Inszenierung von Matthew Wild in Erl
Eine warme Begrüßung? Das fiese Volk von Hellastadt trägt in der Inszenierung von Matthew Wild in Erl bunte Farben.
Festspiele Erl / Bender

Wie ein ewiges, schlammgrünes Band zieht der Inn durch Kufstein nach Erl, von der Festungsstadt ins Festspieldorf. Was war, was ist, was kommt? Gustav Kuhn ist in Erl Geschichte. Der omnipotente Gründervater der Tiroler Festspiele hat es mit seiner Vorliebe für "Wein, Weib und Gesang" (Zitat Hans Peter Haselsteiner) wohl übertrieben, nach 20 Jahren musste Kuhn sein Motorrad vom Maestro-Parkplatz wegfahren.

Mit Bernd Loebe kam 2019 Ersatz aus deutschen Landen. Der hochgelobte Langzeitintendant der Oper Frankfurt lockt seitdem in einer Sommer- und einer Wintersaison mit einem Mix aus Wagner und Raritäten. Am Rand eines magischen Festspieldreiecks gelegen, hat es Erl in der Gunst um die Aufmerksamkeit des Publikums nicht leicht. Salzburg und Bregenz ziehen jeden Sommer jeweils über 200.000 Musikinteressierte an, Bayreuth noch mal etwa 50.000. Warum soll man da ins untere Inntal pilgern?

Frankfurter Gäste

Zum Beispiel wegen der Königskinder. Engelbert Humperdincks Märchenoper wird selten gespielt. Dabei ist die mit zuckersüßen Harmonien und eingängigen Melodien versetzte Musik so leicht konsumierbar wie ein Disney-Musical. Kein Wunder, dass das Werk des spätromantischen Traditionalisten nach der Uraufführung der Zweitfassung 1910 an der Metropolitan Opera in New York vor allem in den USA große Erfolge feierte. Die Inszenierung von Matthew Wild holt das märchenhafte Geschehen in Erl in die Gegenwart, ohne es seiner Poesie zu berauben. Die Gänsemagd haust mit der Hexe in einem alten Wohnwagen, das fiese Volk von Hellastadt trägt bunte Farben. In der Wiederaufnahme der Produktion von 2021 leitet Karsten Januschke das Festspielorchester zu Einfühlsamkeit und warmer Klanggebung an. Bei den Vorspielen zum ersten und zweiten Akt agiert das zusammengewürfelte Ensemble aber noch zu unverbindlich, um mit dem Musiklevel der drei größeren Festspiele mithalten zu können.

Auch die Solisten – oft aus dem Umfeld der Frankfurter Oper – begeistern, lassen aber Wünsche offen. Bei Karen Vuongs Gänsemagd hätten mehr Elastizität und Wärme erfreut, mächtig der Bariton von Mikołaj Trąbka als Spielmann. Als Königssohn, der von den Hellastädtern als Schweinehirt verspottet wird und schließlich im Schoß der Gänsemagd einen stillen Tod stirbt, gefällt Gerard Schneider mit einem geschmeidigen Tenor, dem in der herausfordernden Partie zwischendurch kurz die Kräfte schwinden.

Publikumsmagnet ab 2024

Den Königssohn hat auch Jonas Kaufmann schon gegeben, 2007 in Zürich. Bei den Tiroler Festspielen ist der Startenor jüngst vom mächtigen Festspielkaiser Hans Peter Haselsteiner zum Kronprinzen auserkoren worden, "primus et unicus". Der bald 54-Jährige soll ab September 2024 erstmals als Intendant die Geschicke eines Festivals bestimmen und am Inn wohl auch als Publikumsmagnet Wirkungskraft entfalten.

In der eingangs erwähnten Konkurrenzsituation ist das sicher nötig: Im Sommer 2022 verzeichnete man in Erl 12.100 Besucher und Kartenerlöse von 652.000 Euro. Für das gesamte Wirtschaftsjahr von September 2021 bis August 2022 bekam man 3,5 Millionen Euro Förderungen von Bund und Land Tirol. Aus Kartenverkäufen und sonstigen Einnahmen wurden 1,32 Millionen Euro lukriert – was einem Eigendeckungsgrad von 27 Prozent entsprechen würde. Es wäre sicher wünschenswert, wenn das Engagement von Kaufmann auch die kaufmännischen Erfolge der Festspiele heben würde.

Bilanz mit "Qualität"

Wie soll Loebes fünfjähriges Interregnum in Erinnerung bleiben? Erl sei durch ihn "auf den Weg zu einem international anerkannten Festival" gebracht worden, meint der 70-Jährige auf Anfrage, er habe hier "Qualitätsbewusstsein und Neugier" gesteigert. Ebenso diese Saison zu sehen sind Brigitte Fassbaenders Inszenierungen von Siegfried und der Götterdämmerung, die man im Sommer 2024 erneut – dann im Ring-Zyklus – erleben kann. Danach bricht in Erl die Morgenröte mit Tenorgott Kaufmann an. (Stefan Ender, 9.7.2023)