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Kritik: Festival d'Aix-en-Provence "Picture a day like this"

Ein fulminantes Opernerlebnis: George Benjamins "Picture a day like this" in Aix-en-Provence. Eröffnet wurde das Festival am Dienstag mit Brechts Dreigroschenoper, für BR-KLASSIK-Kritiker Jörn Florian Fuchs eine Enttäuschung.

George Benjamins und Martin Crimps Oper beim Festival d'aix-en-Provence | Bildquelle: ©Jean Louis Fernandez

Bildquelle: ©Jean Louis Fernandez

Wer als Opernkritiker oder musikbegeisterter 'Normal'-Besucher nach Aix reist, dem werden die Nächte lang oder auch mal kurz, je nach Essens- und Schlafgewohnheit. Am Montag wurde das Festival spätabends im berühmten Freilufttheater mit einer szenisch leider völlig missglückten "Dreigroschenoper" eröffnet. Musikalisch ist es spannend, man singt auf Französisch, Dirigent Maxime Pascal bietet mit seinem Ensemble Le Balcon sehr schräge, aber auch süffige Töne. Thomas Ostermeier, seit Urzeiten Intendant der Berliner Schaubühne, hangelt sich indes zweieinhalb Stunden lang mit Kalauern und banalem Videodekor am Stück entlang und am Ende - nach sehr schütterem Applaus - wird das Publikum aufgefordert, einen antifaschistischen Choral mitzusingen. Wer raus möchte, dem werden die Türen verstellt. Als der Kritiker darauf lautstark murrte, beschimpfte ihn der gegenwärtige Wiener Staatsoperndirektor, welcher interessanterweise auch rasch zum Ausgang geeilt war. Die Zeiten - sie sind halt manchmal so.

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George Benjamin behandelt existentielle Fragen

George Benjamins und Martin Crimps Oper beim Festival d'aix-en-Provence | Bildquelle: ©Jean Louis Fernandez George Benjamins und Martin Crimps Oper beim Festival d'aix-en-Provence. | Bildquelle: ©Jean Louis Fernandez Wir wechseln vom Freilufttheater in das kleine, feine Theater Jeu de Paume. Hier steht der frisch gekrönte Siemens-Musikpreisträger George Benjamin am Pult des Mahler Chamber Orchestra und dirigiert sein neuestes Werk, das bald in alle Welt wandern wird. "Picture a day like this" behandelt in nur einer Stunde existentiellste Fragen. Eine Frau hat ihr Kind verloren, es darf zurückkehren, so ein Märchenspruch, wenn sie einen glücklichen Menschen findet und diesem einen Knopf von der Kleidung abschneidet. Ihre Odyssee führt sie zunächst zu einem ekstatischen Liebespaar, das bald jedoch ins Kämpfen gerät. Der Herr möchte nämlich gern polygam leben und lieben, was die Dame zwar akzeptiert, nur eine Transperson darf nicht dabei sein, doch gerade auf diese mag der Liebhaber nicht verzichten.

Auf der Suche nach dem Knopf des Lebens

Weiter geht es zu einem Künstler, der passenderweise fast nur von Knöpfen bekleidet ist und in einem Glaskasten hockt. Er ist traurig und gescheitert, also stimmt nur ein Parameter, nämlich der Besitz von Knöpfen. Librettist Martin Crimp führt textlich und dramaturgisch wunderbar verdichtet durch weitere Stationen. Am Ende begegnet die verwaiste Mutter - hier nennen wir endlich die von zarten bis harten Tönen, von leuchtender Höhe bis Rezitativ-Tiefen brillant performende Marianne Crebassa - einem geheimnisvollen Fabelwesen namens Zabelle (oft fabelhaft glucksend, teilweise aber leicht angestrengt: Anna Prohaska). Doch sie existiert eben nur als Fabelwesen und leicht mirakulös entschwindet sie, während die Mutter zwar nicht ihr Kind, wohl aber einen Knopf in ihrer Hand findet. Vorhang.

Musik, die vor Farbreichtum sprüht

George Benjamins Musik ist in jedem Takt, bei jeder Note auf dem Punkt, aus der knapp gehaltenen Besetzung lässt er einen Farbreichtum sprühen, der einen staunen macht. Engmaschig ist der Orchestersatz, immer wieder durchlüftet von instrumentalem (Aus-)Atmen. Dazu schaffen Daniel Jeanneteau und Marie-Christine Soma ein feinsinniges Gesamtkunstwerk mit zauberhafter Lichtregie sowie hoher szenischer Dichte und Eleganz. Aix hat einen Volltreffer gelandet, dessen Bühnen(Über)Leben langfristig gesichert sein dürfte.

Sendung: Leporello am 6. Juli ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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