BREGENZER FESTSPIELE: FOTOPROBE 'MADAME BUTTERFLY'
Cio-Cio-San leidet auf der Seebühne ungemein poetisch.
APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Zur Seebühne drängt, an der Seebühne hängt bei den Bregenzer Festspielen fast alles. Vor der Wiederaufnahme von Puccinis Madame Butterfly brummt es im festzeltgroßen Gastrobereich auf dem Vorplatz wie in einem Bienenstock. 200 Millionen Euro würden die Festspiele heuer mit allem Pipapo zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, stellte Präsident Hans-Peter Metzler bei der Eröffnung fest. Da sind die sieben Millionen, die die öffentliche Hand an Subventionen gewährt, wohl ein cleveres Investment, das auch den Finanzminister aus dem Ländle, Magnus Brunner, freut.

Immer dieser Pinkerton

Ach, wenn die arme Cio-Cio-San doch nur etwas von dem vielen Geld abbekommen würde! Dann könnte die alleinerziehende junge Mutter Elon Musk damit beauftragen, den blöden Pinkerton auf den Mond zu schießen, am besten mitsamt seiner neuen amerikanischen Frau.

So muss die verarmte Sitzengelassene aber wieder leiden wie im letzten Sommer. 26 Mal wartet, hofft und bangt Madame Butterfly heuer, ob der umtriebige US-Marineoffizier wieder zurückkommt zu ihrem gemeinsamen Haus in den Hügeln über Nagasaki. Und genauso oft wird der Ex-Geisha das Herz gebrochen werden, weil Pinkerton ihr den gemeinsamen Sohn wegnimmt und noch dazu zu feige ist, seiner amourösen Kurzzeit-Investition bei dieser Gräueltat unter die Augen zu treten.

Ballett der Anmut

Den ersten Bühnentod hat Madame Butterfly schon überstanden, und zwar unter idealen Bedingungen. Musste die Premiere im letzten Jahr wegen eines herannahenden Unwetters nach einer Stunde abgebrochen werden, so konnte heuer in einer malerischen Abendstimmung durchgespielt werden.

Auf dem riesigen, zerknüllten Papierblatt (Bühne: Michael Levine) trippelten die Geishas mit ihren roten Schirmen herum, ein Ballett der Anmut. Die weißgewandten Ottoké, die Geister der Ahnen, versuchten ihre Nachfahrin vergeblich zu beschützen. Unmengen von Hortensienblüten ergossen sich über die Bühne, real oder via Video projiziert. Es sind ungemein poetische, ästhetische Bilder, die dem Produktionsteam (Leitung: Andreas Homoki) für Puccinis Einsamkeitsoper gelungen sind.

Madame Butterfly Bregenz
Das grandiose Bühnenbild von Michael Levine
APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Ein Panorama der Emotionen

Das Bühnenbild ist der verführerische Köder, mit dem die Festspiele erfolgreich im Teich der Kulturinteressierten fischen. 350.000 von ihnen werden am Ende des zweiten Butterfly-Sommers angebissen haben. Jahr für Jahr ereignet sich am Bodensee das Wunder der kulturellen Massenspeisung auf Haubenniveau. Die Antagonisten Qualität und Quantität finden hier oft auf beglückende Weise zusammen, befördert durch künstlerische Kreativität und technische Virtuosität.

Virtuos musizierten auch die Wiener Symphoniker, in der zweiten Saison haben sie die Butterfly natürlich längst verinnerlicht. Unter Enrique Mazzolas Leitung entrollte das Hausorchester der Festspiele ein Panorama der Emotionen, von der gedrungenen Gehetztheit des eröffnenden Fugatos und brutaler Dramatik bis zu buttercremetortensüßem Schmachten und innigster Zartheit.

In der ausladenden Titelpartie vermittelte Barno Ismatullaeva das Rührende und Schlichte Cio-Cio-Sans, in der Höhe etwas matt und strapaziert der Pinkerton von Otar Jorjikia. Nobel, mitfühlend und gefasst bemühte sich Brett Polegato als Konsul Sharpless um Cio-Cio-San, auf dramatisch erschütternde Weise stand ihr auch Annalisa Stroppa als Dienerin Suzuki bei. Jubel dafür. Ein Spendenkonto für die verzweifelte Butterfly soll demnächst eingerichtet werden. (Stefan Ender, 21.7.2023)