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Von Träumen besessen: „Semele“ an der Bayerischen Staatsoper

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Brenda Rae und Michael Spyres
Ein Leben zerstört für einen Gott: Semele (Brenda Rae) mit Jupiter, gesungen von Michael Spyres, der in einer eigenen Vokalliga unterwegs ist. © Monika Rittershaus

Diese „Semele“ setzt die Münchner Händel-Tradition auf sehr würdige Weise fort. Mit einem Psychotrip, einem Countertenor als Breakdancer und einem singulären Sänger als Jupiter.

Vielleicht ist sie vorher mit Freundinnen durch Böotien getorkelt. Prosecco, Mini-Schnäpse, Grölen, Passanten nerven, man kennt diese Junggesellinnenabschiede ja. Doch als es zum Schwur kommt, gibt es kein knappes „Nein“. Semele pfeift nicht nur auf die Hochzeitsgesellschaft, sie drischt mit der Axt auf die Hinterwand des keimfrei weißen Saales ein. Bloß raus hier, weg von diesem Mann inklusive etablierter Schickis, hinaus in eine dunkle, von Federn verhängte Welt, in der Ober-Rabe Jupiter wahre, zwanglose Lüste verspricht. Dumm nur: Das Ganze ist kein echtes Ziel, es ist ein großes, fatales Kämmerchen in Semeles Hirn (Handlung am Ende des Textes).

Auch Georg Friedrich Händels „Semele“, einst als Oratorium uraufgeführt, doch eigentlich mit allen Opernattributen ausgestattet, taugt also für einen der typischen Psycho-Trips aus der Regiekiste von Claus Guth. Mehr noch: So, wie sich das als Opernfestspiel-Premiere im Prinzregententheater entwickelt, wird der Dreiakter zum Vorläufer der Belcanto-Tragödien: Semele als Ahnin all dieser Lucias, Elviras oder Aminas, denen „Wahnsinn“ angedichtet wird, obwohl sie doch „nur“ und bisweilen tödlich an gesellschaftlichen (Männer-) Konventionen scheitern.

Zwischen weißem Hier und schwarzer Albtraumwelt

Guth überdehnt „Semele“ dabei nicht. Was ihm vor allem in den ersten beiden Akten unterläuft, ist eher eine Überwürze, eine Überprononcierung, eine Penetranz im Einsatz der szenischen Mittel – als ob im später jubelnden Publikum Begriffsstutzige sitzen, die den Zusammenprall von weißem Hier und schwarz-erotischer (Alb-)Traumwelt nicht verstehen. Außerdem, und damit sind die Negativa der Produktion schon abgehakt, ist die Bühne von Michael Levine so imposant wie klanglich ungünstig. Im weißen Riesensaal mit seiner Hallen-Akustik haben’s die Stimmen schwer. Und später, in der von Feder-Kulissen verhängten Jupiter-Welt, verpufft manch schöne Phrase.

Was schade ist, weil die Staatsoper für ihre zweite Festspiel-Premiere eine Eins-a-Besetzung spendiert. Brenda Rae in der Titelrolle hat mit elf Arien am meisten zu tun, zumal sie auch im Spiel von Guth extrem gefordert wird. Keine Liebreiz-Virtuosin ist da am Werk, sondern eine Sopranistin, die barocken Zierrat als existenzielle Entäußerung versteht. Das klingt vor allem in Akt eins und zwei auch glanzlos, nicht optimal fokussiert und nach Maloche, fügt sich aber ins Regie-Konzept, das eine Außenseiterin als scheiternde Antiheldin porträtiert.

Michael Spyres als Jupiter lässt die anderen weit hinter sich

Warum Semele dem Göttervater verfallen ist, versteht man, sobald Michael Spyres den Mund aufmacht. Der US-Amerikaner, als Baritenor mit über drei Oktaven Stimmumfang gesegnet, operiert nicht nur an diesem Abend in einer eigenen Vokalliga (hier ein Interview). Die mühelose Tongebung in jeder Lage, die locker auf dem Atem segelnden Koloraturen, das Umschalten von lyrischem Zärteln zu virilem Heldengehabe, das Spiel mit Farben, Nuancen und Registern – all das ist verblüffend, stilsicher und singulär in der Opernszene. Auch die Selbstironie: Guth lässt Spyres als Tanzbärchen die Titelheldin umwerben bis hin zur Can-Can-Chorus-Line – wohl wissend, dass der Kollege aus dem Countertenor-Fach Extremeres auf Lager hat: Jakub Józef Orliński bekommt als von Semele verschmähter Fast-Gatte Athamas eine heftig bejubelte Breakdance-Nummer. Stimmlich fräst sich Orlinski durch den Riesenraum. Das ist so flexibel wie gewöhnungsbedürftig: als feiere die alte britische, sehr instrumental orientierte Counter-Schule ein letztes, phonstarkes Fest.

Emily D’Angelo ist als Juno keine keifende Göttergattin, sondern eine singspielend attraktive Biest-Version von Liza Minnelli. Nadezhda Karyazina macht mit substanzsattem Mezzo Semeles Schwester Ino immer wieder zur Mittelpunktsfigur. Und Bassist Philippe Sly liefert in der Doppelrolle Cadmus/Somnus klanglich Attraktives aus dem Kellergeschoss.

Erst seit kurzer Zeit ist Gianluca Capuano als Einspringer für Stefano Montanari dabei. Man kennt Capuano als Hofdirigenten von Cecilia Bartoli, in München setzt er die Tradition der vitalen, hochtourigen Barock-Deutungen fort. Das klingt nie akademisch, sondern nach schlackenloser, lustvoller Theatermusik. Und zeitweise auch diffus: Orchester und der externe Chor LauschWerk geraten dann ins Schlingern, in Folge-Aufführungen müsste das einrasten.

Je länger der vierstündige Abend, desto auswegloser die Lage für Semele. Lag anfangs nur eine wie achtlos fallengelassene, schwarze Feder auf dem blanken Parkett, findet sie später bei Claus Guth aus dem Daunendickicht ihrer Visionen und Imaginationen nicht mehr heraus. Das ist präzise durchgeführt, sehr fantasievoll auch im Zusammenwirken mit Statisterie samt den Choreografien von Ramses Sigl – und im Regie-Ergebnis ein Stück weit erwartbar. Eine von Träumen Besessene, Ausgestoßene wohnt am Ende apathisch der Hochzeit von ihrer Schwester Ino und Athamas bei: Dann nimmt der Mann halt die Nächstliegende als Ersatzbraut. Händels Jubelchor („frei von Kummer, sorgenfrei“) wird dabei effektvoll unterlaufen. Und das tobende Publikum, in den vergangenen Jahren auf Barock-Diät gesetzt, darf Händels Rückkehr als Säulenheiligen der Staatsoper feiern.

Die Handlung: Jupiter liebt Semele, Tochter von Thebens König Cadmus. Der jedoch hat als Gatte Prinz Athamas vorgesehen. Juno, Jupiters Frau, will Rache. Verkleidet als Semeles Schwester Ino redet sie Semele ein, sie würde göttliche Ehren erlangen, wenn sie Jupiter bitte, sich in seiner göttlichen Gestalt zu zeigen. Jupiter, der geschworen hat, Semele jeden Wunsch zu erfüllen, tut dies. Semele hält dem Anblick nicht stand und verbrennt.

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