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Kritik – "Falstaff" in Salzburg Bleierne Langeweile

Bei den Salzburger Festspielen wollte Christoph Marthaler eigentlich Verdis heruntergekommenen Ritter Sir John Falstaff mit dem Regisseur Orson Welles zusammendenken. Lang trägt diese Idee allerdings nicht. Und auch musikalisch ist es ein durchwachsener Abend unter Ingo Metzmacher. Immerhin: Eine junge Stimme lässt aufhorchen.

Falstaff in Salzburg | Bildquelle: SF / Marco Borelli

Bildquelle: SF / Marco Borelli

Im Finale des zweiten Akts passiert es. Da scheint Orson Welles plötzlich die vierte Wand zu durchbrechen – oder besser: Er erstarrt vor Schreck, weil er offensichtlich auf einmal begreift, dass die Welt hinter der Bühnenrampe weitergeht und dort im Dunkel ein Publikum sitzt. Hinter ihm, am Filmset, nimmt derweil das Tohuwabohu überhand. Der Regieassistent, ohnehin Kummer gewöhnt, da er in akrobatischem Slapstick-Nahkampf mit einem renitenten Wäschekorb zugange war und immer wieder, zum Teil abwechselnd mit dem Scriptgirl, ins (imaginäre) Wasser des Swimmingpools gestürzt ist, bekommt auch noch mehrere Stromstöße ab, weil die Kabel in Pfützen am Beckenrand liegen. Ein genereller Kurzschluss kann da nicht ausbleiben, wird aber rasch behoben. Währenddessen regiert das Chaos der hektisch, aber auch unmotiviert herumwuselnden Charaktere, der herumgeschobenen Kulissenwände, der Knutscherei im Filmvorführraum und der aufgeregten Suche des eifersüchtigen Ehemanns nach dem vermeintlichen Liebhaber seiner Frau, der freilich hoffnungslos in einem Liegestuhl eingeklemmt liegt. Diese Turbulenz ist noch eine der besten Szenen eines Abends, der vieles war. Nur keine Komödie.

Was hat Orson Welles mit Falstaff zu tun?

Orson Welles? Ja – auch wenn man bei den Salzburger Festspielen Giuseppe Verdis „Falstaff“ spielt. Man erinnere sich: jene Oper, in der ein heruntergekommener Ritter und Schwerenöter glaubt, über seine Künste als Liebhaber an die Geldbörsen der reichen Bürgersfrauen der Stadt zu kommen, dann aber gehörig dafür eingetunkt wird. Eine Lektion für den eifersüchtigen Gatten Ford und die Liebesheirat von Tochter Nannetta und ihrem Fenton sind die Zugaben, die Alice mit ihren lustigen Weibern von Windsor auch noch erreicht. Aber diese Handlung sei "banal und absurd" hat Regisseur Christoph Marthaler vorab wissen lassen – durchaus mit der Nachbemerkung, dass ihm das natürlich gefalle.

Die Ankündigung, Falstaff und den Regisseur Orson Welles zusammenzudenken und ihn einen Falstaff-Streifen drehen zu lassen, was er (also Welles) übrigens wirklich getan hat, mit ihm selbst in der Hauptrolle, diese Ankündigung hat durchaus Neugierde geweckt. Auch wenn ein Filmset nicht mehr unbedingt zu den originellsten Einfällen der Opernregie zählt. Doch eine alternative oder intelligent darübergelegte Story hätte durchaus vergnüglich sein und den herkömmlichen komischen Elementen etwas Neues, Frisches entgegensetzen können. Und auch, dass Marthaler das Stück für "eigentlich gar keine Komödie" hält, wäre ein interessanter Ansatz gewesen, der die Titelfigur noch mehr zum Schillern hätte bringen können: ein "Falstaff" für Fortgeschrittene gewissermaßen, wie das zu Festspielen auch noch besser passt als ins langjährige Repertoire eines Opernhauses. Doch in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied.

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Marthaler hält seine Grundidee nicht durch

Was hat etwa die oben geschilderte Erkenntnis des Orson Welles in diesem Setting für Konsequenzen? Was wird damit in der Folge gemacht und erzählt, weil er sich nun seiner selbst als Figur in einem Spiel gewahr geworden ist? Nichts, muss man betrübt feststellen. Denn Marthaler und sein Team, bestehend aus dem Dramaturgen Malte Ubenauf, der Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock und dem Regiemitarbeiter Joachim Rathke, machen vor allem eines: Sie ersetzen das in ihren Augen Banale und Absurde durch noch Banaleres, Absurderes. Nun ja, Marthaler eben – und das funktioniert, man weiß es längst, genau dort am besten, wo dieser Regisseur auch musikalisch frei schalten und walten kann, wo er Collagen aus eigener Werkstatt auf die Bühne bringen darf. Komplette Opern und fixe Partituren engen ihn eigentlich nur ein. Und beschädigen die Werke.

Falstaff in Salzburg | Bildquelle: SF/ Marco Borrelli Orson Welles (m.) inszeniert Falstaff in Salzburg | Bildquelle: SF/ Marco Borrelli Es mag reizvoll klingen, wenn es heißt, man wisse nie so recht, ob hier am Set geprobt oder gefilmt werde oder ob die Menschen vor und hinter der Kamera sie selbst seien. Aber hier verliert man schlicht das Interesse daran, weil dieser Punkt szenisch einfach nicht verständlich durchgearbeitet ist und man die Charaktere mit ihren Motivationen und Gefühlen gar nicht wirklich zu fassen bekommt – nicht einmal als die bekannten Komödientypen der Oper. Das Ganze bleibt in Ansätzen stecken, die sehr schnell offenbar niemand mehr interessiert haben.

Wenn etwa Orson Welles sich Whiskey an den Regiestuhl servieren lässt und der Falstaff-Darsteller ständig Pillen schluckt, sind das Details, die in der Luft hängen und nirgendwohin führen. Es wirkt, als wäre der Schauplatz nur ein Vorwand für Bühne und Kostüme, kein wirklich ausgeführtes Konzept, das wenigstens bis auf einen poetischen Rest durchdacht und logisch nachvollziehbar sein müsste. Oder war der Haupteinfall der, den Charakteren möglichst alle Komik auszutreiben und diese durch weitgehend aus der Luft gegriffene Slapstick der Statisterie zu ersetzen, die man ein Weilchen mit bemühtem Schmunzeln, sehr bald aber mit Augenverdrehen quittierte? In diesem Punkt ist die Inszenierung immerhin konsequent. Das Ergebnis: bleierne Langeweile.

Auch musikalisch ist dieser "Falstaff" maximal ordentlich

Die musikalische Seite konnte den Abend nämlich auch nicht wirklich herausreißen. Pech, dass ausgerechnet Gerald Finley sich wegen einer hartnäckigen Laryngitis ansagen lassen musste. Er sang den Falstaff mit großer Noblesse, an diesem Premierenabend aber auch mit merklicher Vorsicht, im Volumen etwas reduziert und manchmal nicht ganz sauber. Das alles lastete als Hypothek auch auf seiner Darstellungskraft. So richtig im theatralen Saft stand freilich niemand, auch nicht Simon Keenlyside als anfangs recht raustimmiger Ford, der sich zwar konsolidieren konnte, im Verdi-Fach aber eigentlich immer ein bisschen über seine Verhältnisse gesungen hat. Dafür schien er als einer von wenigen Spaß an der grotesken Formung seines Charakters zu haben: Sein Ford ist, wie auch Thomas Ebensteins Cajus, eine Art Nerd, der wie die meisten Männer auf der Bühne den Hosenbund in Höhe des Brustbeins trägt. Doch auch Elena Stikhina als tadellos singende Alice, die im dritten Akt Orson Welles im Regiestuhl ablöst, bleibt stimmlich wie darstellerisch ähnlich blass wie Tanja Ariane Baumgartners Quickly. Die große Ausnahme war, an der Seite des guten Fenton von Bogdan Volkov, Giulia Semenzato als vokal glänzende Nannetta, die mit perfekt gefluteter Pianissimo-Höhe erfreute.

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In den zart aufgefächerten Naturmalereien des letzten Bildes hatte auch Ingo Metzmacher am Pult der Wiener Philharmoniker seine stärksten Momente. Ansonsten passte er sich in gewisser Weise und durchaus sensibel der Lesart der Regie an. Er hatte angekündigt, nicht zuletzt Verdis originale Metronomzahlen beachten zu wollen. Wenn das so stimmt, dann ist der "Falstaff" eine herbstlichere, wehmütigere Oper, als wie sie gemeinhin oft aufgeführt wird. Metzmacher nahm jedenfalls auf die Stimmen Rücksicht, spielte die Effekte der Partitur nicht zu drastisch aus, hatte aber auch eine merkliche Lust an kleinen Ecken und Kanten. So richtig blitzen und funkeln wollte es jedoch nicht – zumal rhythmisch komplexe Ensembles schwer zu bändigen sind, wenn die Herren ganz links, die Damen ganz rechts singen müssen.

Die schwächste Operninszenierung dieser Salzburger Festspiele

Am Ende gab’s massive Buhrufe für das Regieteam, ansonsten höflichen bis begeisterten Applaus. Das ist die bisher schwächste Operninszenierung dieses Salzburger Sommers.

Sendung: "Allegro" am 14. August ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (6)

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Dienstag, 22.August, 01:35 Uhr

Kaspar Apfelböck

Falstaff in Salzburg

Ich habe die Aufführung des Falstaff leider (oder nachträglich gesagt, Gott sei Dank) nur auf 3sat gesehen und gehört. Eingeschaltet habe ich irgendwann im ersten Akt und habe erst mal 10 Mintuen lang gerätselt, wer hier Sir John Fastaff ist: Der Dicke, der stumm ist, oder der singende Dünne mit dem Neunten-Monats-Bauch-Fake, der andauernd als fett apostrophiert wird. Irgendwann kam ich dann dahinter, dass das auch nur ein Fall des inzwischen längst abgenudelten Doppelgänger*-Regie-"Konzepts" sein sollte, und dann wurde mir klar: es geht um einen Filmdreh über oder gegen Verdis Oper. Nur Orson Welles habe ich nicht erkannt. Leider: Nichts von Musiktheater nach Shakespeare auf Richard Wagners Spuren, es war eher niveauloser Komödienstadel. Nichts als ärgerlich. Erst nach der Pause setzte sich plötzlich das Dramma musicale durch. Insofern hat mich der Buhsturm nach dem Ende sogar gewundert, aber leider galt hier der abgewandelte Shakespeare-Spruch:"Ende gut, sonst alles schlecht".

Sonntag, 20.August, 16:37 Uhr

Peter Berendes

Falstaff Salzburg Kritik

Ich dachte, das sei von Jens Laurson …

Montag, 14.August, 09:28 Uhr

Fred Keller

Falstaff, es ist ein Jammer

nach der herrlichen Falstaff Inszenierung 1982 im Festspielhaus den "Regiemüll" vorgesetzt zu bekommen. Auch musikalisch eine Schnapsidee dem Dirigenten Metzmacher dieses Werk anzubieten.

Sonntag, 13.August, 17:59 Uhr

Luca Ronconi

Leider ein Debakel

Man muss es leider deutlich sagen: Das ist einfach eine unverantwortliche Verschwendung von Ressourcen in jeglicher Hinsicht. Ich glaube nicht, dass diese Art von Operninszenierungen, die schon bei der Premiere für Verdruss und Überdruss sorgen, noch irgendwie rechtfertigt werden können. Fehler und Irrtümer können immer passieren, aber hier zeigt schon das Konzept des Regieteams, dass man mit dem Stück selbst offenbar nur sehr wenig anfangen kann. Und ich erinnere mich, dass auch Marthalers „Nozze di Figaro“ ein einziger Fehlschlag war, den aber die meisten schon wieder vergessen haben. Und damals war noch die goldene Zeit der Oper ohne Sorgen um ausbleibendes Publikum oder fehlendes Geld. Das irgendwie zusammengewürfelte und behelfsmäßig wirkende „Falstaff“-Bühnenbild ist übrigens unglaublich hässlich und unpoetisch, ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand das länger als zehn Minuten anschauen möchte oder für den Anblick auch noch viel Geld bezahlen will.

Sonntag, 13.August, 16:26 Uhr

Hannelore

Historisch

Ein historisches Ereignis. Die schwächste Inszenierung seit dem Ende der Mortier-Zeit.

Sonntag, 13.August, 14:07 Uhr

Ingeborg Balogh

Premiere Falstaff

Ihre Kritik ist absolut zutreffend, ich habe den Kapriolen am Swimmingpool irgendwann mehr Aufmerksamkeit gewidmet und den Rest als musikalische Untermalung empfunden. Im zweiten Teil nach der Pause konnte man sich wieder auf die Oper konzentrieren.

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