelzen – bis er am Ende tatsächlich in der Rüstung auf die Bühne schlurft.

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Szene aus dem Salzburger-Festspiele-Stück „Falstaff 2023“
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Viel los am Filmset: Falstaff (Gerald Finley, Mitte) weigert sich, den typischen Falstaff-Bauch umzuschnallen und ist eine dünne Version von Orson Welles
Szene aus dem Salzburger-Festspiele-Stück „Falstaff 2023“
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Orson Welles (Marc Bodnar) lässt seinen Assistenten (Joaquin Abella) demonstrieren, wie man als Falstaff richtig baden geht
Szene aus dem Salzburger-Festspiele-Stück „Falstaff 2023“
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Falstaffs Diener Bardolfo (Michael Colvin) und Pistola (Jens Larsen) werden offenbar erst gecastet
Szene aus dem Salzburger-Festspiele-Stück „Falstaff 2023“
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Auf der dreigeteilten Bühne (Anna Viebrock) findet auch ein Heimkino Platz (und Verwendung)
Szene aus dem Salzburger-Festspiele-Stück „Falstaff 2023“
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Über zu wenig Action darf man bei dieser Inszenierung nicht klagen

Gemeinhin gilt Falstaff in der Opernrezeption als sich selbst überschätzender Angeber und raufsüchtiger Genussmensch, der – so will es das Libretto – ganz zweifellos schwer übergewichtig sein muss. Bei Welles und logisch folgend auch bei Marthaler geht die Analyse aber tiefer: Der Ritter, der zwei Frauen die Ehe verspricht und als Revanche dafür gleich mehrfach in die Falle gelockt wird, ist da mehr Don Quijote als dummer Tölpel: „Die größte Darstellung eines guten Mannes, der vollkommenste gute und reine Mensch in allen Shakespeare-Dramen“, nannte Welles die Figur, die er als einen melancholischen Ritter von trauriger Gestalt sehen wollte.

Metaebenen der Faszinationen

All das lässt sich nun aus Marthalers Inszenierung auch herauslesen – doch die aufgebaute Mauer an Metaebenen zur Interpretation des Werkes ist enorm und eindeutig zu wenig selbsterklärend. Angesichts der bestimmt zahllosen Referenzen, die es im großen Gewusel der detailreichen Arbeit zu entdecken gäbe, ist das jedenfalls schade.

Orson Welles als Falstaff im Jahr 1965
picturedesk.com/AP
Falstaff war für Orson Welles mehr als nur eine Rolle

In klassischer Marthaler Manier und Optik – wie immer stammt die liebevolle Ausstattung in unverkennbarer Handschrift von seiner jahrelangen Partnerin Anna Viebrock – spielt auch Zeit und Tempo beim Bühnengeschehen keine Rolle. Was bei anderen Produktionen funktioniert, ergibt hier wenig Sinn und nimmt der Oper auch musikalisch die Fahrt. Auf der dreigeteilten Bühne passiert oft so viel, dass das Sängerensemble und die zentrale Handlung auf den Nebenschauplatz degradiert werden.

Überzeugende Sängerinnen- und Sängerriege

Ingo Metzmacher am Pult der Wiener Philharmoniker interpretiert Verdis letzte Oper im Gegensatz zum opulenten Bühnengeschehen recht nüchtern, das Orchester hat man allerdings schon engagierter gehört.

Gerald Finley in der Titelrolle ließ sich als gesundheitlich indisponiert ansagen, was offenkundig eine reine Sicherheitsmaßnahme war: Seinem fein phrasierten Bassbariton war nichts anzumerken, genauso wenig seiner ausgewiesenen Freude auch am Schauspiel. Nahezu ebenbürtig ist ihm stimmlich Simon Keenlyside als sein Gegenspieler Ford, Bogdan Volkov kann als Fenton mit seinem klaren Tenor – und der einzig richtigen Arie der Verdi-untypisch gassenhauerlosen Oper – glänzen. Giulia Semenzato ergänzt ihn perfekt mit ihrem frischen, hellen Sopran in der Rolle der Nannetta, seiner Geliebten.

Tanja Ariane Baumgartner ist als lustvoll intrigierende Mrs. Quickly stimmlich auf dem Punkt, die Mezzosopranistinnen Elena Stikhina als Alice Ford und Cecilia Molinari als Meg Page stehen ihr dabei weder in Sachen Stimme noch mit der Schauspielfreude um nichts nach. Thomas Ebenstein (als Dr. Cajus) ist routiniert in seiner Rolle, Michael Colvin spielt die komödiantische Seite des Bardolfo voll aus, und auch an Jens Larsen als Pistola ist nichts auszusetzen.

Hinweis

„Falstaff“ ist noch am 16., 20., 23., 25. und 30. August bei den Salzburger Festspielen im Großen Festspielhaus zu sehen. Die Produktion wurde in Kooperation von ORF, 3Sat und Unitel aufgezeichnet und ist am 19. August um 20.15 Uhr in 3sat und am 3. September um 21.45 in ORF III zu sehen.

Große Crew, großer Slapstick

Eine tragende Rolle in Marthalers „Falstaff“ spielen auch der Wiener Staatsopernchor sowie die große Statisterie in Funktion der Filmcrew: Es wuselt links, rechts und mittig – Szenen eines Sets, auf dem auch während der Aufnahme offenbar niemand „Ruhe bitte“ geschrien haben dürfte.

Auch wenn es den Fokus nimmt: Inszeniert ist das Stück doch punktgenau und auf höchstem Slapstick-Niveau, etwa die Szenen, in denen Setpraktikantin Liliana Benini und Regieassistent Joaquin Abella mit Hingabe und in Dauerschleife in den Pool purzeln.

Nass wurden sie dabei nicht – anders als Teile des Publikums: Der durchs Dach tropfende Gewitterregen ließ für einige das Fass überlaufen – und sorgte für schnelle Abgänge aus dem Zuschauerraum.