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Szene aus Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ auf der Bregenzer Seebühne.

© Bregenzer Festspiele/Anja Köhler

Bregenzer Festspielsommer 2023: Gezeiten der Gefühle

Die Bregenzer Festspiele zeigen Giuseppe Verdis Frühwerk „Ernani“ als Neuinszenierung im Festspielhaus und als Wiederaufnahme Andreas Homokis „Butterfly“-Produktion auf der Seebühne.

Von Kirsten Liese

Woran liegt es, dass Giuseppe Verdis Oper „Ernani“ sehr selten aufgeführt wird? Verstört die enorme Gewaltbereitschaft dreier Rivalen, die sich einer Frau wegen zerfleischen? Oder das überholte, unsinnige Verständnis von männlicher Ehre? „Alle reden von Liebe, Glück und Freundschaft“, sagt die niederländische Regisseurin Lotte de Beer, „aber alles was sie tun, ist Rache üben, sich duellieren und Selbstmord begehen“. Deshalb stellt sie Verdis fünfte Oper auf eine Stufe mit absurdem Theater.  

In ihrer Inszenierung im Bregenzer Festspielhaus vermittelt sich das allerdings nur bedingt: Zu trivial erscheint ihre Erzählung, so dass man meinen könnte, die Regisseurin - und seit kurzem Intendantin der Wiener Volksoper - mokiere sich über das 1844 uraufgeführte Werk.  

Szene aus Giuseppe Verdis „Ernani“ im Bregenzer Festspielhaus.
Szene aus Giuseppe Verdis „Ernani“ im Bregenzer Festspielhaus.

© Bregenzer Festspiele/Karl Forster

Eine Krone aus Pappe trägt der König Don Carlo, die er in Schnipsel zerreißt, wenn er sich zum Kaiser krönt, um sich eine noch größere aufzusetzen. Auch die papiernen Wände von Elviras Gemach lassen sich lapidar mit ein paar Rissen durchdringen. Die wenigen Dekorationen und Requisiten auf Christof Hetzers karger, leicht gewölbter, trister Spielfläche, die eine Weltkugel imaginieren soll, erscheinen ohnehin verzichtbar.  

Eimerweise Kunstblut

Nichts geht unter die Haut, noch nicht einmal das wüste Gemetzel, an dem sogar eine akrobatische Kampfgruppe der Stunt-Factory mitwirkt. Da spritzt eimerweise Kunstblut, wird aus der Tragödie eine Klamotte.  Dazu passt es, dass die Damen des Prager Philharmonischen Chors in Liebestötern um die Protagonisten herumwieseln und Elvira im zerfledderten Unterrock mehr einer Vogelscheuche gleicht als einer Braut. Als Virtuosin anspruchsvoller Koloraturen nimmt die Chinesin  Guanqun Yu jedoch für sich ein, an leisen Stellen gelingen ihr Momente von großer Zärtlichkeit.  

Der Bodensee spielt mit: Szene aus Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ auf der Bregenzer Seebühne.
Der Bodensee spielt mit: Szene aus Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ auf der Bregenzer Seebühne.

© Bregenzer Festspiele/Anja Köhler

Hören lassen kann sich die Produktion immerhin rundum.  Enrique Mazzola leitet mit großer Präzision die Wiener Symphoniker, dynamisiert subtil die eingängigen Chöre und herrlichen Arien und gönnt den Bläsern für ihre Soli bis in kleinste Schnörkel hinein alle Zeit der Welt. In der Titelpartie glänzt Saimir Pirgu mit Schmelz, Durchschlagskraft und sicherer Höhe. Franco Vasallo und der kroatische Bassist Goran Jurić geben mit mächtigen, profunden Stimmen seine perfekten Widersacher.  

Szene aus Giuseppe Verdis „Ernani“ im Bregenzer Festspielhaus.
Szene aus Giuseppe Verdis „Ernani“ im Bregenzer Festspielhaus.

© Bregenzer Festspiele/Karl Forster

Überhaupt stellt sich das Gefühl ein, dass in Bregenz die Besetzungen im Laufe von Jahrzehnten exklusiver geworden sind. Große Namen verirren sich zwar selten an den Bodensee, wo den Sängern insbesondere auf der Seebühne nicht nur stimmliche Leistungen abverlangt werden. Dafür lassen sich zunehmend außergewöhnliche Talente entdecken.

Eben das wird wohl auch zuallererst in Erinnerung bleiben, wenn Intendantin Elisabeth Sobotka 2025 an die Berliner Staatsoper wechselt: Wie sie das Niveau zunehmend steigern und so tolle Persönlichkeiten an Land ziehen konnte wie die usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva, die mit wunderschönem Timbre, Strahlkraft, berührenden Pianotönen und lyrischem Feinsinn die „Madame Butterfly“ meistert, so dass man sich fragt, warum sie diese Rolle nicht schon längst an so bedeutenden Häusern wie der Mailänder Scala gesungen hat.  

Exzellente Stimmen

Der treulose Pinkerton, der es mit der Ehe nicht so ernst nimmt, sich kurz nach der Hochzeit aus dem Staub macht und nach Jahren der Abwesenheit mit seiner amerikanischen Frau zu der Geisha zurückkehrt, nur um seinen Sohn zu holen, ist mit dem Georgier Otar Jorjikia ebenfalls ideal besetzt. Dem Amerikaner Brett Polegato,  in allen Lagen agil und als Konsul Sharpless ebenfalls neu an Bord, nimmt man es ab, dass ihm das Schicksal der verlassenen, unglücklichen Cio-Cio San nicht kalt lässt.  

Zarte Poesie auf dem See

Die anfängliche Skepsis, die Seebühne könne Puccinis kammermusikalischer Oper nicht den geeigneten Raum bieten, hat das Regie-Team um Andreas Homoki längst widerlegt. Seine Inszenierung auf einem 23 Meter hohen Blatt Papier (Bühne: Michael Levine) hat sich die Gunst des Publikums schon im vergangenen Sommer mit seiner zarten Poesie erobert.

Rappelvoll sind die Tribünen, auf denen man jetzt dank neuer Bestuhlung komfortabler sitzt. Und das, obwohl diese „Butterfly“ mit keinen spektakulären Stunts aufwartet, wie es das Publikum von anderen Produktionen gewöhnt ist. Die Schauwerte sind hier anderer Art: Stilisierte Bewegungen aus dem Kabuki-Theater des 19. Jahrhunderts, hauchfeine Tuschezeichnungen von Berglandschaften und karminrote, prächtige Kimonos.  

Enrique Mazzola beweist, dass feine farbliche Abstufungen und ein filigranes Musizieren auch unter freiem Himmel vor 5000 Zuschauern eine Chance haben. So sind es gerade die intimen, lyrischen Stellen, an denen die Wiener Symphoniker am schönsten tönen. Keineswegs in jeder Inszenierung ist man derart den Tränen nah, wenn die Heldin - nachdem sie von ihrem kleinen Sohn Abschied genommen hat - den Dolch gegen sich erhebt.

Auch dies ist wie im „Ernani“ ein trauriger, sinnloser Tod, der wie viele Musikdramen ein Licht auf die Unvollkommenheit der Menschen wirft. Nur vermittelt sich das in „Madame Butterfly“ weitaus stärker als in dem optisch wenig ansprechenden „Ernani“.

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