SalzburgerFestspiele
"Le nozze di Figaro" bei den Salzburger Festspielen zwischen Party, Zärtlichkeit und Gewalt.
Horn

Erst der richtige Mix macht die gute Stimmung: Bevor sie einen tüchtigen Schluck aus der Flasche nimmt, wirft die Gräfin noch ein paar Pillen ein, um dem Alltag eine reizvolle Note zu verleihen. Doch es geht auch anders, nämlich gleich intravenös. Es schnürt sich der Pfarrer den Arm zu, um eine Vene für die Begegnung mit der Heroinnadel durch sachgerechtes "Aufpumpen" vorzubereiten.

Nein, natürlich kein Pfarrer bei Mozarts Figaro. Es ist in der Regie von Martin Kušej im Haus für Mozart ein Mörder als Geistlicher verkleidet. Es ist Basilio, dessen Gitarrenkoffer ein Maschinengewehr beherbergt, mit dem er die Befehle des Obergangsters Almaviva ausführt. Gleich knallt es. Kaum hat Figaro in der Bar volltrunken die Menge jener Gläser gezählt, die er runtergespült hat (schöne Idee!), fällt nebenan einer tot um. Er wird nicht der Letzte bleiben bei dieser ersten Opernpremiere der Salzburger Festspiele.

Man ahnt: Es schau hier zwar nicht gleich der Filmpate, Don Corleone, vorbei. Gewalt ist hier aber Geschäftsalltag. Es ist offensichtlich, dass das im Mozart-Original recht heitere Intrigenspiel über den Machtverlust der Aristokratie und das Aufbegehren der gar nicht mehr unterwürfigen Untergebenen beim Burgtheaterdirektor keine Rolle mehr spielt. Kušej versucht die Analyse eines heutigen Milieus, das seine innere Leere und Probleme mit Süchten aller Art und der Hoffnung auf erotische Erfüllung bekämpft.

In der Bar

Bühnenarchitektonisch ist Le nozze di Figaro, die erste von Lorenzo Da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart gemeinsam verfasste Meisteroper (1786), uneindeutig angelegt. Die Räume eines Gebäudekomplexes, das ein Hotel sein kann, sind grau und leer. In ihnen soll sich die Einsamkeit der Figuren offenbaren (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Als Kontrast fungieren Partystimmung und mitunter bizarr-heitere Exzesse – etwa in der coolen Bar.

Figaro Salzburg Kusej
Krzysztof Baczyk (Figaro), Sabine Devieilhe (Susanna), Kristina Hammarström (Marcellina), Andrew Morstein (Don Curzio), Andrè Schuen (Il Conte di Almaviva) singen gern in der coolen Bar.
APA/BARBARA GINDL

Ebendort stranden sie einmal fast alle. Ebendort lernt Figaro angeblich seine Mutter (Kristina Hammarström als Marcellina) kennen, die ihm aber dennoch an die Wäsche will. Hier, wo sich die Konflikte kurz in angeheitertem Wohlgefallen aufzulösen scheinen, gelingt der Inszenierung einmal subtiles Musiktheater. Es sind kurze Szenen, die Leichtigkeit und Dringlichkeit vereinen. Wäre nur mehr von solcher Exaktheit des Exzessiven zugegen gewesen!

Dass es in Summe jedoch eine vom Plakativem dominierte Arbeit wurde, ist einer derben Andeutungsästhetik zu verdanken. Im Wunsch, das Mafiamilieu in seiner Brutalität zu erfassen, greift der Regieroutinier zu grellen Mitteln, deren Trivialität die intendierte Subtilität erschlägt. Dass Typen, die nebenbei morden, mit Drogen und Frauen handeln, die sie missbrauchen, dass diese Leute auch Sehnsucht nach der reinen Liebe plagen soll, ist so nicht zu vermitteln. Auch manch poetischer Aspekt der Musik verliert neben dem szenisch Groben seinen Sinn.

Pistole für die Gattin

Es gibt Beispiele. Einmal lässt sich Almaviva von einer Nackten ankleiden, die er dann bezahlt. Dann wieder liegt er da, Susanna zärtlich umschlingend, um später Ehedispute mit der Waffe zu lösen. Als Gangstergraf, dem es nicht passt, dass Figaro und Susanna heiraten wollen, legt er dabei schon mal die Pistole an die Schläfe seiner Gräfin, wenn er Geheimes erfahren will. Na ja.

Komisch auch: Obwohl sie alle als Narkomanen vorgestellt werden, sieht man sie nicht bei einem entgleitenden 24-Stunden-Drogentrip. In ihrem Gehabe wirken sie zumeist sehr nüchtern. Und dass es zwischen Gräfin, Susanna und Cherubino einmal rund um eine Badewanne erotisch "schwül" zugeht, mutet dann auch etwas gar aufgesetzt an – findet der zärtliche Dreier doch in einem kalten Baderaum statt, in dessen Wanne an anderen Tagen wohl Leichen in Salzsäure aufgelöst werden.

Andrè Schuen ist jedenfalls ein elegant und kultiviert singender Brutalo-Graf mit plötzlichen Anfällen von Sensibilität. Die lyrisch interessante und immer gut hörbare Leistung kommt von der Gräfin. Adriana González ist in ihren Arien souveräne Melancholikerin mit leicht dramatischem Einschlag.

Figaro Salzburg Kusej
Sabine Devieilhe (Susanna) punktet in lichten Höhen und Adriana Gonzalez (La Contessa di Almaviva) ist souveräne Melancholikerin.
APA/BARBARA GINDL

Als Susanna punktet Sabine Devieilhe bei Passagen, in denen es Richtung lichte Höhen geht. Ansonsten bleibt sie ein wenig unscheinbar wie auch Lea Desandre als Cherubino. Der Grund: Mitunter geht sie – wie auch Devieilhe – unter, wenn das Orchester aufdreht, wenn die Balance zwischen den eher schmalen Stimmen und dem Orchester nicht mehr passt.

Figaro ist bei Krzysztof Bączyk zunächst etwas kurzatmig unterwegs. Letztlich wird der zweite Mafioso zum vokal respektablen Gegenspieler des Grafen.

Unterdrückte Kräfte

Der Salzburg-Debütant Pichon? Erweckt nur selten den kostbaren Sound der Philharmoniker, was schade ist. Als Spezialist der historisch informierten Spielpraxis setzt er im Detail ein paar interessante muntere orchestrale Statements und vokale Ornamente. In Summe wirkt das Ganze aber klanglich gedämpft bis grau, hat wenig Tiefe, jedoch reichlich Tempo. Selten, wie einmal bei Cherubino, wenn er in einem Moment des Innehaltens poetische Schönheit zelebriert, wird es delikat, steht die Zeit still. Ansonsten eine passable Deutung, die das philharmonische Potenzial zu einseitig befeuert.

Wer an Kušejs Präsenz in Salzburg denkt, muss jenen besonderen Don Giovanni von 2002 nennen, der punktuell wie ein Ausschnitt aus der Palmers-Werbung für Unterwäsche aussah. Knalliges und Tiefsinniges, alles war dabei, Letzteres überwog jedoch. Hier leider umgekehrt und am Ende Ideenlosigkeit.

Da stehen sie alle, auch Bartolo (Peter Kálmán), Basilio (Manuel Günther) und Barbarina (Serafina Starke), in einem Garten apathisch herum. Nur Pichon dreht noch einmal richtig auf und lässt die Philharmoniker ein letztes Rufzeichen setzen. Ein seltsamer Schluss, als hätte der leicht ausgebuhte Kušej auch nicht weitergewusst. (Ljubiša Tošić, 28.7.2023)