Ernani Bregenz
Reichlich Blut spritzt während Verdis "Ernani" in Bregenz: Ernani (Saimir Pirgu) ringt mitDon Carlo (Franco Vassallo) umElvira (Guanqun Yu).
APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Das Blut des Gefolterten spritzt wieder und wieder auf die weiße Wand – noch etwas mehr, und die Erben von Hermann Nitsch könnten ein Plagiatsverfahren anstrengen. "Es gibt das Gute", hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwochmittag in seiner Rede zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele festgestellt. Aber auch das Böse, das wissen wir dank der EAV, "ist immer und überall". Und speziell die Oper wäre ohne das Böse ziemlich aufgeschmissen, das halbe Repertoire würde auf einen Schlag wegbrechen.

Vom knietief im Theaterblutmeer stehenden Werk Giuseppe Verdis würde fast nur der finale Falstaff übrig bleiben. Bei seinem Ernani ist hingegen alles auf Rivalität, Rache und Tod fixiert: der ganz normale Opernwahnsinn. Mitte der 1840er-Jahre schickte sich der italienische Komponist an, vom Hoffnungsträger der Oper zum Hitfabrikanten zu avancieren. Eine neue Verdi-Oper wurde vom Publikum so sehnlich erwartet wie in den späten 1980er-Jahren ein Album von Eros Ramazzotti.

Die Popularität des Ernani vergleicht Dirigent Enrique Mazzola mit jener von James Camerons Titanic. Bereits 1845 gab es allein in Italien 50 Produktionen, dazu noch einmal über 20 im Ausland.

Süchtig nach Schauer

Das Opernpublikum der Romantik war süchtig nach komplett unglaubwürdigen, abnormalen Schauerstücken. Der Handlungsgang des Ernani-Librettos erinnert an einen Slalomkurs in einer Geisterbahn: reichlich überraschende Wendungen, jeder gruselige Schicksalsschlag eine Bodenwelle, auf der es die Protagonisten aushebt. Kein Wunder, dass Lotte de Beer in ihrer Inszenierung auf physische Wucht setzt: Die unter den Chor gemischten Mitglieder der Stunt-Factory rangeln als Räuberbande miteinander und vermöbeln als Ritter des Königs auch Don Ruy Gomez de Silva, den Onkel und Galan Elviras, filmreif und blutreich. Ernani wird so zur Splatteroper. Und Action!

Die Stuntmänner haben auch Zirkusakrobatik drauf, und Klamauk kann die Chefin der Volksoper ebenfalls: Mit Schlafmütze und Gehhilfe macht sie aus dem alten Silva einen Tattergreis, der seinerzeit auch auf der Löwinger-Bühne reüssiert hätte.

Nur schade, dass nach so viel Komik der letalen Wendung am Ende jede Glaubwürdigkeit fehlt: Wegen so einer skurrilen Pappnase bringt sich der voll im Saft und in "love" stehende Ernani sicher nicht um, Ehrenwort hin oder her.

Durch die üppige Beimischung humoristischer Elemente – Don Carlo ist mit seiner goldenen Papierkrone alles andere als eine Respektsperson – verlacht de Beer das Drama in Ernani vielleicht allzu sehr.

Ernani Bregenz
Don Carlo mit Papierkrone, Elvira im Papierenem Gemach
APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Verdammt hübsch

Allerdings ist die Produktion, um einen Song von Echt zu zitieren, "verdammt hübsch anzuschauen": Der geächtete Herzog Ernani haust auf einem kahlen, kohlschwarzen Globus. Das Schlafgemach der noblen Elvira ist ein White Cube mit Wänden aus Papier: Wie leicht doch die Begrenzungen der Kultiviertheit zerstört werden können!

Mit der Wahl dieses fragilen Materials schlägt Christof Hetzer (Bühne und Kostüme) einen Bogen zum gigantischen Papierblatt auf dem See, auf dem auch heuer wieder Madame Butterfly das Herz gebrochen wird. Und Alex Brok ist sowieso ein Genie, ein Magier des Lichts. So wie die Bilder dieses Ernani kaum Wünsche offenlassen, so tun es auch die Töne und die Klänge nicht. Als Ernani kann Saimir Pirgu einfach alles, sein Tenor wird vom Glutnest der Leidenschaft zum Feuerball der Verzweiflung. Edel, schmiegsam und doch auch mächtig der Bariton von Franco Vassallo als Don Carlo, im behäbigen Silva von Goran Jurić klingt die einstige Bärenstärke der Figur noch nach.

Exzellent auch Aytaj Shikhalizada (Giovanna) und Omer Kobiljak (Don Riccardo) sowie der Prager Philharmonische Chor. Nur die dreifach angebetete Elvira von Guanqun Yu hätte man sich runder und glänzender gewünscht.

Die Symphoniker beleben unter der Leitung von Residenzdirigent Enrique Mazzola mit einem vitalen, pointierten und auch elastischen Verdi, aufgespannt zwischen straffer Militärmusik und süffigem Melodiengenuss. Wahnsinnig schön! (Stefan Ender, 20.7.2023)