Festspiele
Orfeo (Cecilia Bartoli, Mi.) trauert um Euridice. Um ihn herum vertanzte Erinnerungen an seine Beziehung.
© SF / Monika Rittershaus

Ein Vater der Salzburger Festspiele, Max Reinhardt, hielt das Theater für unsterblich. Doch was wäre das Theater in seiner Opernform ohne die Sterblichkeit der Figuren, ohne den Gesang der Dahinscheidenden und die ariose Wehklage der Hinterbliebenen? Fast nichts. Der Beitrag der Pfingstfestspiele zum sommerlichen Salzburg untermauert diese These; schließlich erzählt er die Geschichten vom kurzen Leben und doppelten Sterben Euridices.

Dabei drängt sich eine Überlegung auf: Ist Hamlets Diagnose "Die Welt ist aus den Fugen" der gedankliche Rahmen, in dem sich die diesjährigen Festspiele bewegen wollen, so scheint der Tod eigentlich das geheime Motto des Festivals zu sein. Nicht nur weil es mit Jedermann beginnt. Der Geschichte von Euridice ging ja Mozarts Le nozze di Figaro voraus, in dem Regisseur Martin Kušej morden ließ. Und wie gefährlich und blutig es in Giuseppe Verdis Macbeth zugeht, ist allgemein bekannt.

Sänger, der alle betört

Es fließt bei Christoph Willibald Glucks Orfeo ed Euridice natürlich kein Blut. Es muss der thrakische Sänger, der alle betört, unser Orfeo, allerdings seine Frau Euridice sterben sehen und ihr in die Unterwelt folgen. Ebendort stirbt sie ein zweites Mal, nachdem Orfeo ihr verbotenerweise in die Augen sah. Der an sich für psychologisch-poetische Feinarbeit bekannte Regisseur Christof Loy inszeniert die "andere" Welt vieldeutig als eine gemäldeartige Öffnung in einem nicht näher definierten Saal aus Holz (Bühnenbild Johannes Leiacker).

Der asketische Rahmen dient der durch Tanz vermittelten Befindlichkeit der Hauptfigur, die vervielfacht wird: Acht stumme Orfeos umschwirren den Sänger, den Cecilia Bartoli impulsiv gibt. Die tanzenden acht stellen mit vier Euridices Stationen dieser Beziehung dar. Loy, auch für die Choreografie zuständig, entwirft so die Szenen einer kurzen Ehe als Kreislauf von Glückseligkeit und Tragödie.

Zu minimalistisch

Der Chor in Gestalt des wunderbaren Canto di Orfeo (Choreinstudierung: Jacopo Facchini) hat dabei zumeist an der Rampe sitzend das Publikum anzusingen. Das allerdings ist bereits ein Hinweis darauf, dass hier nicht alles passt, da wenig passiert. Loy erzählt zu diskret, zu minimalistisch, die ganze Last trägt letztlich Cecilia Bartoli. Auch wenn sie – wie gewohnt – ihre Bühnenpräsenz verschwenderisch entfaltet, bleibt die Intensität des Ganzen letztlich bescheiden.

Wenn am Ende wieder all die tanzenden Orfeos mit ihren Euridices erscheinen, lebt die Produktion noch einmal kurz auf. Leider ein bisschen spät. In dem großen Raum verpufft auch die Begegnung zwischen dem Sänger und Euridice.

Mélissa Petit singt zweifellos profund und kultiviert entlang der wachsenden Verzweiflung, da ihr Gatte sie, weil er sie ins Lebensreich zurückholen will, lange keines Blickes würdigt. Dennoch hat die Begegnung etwas Halbszenisches. Und wenig Bühnensubstanz erringt auch der Auftritt von Amore, wobei Madison Nonoa dem Abend wohl die schönsten lyrischen Momente schenkt.

Viel Vibrato

Orfeo vokal? Da musste man sich zur Schönheit und Intensität der Gestaltung durch das bisweilen allzu Flatternde der Stimme Bartolis gleichsam hindurchhören. Mehr Zurückhaltung bezüglich des Einsatzes von Ausdrucksmitteln wie dem Vibrato hätte gutgetan.

Der Schmerz des trauernden Sängers ist bei den Musiciens du Prince – Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano dann aber bestens aufgehoben. Das historisch informierte Ensemble schafft den Spagat zwischen schlankem Klang und doch emotional aufgeladener Atmosphäre. Pointierte Phrasierungskunst versteht sich von selbst. Jener Drive, welcher der Bühne fehlte, kam also aus dem Orchestergraben. (Ljubisa Tosic,6.8.2023)