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Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Grisha Martirosyan (Erste Erscheinung), Statisterie der Salzburger Festspiele. Foto: © SF/Bernd Uhlig

Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Grisha Martirosyan (Erste Erscheinung), Statisterie der Salzburger Festspiele. Foto: © SF/Bernd Uhlig

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Bertolucci, Pasolini und Asmik Grigorian: Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen

Vorspann / Teaser

Bei den Salzburger Sommerfestspielen gehört Verdis erste Shakespeare-Oper „Macbeth“ (1847/1865) zu den bevorzugten Stücken. Philippe Jordan findet mit den Wiener Philharmonikern zu einem intensiv-monumentalen Verdi-Klang. Krzysztof Warlikowski nascht für seine Shakespeare-Verdi-Lesart an Ideen-Bonbons von Bertolucci und Pasolini. Asmik Grigorian triumphiert als Lady Macbeth in einer Paradepartie von Anna Netrebko und Jonathan Tetelman bestätigt als Macduff seinen Ruf als ernstzunehmender Tenor-Aufsteiger.

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Natürlich ist Asmik Grigorian, welche diese Spielzeit an der Oper Frankfurt mit Tschaikowskis „Zauberin“ ein vergleichbar aufregendes Rollendebüt geleistet hatte, ein ganz anderes Stimm- und Bühnentemperament als ihre bis vor kurzem vom Label Deutsche Grammophon umschmeichelte Kollegin Anna Netrebko. Grigorians Interpretation der Lady Macbeth fasziniert im Spiel ebenso wie durch die vokale Gestaltung. Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski macht sie in seiner Salzburger Inszenierung zu einer Frau, die an ihrer Unfähigkeit zu gebären leidet. Der ganz große Moment von Grigorians Lady Macbeth ist die von Verdi für Paris nachkomponierte Arie „La luce langue“. Für solche einmaligen Momente erhält sie am Ende den meisten Beifall.

Ihr Mann Macbeth ist ein Versehrter schon lange vor seinem Ende: Er humpelt wie nach einem leichten Schlaganfall durch Schock, Er hat eine Wunde in der Leistengegend (Achtung: Impotenz) und sitzt, wenn sich die Lady nach Aufschlitzen der Pulsader in letzter Sekunde gerettet wird, im Rollstuhl. Umschlossen werden die am Ende Entmachteten von befreiten Massen und demzufolge vom unsteten Lauf des Macht-Karussels zermalmt. Vladislav Sulimsky liefert in der Titelpartie ausdrucksvollen und intensiven Gesang, der sich allerdings auf die von Verdi klar fokussierten Etappen von Macbeths Mordskarriere nicht allzu intensiv einlässt. Das rückt Grigorians Leistung desto mehr in den Mittelpunkt.

Am Pult der Wiener Philharmoniker steht deren Opernchef Philippe Jordan. Man spielte im Salzburger Großen Festspielhaus die um die Ballettszene und den Sylphidenchor erleichterte Pariser Fassung von 1865 und fügte vor dem Triumph-Finale Macbeth Sterbeszene aus der Florentiner Erstfassung von 1847 ein. Das Orchester verblendet am Premierenabend ein wunderbar satt verdichtetes Verdi-Brio mit den stark aufgewerteten Nachtfarben und Tiefen-Registern. Bei Jordan gewinnen alle eine Power fast wie beim späten Wagner. Trotzdem gerät der dynamische Fluss, aus dem Verdis Dramatik springt, nie ins Stocken. Durch Jordan erhält das Drama im Großen Festspielhaus musikalisch weitaus mehr Spannung als szenisch.

Das hängt auch an den Kollektiven: Wie die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor die volle Bühnenbreite des Großen Festspielhauses ausfüllt, macht massiven räumlichen Effekt. Wenn die Hexen – sie sind hier strickende frauliche Alltagswesen mit vielen Kindern - hereingefahren werden, noch mehr. Der Chor greift allerdings wenig in die Handlung ein, bleibt Mauer, Gesellschaftsstatisterie und Dekor, der prachtvoll singt (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen).Die kleinen Partien waren alle optimal besetzt: Grisha Martirosyan als aufgewerteter Diener Macbeths, Herold und erste Erscheinung, der in seinen Einwürfen äußerst kräftige Evan LeRoy Johnson als Macbeths legitimer Threonerbe Malcolm, Caterina Piva als Kammerfrau der Lady, Aleksei Kulagin als Arzt, Hovhannes Karapetyan als Mörder sowie die Solisten der Sankt Florianer Sängerknaben.

Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski fand in nur einer Szene zu einer definitiv packenden Personenregie auf Höhe des möglichen Spannungspotenzials: Beim Festbankett sitzen Macbeth und die Lady, das frisch gekrönte Königspaar, mit seinem treuen Vasallen Macduff an einem Tisch. Der Platz des soeben gemeuchelten Banco bleibt leer. Man hört und sieht: Tareq Nazmi als Banco und Jonathan Tetelman sind ganz große Klasse.

Wenn man den roten Linoleumboden von Małgorzata Szczęśniaks Ausstattung ernst nimmt, ist die Verortung des Geschehens im politischen Osten von hoher Wahrscheinlichkeit. Auch eine Tribüne für Zuschauer- und Jubelmassen gibt es, vor allem aber zwei riesige Monitore für Film-Zitate und digitale Eigenbeiträge. Macbeth sieht fern: In direkter Assoziation zu den Machtmorden steht der verhängnisvolle Kinderwunsch in Pasolinis „König Oedipus“ und aus „Das erste Evangelium - Matthäus“ die Flucht nach Ägypten mit dem Bethlehemitischen Kindermord. Am Ende gibt es auf den Screens Symbolisches; zur Schlusshymne trifft in Trickfilmen von Kamil Polak und Denis Guéguin ein Knabe auf drei non-binäre Wesen. Das könnten die Hexen und Macbeth als Kind sein, aber auch andere mythische Konstellationen. Warlikowski dachte offenbar nochmals an Moravia und Bertolucci. Die von Verdi scharf vertonte Motorik des Verbrechens und die Shakespearsche Dimension wird durch Warlikowskis Panorama ästhetisch gemildert. Die Handlung verliert durch das assoziativ-symbolische Um-die-Ecke-Denken-Müssen für die Inszenierung viel von ihrer Gefährlichkeit und abschreckenden Dynamik. Wie bei der Inszenierung Martin Kusejs von Mozarts „Figaro“ zeichnet sich ein Misstrauen der Regie gegen die Konzentration auf starke Persönlichkeiten ab. Gerade aber die solistischen Einzelleistungen durch Grigorian, Tetelman und Nazmi bleiben von diesem “Macbeth“ in Erinnerung – und eine faszinierende musikalische Durchdringung von Verdis genialer Oper.

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