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Kritik – Verdis "Ernani" bei den Bregenzer Festspielen Endspiel der Wagner-Söldner

Zum Auftakt der Festspiele am Bodensee stand mit "Ernani" ein selten gespieltes Werk des jungen Verdi auf dem Programm. Regisseurin Lotte de Beer zeigte die irrwitzige Handlung sehr konsequent als absurdes Theater, was rundum überzeugte – wie auch die hervorragende Sängerriege.

Szene aus der Oper "Ernani" bei den Bregenzer Festspielen 2023 | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Weitermachen ist natürlich völlig sinnlos, aber die Menschheit stört sich bekanntlich nicht dran. So ist das nun mal in unserer absurden Welt: Alles verläuft im Sande, alles endet im Nichts, vom Planeten bleibt eines Tages nur Staub – und trotzdem suchen nicht wenige nach dem Sinn des Lebens, nach Halt, nach Orientierung. Das ist manchmal nicht nur absurd, sondern tragikomisch, wie bei Verdis selten gespielter Oper "Ernani" von 1844: Da raufen sich die Kerle, bis das Blut spritzt, und um was? Um nichts!

Verdis "Ernani" zeigt die Absurdität der Menschheit

Szene aus der Oper "Ernani" bei den Bregenzer Festspielen 2023 | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Karl Forster Szenen aus Verdis "Ernani" bei den Bregenzer Festspielen 2023 | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Karl Forster So sieht es jedenfalls die holländische Regisseurin Lotte de Beer, im Hauptberuf Intendantin der Wiener Volksoper. Bei ihr werden Verdis Helden einzig und allein von einem grotesken Ehrbegriff zusammengehalten, aber tatsächlich kämpfen sie gegen die Sinnlosigkeit ihres Lebens, und zwar mit aller Gewalt. Das sieht auf der Bühne des Bregenzer Festspielhauses aus, als ob die berüchtigten russischen Söldner von der "Wagner"-Truppe Amok laufen, zumal auch akrobatische Kampfkünstler im Einsatz sind. Immer wieder brechen Soldaten in Kampfmontur durch Wände, hauen sich die Schädel ein, foltern und morden, hinterlassen blutüberströmte Tatorte. Bei Verdi geht es natürlich um Eifersucht und Liebe, aber so einfach will es sich Lotte de Beer nicht machen: "Eigentlich gilt: Wenn man eine absurde Geschichte erzählt, kann man daran die Absurdität der Menschheit demonstrieren. Es ist eine Geschichte des Versagens über ein gescheitertes Wesen: uns Menschen. Wir haben immer die Option, das Gute zu tun, aber aus irgendeinem Grund scheitern wir daran. Ich glaube, dass wir es wollen, aber unser Ego steht uns im Weg."

Übertragung auf BR-KLASSIK

Den Premiere von Verdis "Ernani" überträgt BR-KLASSIK am 12. August um 20.03 Uhr im ARD Radiofestival.

Verdi à la Sartre

Und so verirren sich drei Männer und eine Frau im Dasein, als ob das Stück von Samuel Beckett ist, dem Großmeister des absurden Theaters. Könnte auch Jean-Paul Sartre seine Finger im Spiel haben, mit seinem berühmten Ausspruch, die Hölle, das seien für ihn die anderen. Ja, daran könnte die Menschheit verzweifeln, aber um das zu verdrängen, beruhigt sie sich mit fadem Sinnersatz: Erfindet Ehrbegriffe oder jagt Titeln hinterher, wie in diesem Fall König Karl, der unbedingt deutsch-römischer Kaiser werden will. Dann kann er seine kleine gegen eine große Krone austauschen und sich Karl V. nennen, was denkbar albern aussieht und genauso beabsichtigt ist.

Düstere und sehr konsequente Deutung in Bregenz

Ausstatter Christof Hetzer hatte eine wüste Insel entworfen, eine leer geräumte Spielscheibe, die auch das Dach der Welt sein könnte. Darauf stehen wahlweise Grabsteine oder triste Papierkulissen, alles leerer Schabernack, nach Goethes Motto: "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis" – und in der Moderne eben nicht mal mehr das. Bemerkenswert, dass diese düstere und sehr konsequente Deutung so einhellig beklatscht wurde, wenn auch nicht übermäßig begeistert. Dazu war die Botschaft wohl doch zu unbequem. Doch was könnte absurder sein als die Oper, zumal eine derart wirre: Der gerade mal 30-jährige Verdi komponierte munter seine Humtata-Rhythmen und scherte sich nicht im Geringsten um Logik.

Klick-Tipp

"Es ein guter Moment, 'Ernani' jetzt wieder auf die Bühne zu bringen": Lesen Sie hier unser Interview mit dem "Ernani"-Dirigenten Enrique Mazzola.

Fulminantes Sängerensemble

Szene aus der Oper "Ernani" bei den Bregenzer Festspielen 2023 | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Karl Forster Szenen aus Verdis "Ernani" bei den Bregenzer Festspielen 2023 | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Karl Forster Diesbezüglich war uns das 19. Jahrhundert voraus, das mit Absurditäten offenbar keine Probleme hatte, solange sie mystisch und unterhaltsam waren. Eine Zusammenfassung der Handlung verbietet sich, weil sie so irreal anmutet. Sehr konkret dagegen waren die fulminanten Sängerleistungen: Die vier Hauptpartien glänzten durchweg mit warmen, volltönenden und scheinbar völlig mühelos alle Register gleichermaßen meisternden Stimmen. Saimir Pirgu in der Titelrolle überzeugte ebenso beeindruckend wie Franco Vassallo als Macho-König, Goran Jurić als rachedürstender Edelmann und Guanqun Yu als von allen begehrte Elvira. Fürwahr absurd, diese Schönheit des Gesangs angesichts des Grauens in der Welt. Der Prager Philharmonische Chor hatte enorm viel zu tun und war als Soldateska ungemein glaubwürdig. Dirigent Enrique Mazzola fasste dieses Sturm-und-Drang-Werk von Verdi nicht übermäßig vorsichtig an, wie es sich gehört. Das verträgt auch mal den dicken Pinsel.

Regisseurin Lotte de Beer: Komik und Tragik

Und Lotte de Beer fasst in wenigen Worten zusammen, warum Zuschauer bei so viel Hoffnungslosigkeit nicht zwangsläufig durchdrehen müssen: "Ich kann mit einem Lächeln darauf schauen. Es ist komisch, berührend und leider sehr, sehr tragisch." Aber diese Tragik ist so abwegig, so aberwitzig, so schauerlich, dass sie geradezu Trost spendet. Klingt auch absurd, hätte Samuel Beckett aber vermutlich gefallen.

Sendung: "Allegro" am 20. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Samstag, 29.Juli, 10:32 Uhr

Peter Valko

Die Vorstellung war sehr gelungen. Es war nichts billig feministischen dabei. Der Programmheftbeitrag der Regisseurin auch ausgezeichnet. Na ja, und Ernani, ein Klassiker? Da fragt man sich schon beim Lesen der Inhaltsangabe, wie man das auf die Bühne bringen kann.. in Bregenz ist es überzeugend geklungen. Keine "traditionelle" Kapitulation und auch keine überdrehte "Neudeuteutung"

Montag, 24.Juli, 16:57 Uhr

Hansjörg Frutig

Ernani in Bregenz

Die Dauer der Vorstellung wsr gegeben und so mussten die beiden geplanten Stücke zeitgleich gespielt werden.
Verdi bot den musikalischen Rahmen mit der Oper "Ernani". Wagner und seine Krieger waren zuständig für die szenischen Greueltaten mit "Folter und Mord"

Donnerstag, 20.Juli, 21:52 Uhr

P.S.

Immer das Gleiche

Die Kritik klingt so, als habe eine radikale Feministin - mal wieder - einen Klassiker vergewaltigt, um in plumper Weise dem Publikum den Kampfbegriff der "toxischen Männlichkeit" auf das Auge zu drücken. Und das mit einer Splatter-Ästhetik, die dem doch recht alten und konservativen Publikum in Bregenz kaum zugemutet werden kann. Dass dieses Publikum noch brav applaudiert hat, zeigt eigentlich nur, dass manche Menschen einfach zu nett für diese Welt sind.

Und der Kritiker findet die Vergewaltigung Verdis und Hugos in Ordunung, da die Romanvorlage "aburd" und die Musik "Humtata"-mäßig sind.

Unsere "Kulturpflege" scheint ja immer neue Tiefststände zu erreichen...

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