Ein Schiff auf hoher See: Es befördert, auf einer hochdiplomatischen Mission, die irische Prinzessin Isolde und Tristan, den Neffen des Königs von Cornwall. Tristan hat Isolde für Marke gefreit und soll sie dem König nun als Braut abliefern. Bekanntlich kommt alles ganz anders. Denn Isoldes Dienerin Brangäne verabreicht den beiden Reisenden einen Liebestrank, der diese augenblicklich in magischer Liebe füreinander entbrennen lässt. Das Abliefern ist fürderhin keine Option mehr.

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Tristan und Isolde
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Die Bühne zeigt indes kein Schiff, sondern einen geschlossenen Raum, der oben und unten durch zwei kreisförmige Gebilde begrenzt wird. Vielleicht ist es ein Ufo. Durch den offenen oberen Kreis blickt man zum Himmel mit seinen vorbeiziehenden Wolken. Der untere umschliesst einen Swimmingpool, in dem sich die Wolken spiegeln. Einige Liegestühle verstärken den Eindruck eines Wellness-Bereichs. Doch Tristan und Isolde tragen weder futuristische Raumanzüge noch Shorts und Bikini, sondern stecken in merkwürdig zeitlosen Gewändern.    

Die Tristan und Isolde-Produktion, die dieses Jahr an den Bayreuther Festspielen gegeben wird, ist eine Wiederaufnahme von 2022. Bei den Rollenbesetzungen muss aber neben Brangäne ausgerechnet Tristan ausgewechselt werden. Dies, nachdem Bayreuth-Urgestein Stephen Gould aus gesundheitlichen Gründen abgesagt hat. Ersetzt wird er durch den Amerikaner Clay Hilley, der bereits letztes Jahr für Gould eingesprungen ist, nämlich als Siegfried in der Götterdämmerung. Der Dirigent Markus Poschner seinerseits war 2022 ebenfalls ein Einspringer, nachdem der ursprünglich vorgesehene Cornelius Meister infolge der Corona-Pandemie beim Ring gebraucht wurde. Coronabedingt ist auch Bayreuth-Neuling Roland Schwab zu seinem Engagement gekommen. Da die Tristan-Neuproduktion sehr kurzfristig auf das Jahr 2022 vorverschoben wurde, hatte Schwab letztes Jahr nur sieben Monate Zeit, um seine Inszenierung auf die Beine zu stellen.

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Catherine Foster (Isolde) und Christa Mayer (Brangäne)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Was Roland Schwab, Piero Vinciguerra (Bühne) und Gabriele Rupprecht (Kostüme) realisieren, ist kein „Regietheater”, bei dem alles Mögliche und Unmögliche in das Stück hineingetragen würde, das ihm nicht inhärent ist. Sie zeigen keine trendige Aktualisierung, meiden aber auch eine plumpe Historisierung. Was dann? Ausgehend von der magischen Liebe der Protagonisten, versetzt das Regieteam diese in ein Niemandsland, einen hermetisch geschlossenen Raum zwischen Himmel und Erde – ins Universum gewissermassen. Im grossen Liebesduett des zweiten Akts sind Tristan und Isolde von Sternen über sich und unter sich umfangen; die unteren drehen sich, zusammen mit der zunehmenden Gefühlsintensität des Paars und dem Crescendo des Orchesters, immer schneller. Der Ansatz ist schlüssig, wenn auch nicht besonders aufregend.  

Die Probleme liegen woanders. Bei dem sowieso schon ereignisarmen Stück würde jeder andere Regisseur danach lechzen, die wenigen Handlungselemente kräftig herauszustreichen. Nicht so Schwab. Das lädierte Schwert Tristans, woran Isolde ihn erkennen würde, kommt nicht vor. Die Pointe mit dem überraschenden Auftritt Markes am Schluss des ersten Akts wird verschenkt. Auch das Schwert des Bösewichts Melot, mit dem dieser im zweiten Akt Tristan verwundet, ist nirgends zu sehen. Im Schlussakt werden die tödlichen Kämpfe zwischen Melot und Tristans Gefolgsmann Kurwenal in den Hintergrund verbannt.

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Catherine Foster (Isolde) und Clay Hilley (Tristan)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Das Kernproblem liegt jedoch darin, dass ausgerechnet das Liebespaar, durch die Besetzung und durch die Personenführung, wenig Identifikationsmöglichkeiten bietet. Catherine Foster ist eine verdiente Wagner-Sängerin, die in Bayreuth jahrelang, auch diesen Sommer, als Brünnhilde zu erleben war. Aber als Darstellerin der irischen Prinzessin Isolde wirkt sie einfach zu alt. Und Clay Hilley, der im Begriff steht, sich verschiedene Wagner-Rollen anzueignen, lässt einen, mit seinem etwas eingeschränkten emotionalem Repertoire, nicht gerade an den jungen stürmischen Liebhaber denken. Zudem gewährt die Regie dem Liebespaar nur wenig Nähe. Gerade im berühmten Liebesduett des zweiten Akts herrscht viel Distanz. Sängerisch sieht die Bilanz besser aus: Foster verfügt über nach wie vor eine grosse dramatische Stimme und vermag die unterschiedlichen Seelenregungen ihrer Rolle eindrucksvoll umzusetzen. Hilley, dessen Heldentenor im grossen Liebesduett etwas forciert wirkt, zeichnet dann im dritten Akt Tristans Spannung zwischen Liebessehnsucht und Todesverlangen gekonnt nach. Unter den Nebenfiguren glänzt die Brangäne von Christa Mayer, auch sie ein Bayreuth-Urgestein, mit geerdeter, fokussierter Stimme und einem Rollenverständnis zwischen List und Komplizenschaft. Auch der Marke von Georg Zeppenfeld, in seiner Dialektik von „imperialem” Bass und verzeihender Grossmut, bleibt in guter Erinnerung. Markus Eiche als Kurwenal bringt immer wieder Bewegung in das statische Geschehen, während Olafur Sigurdarson die Schurkenrolle des Melot etwas drastischer zeigen dürfte.

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Georg Zeppenfeld (Marke)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Markus Poschner, zurzeit Chefdirigent des Bruckner-Orchesters Linz und designierter Chef des Sinfonieorchesters Basel, ist bisher nicht besonders als Wagner-Dirigent hervorgetreten. Was man aber bei der Premiere aus dem Orchestergraben zu hören bekommt, lässt aufhorchen. Das Bayreuther Festspielorchester klingt sehr differenziert in Dynamik und Klangfarbe. Immer wieder wird man gewahr, dass das Orchester das Geschehen auf der Bühne nicht bloss begleitet, sondern psychologisch ausdeutet und vervollständigt. Dabei huldigt Poschner nicht einem Thielemann’schen Pathos, sondern bevorzugt eine agile, von Spannung und Entspannung geprägte Lesart. Die Koordination mit den Sängern gelingt – im tiefgelegenen Graben des Festspielhauses ohne Sichtkontakt keine Selbstverständlichkeit – erstaunlich gut. Aber ausgerechnet beim grossen Schlussmonolog Isoldes, dem berühmten Liebestod, fallen Stimme und Orchester für einige Takte auseinander.

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Clay Hilley (Tristan) und Catherine Foster (Isolde)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Dass die Schlussszene nicht wirklich Gänsehaut erzeugt, liegt indes bei der Regie: Während der tote Tristan und die trauernde Isolde mindestens zehn Meter Abstand zueinander haben, bewegt sich ein bieder gekleidetes altes Paar langsam nach vorne zur Rampe, um bei den Schlusstakten minniglich die Köpfe aneinanderzuschmiegen. (Es ist die Fortsetzung der Idee, im ersten Akt zwei Kinder und im zweiten ein kiffendes Teenager-Paar als Pantomimen auftreten zu lassen.) Was soll das? Sollen wir uns dabei denken, dass Tristan und Isolde miteinander ein glückliches bürgerliches Leben hätten führen können, wenn sie bloss nicht den fatalen Liebestrank genossen hätten? „Ich ironisiere keine Gefühle”, schreibt Schwab im Programmbuch. Aber genau dies geschieht im Schlussbild.

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