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Filmriss: „Falstaff“ floppt bei den Salzburger Festspielen

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Gerald Finley und Elena Stikhina
Sind‘s Kinoschauspieler oder doch „Falstaff“-Figuren? Szene mit Gerald Finley (Titelrolle) und Elena Stikhina (Alice). © Ruth Walz

Christoph Marthalers Regie-Stil ist längst zur Masche geronnen. In Salzburg scheitert er an Verdis „Falstaff“, den er als Kino-Dreh inszeniert. Doch auch mit Dirigent Ingo Metzmacher wird man nicht froh.

Reden wir kurz übers Wetter. Über die Gewitterzelle, unangekündigt und unvorhergesehen, die über die Altstadt hinwegfegte. Über den Sturm, den Starkregen, den Hagel. Über ein halbes Dutzend Gala-Gäste, die 15 Minuten vor Schluss aus dem Großen Festspielhaus flüchteten, weniger aus – verständlicher – Wut, sondern weil es von oben tropfte. Über erwartbare Wortspiele („ins Wasser gefallen“) und über Mutmaßungen, wer da oben den Zündknopf gedrückt hat: Shakespeare? Verdi? Oder gleich der Chef?

Dabei war immerhin eines vorhersehbar. Regisseur Christoph Marthaler, Schweizer Bizarrkomiker auf Zeitlupenstufe, war einmal groß: darin, wie er Stücke zerlegte, sie neu zusammensetzte, ergänzt um Neues und Endlosschleifen des Absurden, die meist von stummen Mitspielern ausgeführt wurden. Die Wahrheit, der Kern, auch die Kraftfelder der Werke wurden hintergründigst freigelegt, gerade weil Marthaler alles im enervierenden Um-sich-Kreisen liebevoll enttarnte. Ein stiller Berserker.

Jetzt, anno 2023, bei den Salzburger Festspielen, hat sich Marthaler mit seiner Dauer-Ausstatterin Anna Viebrock längst verfangen und verpanzert in einem Stil, der zur Masche geronnen ist. Statt „Falstaff“ gibt es den Film über „Falstaff“. Ein Dreh-Setting, vollgestellt mit Scheinwerfern, fahrbaren Kulissen-Elementen, links ein Kinosaal, rechts ein Pool, in dem ein Regie-Assistent dem Falstaff-Mann vorführt, wie er am Ende von Akt zwei möglichst elegant-spektakulär ins Nass hechtet.

Spätestens nach 15 Minuten läuft sich Marthalers Idee tot

Darsteller stellen Oper dar inklusive Probedurchläufe und Überblendungen von Film-Realität und Echtzeit. Man neckt und nervt sich, dazu eine Mini-Portion #MeToo, ohne gleich die Dieter-Wedel-Keule auszupacken. Ohnehin denkt sich Marthaler das Ganze als Regie-Arbeit eines „Orson W.“, der von Marc Bodnar stumm gemimt wird bis auf zwei gesungene Wörter am Ende, die eigentlich dem Titelhelden gebühren: „Tutti gabbati“, „alles Verratene“. Er hat Recht.

Was auf dem Regie-Papier Marthalers als hübsche Ausgangssituation taugt, läuft sich live im Festspielhaus nach spätestens 15 Minuten tot. Mehrwert: null. Die Marthalerismen dienen nicht dem Stück, sondern dem x-ten Aufguss dieses Regie-Stils. Eines der fokussiertesten Werke Verdis, ein Komödien-Konzentrat, verläppert sich im 40-Meter-Cinemascope-Format des Hauses. Mal sind es die ständigen Nebenhandlungen, die Aufmerksamkeit schlucken, mal gefriert das Geschehen wie in der Schlussfuge zum hilflosen Oratorium.

Die Bühne von Anna Viebrock als Akustik-Unfall

Noch dazu ist die Bühne von Anna Viebrock ein Akustik-Unfall. Gesangszauberer wie Bogdan Volkov (Fenton) oder Giulia Semenzato (Nannetta) können sich nur schwer Raum und Aufmerksamkeit verschaffen. Das mit Elena Stikhina (Alice), Tanja Ariane Baumgartner (Quickly) und Cecilia Molinari (Meg) hochkarätig besetzte Damen-Terzett wirkt oft wie die Spontan-Zusammenkunft einer weiblichen Statisterie. Am meisten Spaß hat offenkundig Simon Keenlyside, der im Spätherbst seiner Karriere den Ford als krausen Kleinbürger mit Hosenbund kurz unter den Achselhöhlen gibt – und die Figur dank Marthaler an die Knallcharge verrät.

Themaverfehlung auch im Graben. Dort sitzen die Wiener Philharmoniker und lassen es mit Dirigent Ingo Metzmacher passend zum Gewitterguss draußen wetterleuchten. Bläser-Einwürfe werden scharf profiliert und die dramatischen Verläufe skelettiert, als sei’s ein Stück Moderne. Anderes gerät ins präpotente Lärmen, die Finalfuge gar ins Buchstabieren. Man lauscht durchaus interessiert – und wartet vergeblich auf Eleganz, auf Delikatesse, auf den feinen Alterswitz, mit dem Verdi seine komponierenden Buffo-Kollegen fast deklassierte. Zudem geraten viele Ensembles ins Klappern. Das weit auseinander gezogene Geschehen fordert da seinen klanglichen Tribut, außerdem scheint Metzmacher als Lotse im Ernstfall überfordert.

Und dann ist ausgerechnet der Wichtigste indisponiert. Gerald Finley rettet sich hochintelligent über den Abend. Statt Ausbrüche gibt es Kultiviertes und Dosiertes, vor allem aber eine attraktive, ungebrochen erotische Baritonstimme. Dass Finley nie outriert, dass sein Gesang nicht schmutzt oder die Grenze zum Deklamieren übertritt, mag untypisch für den Falstaff sein. Doch Finleys vokales Feinbesteck würde der Figur Facetten abseits des Klischees eröffnen. Dazu bräuchte er allerdings eine andere Spielwiese als Salzburg.

Weitere Vorstellungen am 16., 20., 23., 25. und 30. August; Aufzeichnung auf 3sat am 19.August, 20.15 Uhr.

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